Die EZB steuert um und wird im Sommer den Leitzins erhöhen. Aufgrund der Rekordinflation im Euroraum ist das auch nötig und wurde außerdem seit Monaten verbal vorbereitet von verschiedenen Vertretern der Notenbank. Dennoch gingen die großen Indizes in Europa heute auf Talfahrt. DER AKTIONÄR erklärt die Hintergründe.
Mit der ersten Zinserhöhung seit elf Jahren reagieren die Währungshüter der Eurozone auf die Rekordinflation. Der Rat der Europäischen Zentralbank kündigte am Donnerstag an, im Juli die Leitzinsen im Euroraum um jeweils 0,25 Prozentpunkte anheben zu wollen. Zunächst bleibt der Leitzins aber auf dem Rekordtief von null Prozent, Banken müssen für geparkte Gelder bei der EZB weiter 0,5 Prozent Zinsen zahlen. EZB-Präsidentin Christine Lagarde hatte in Aussicht gestellt, die Negativzinsen bis Ende September zu beenden. Das hatte der Konsens so erwartet
Ab Juli keine Anleihekäufe mehr
Zugleich beschloss der EZB-Rat bei seiner auswärtigen Sitzung in Amsterdam, die milliardenschweren Netto-Anleihenkäufe zum 1. Juli einzustellen. Das Ende dieser Käufe hatte die Notenbank in ihrem längerfristigen geldpolitischen Ausblick zur Voraussetzung für eine Zinserhöhung erklärt. Auch damit hatten die Märkte gerechnet.
Inflation geht durch die Decke
In den vergangenen Wochen hatte der Druck auf die Währungshüter deutlich zugenommen, nach Jahren des ultralockeren Kurses umzusteuern und mit Zinsanhebungen die rekordhohe Teuerung einzudämmen. Im Euroraum lagen die Verbraucherpreise im Mai um 8,1 Prozent über dem Niveau des Vorjahresmonates, in Europas größter Volkswirtschaft Deutschland sprang die jährliche Inflationsrate im Mai vorläufigen Zahlen zufolge mit 7,9 Prozent auf den höchsten Stand seit fast 50 Jahren.
Teuerung dürfte weiter steigen
Die EZB hatte lange an der Einschätzung festgehalten, die steigende Inflation sei von Sonderfaktoren getrieben und daher vorübergehend. Nun versucht man eine Gratwanderung zwischen hoher Teuerungsrate und gestiegenen Risiken für die konjunkturelle Erholung aus dem Corona-Tief wegen des Ukraine-Krieges. Allerdings kam heute das Eingeständnis, dass man die Teuerung unterschätzt hat. Denn die Prognose für das laufende Jahr wurde von 5,1 Prozent im März auf nun 6,8 Prozent kräftig angehoben. Auch 2023 soll das Ziel von zwei Prozent, das nach der Projektion im März zum Greifen nahe schien, nicht erreicht werden. Jetzt stellen die EZB-Ökonomen 3,5 Prozent in Aussicht.
EZB hat sich geirrt
Erst 2024 sollen 2,1 Prozent und damit das Inflationsziel der Notenbank wieder erreicht werden. Den Märkten schmeckt das gar nicht, denn die höheren Prognosen bei der Teuerung bedeuten auch, dass die Leitzinsen drastischer als bisher gedacht erhöht werden könnten. Das lässt sich auch aus heutigen Aussagen der EZB-Vertreter ableiten, dass im September ein größerer Zinsschritt kommen könnte. Damit könnte sich das gleiche Szenario wie in den USA wiederholen: Die Notenbank hat die Inflation zu lange unterschätzt und muss dann zu aggressiv gegensteuern. Zumindest ist das ein Narrativ an den Märkten.
Hohe Zinsen = fallende Kurse?
Gerade für Technologieaktien und solche Unternehmen, die erst in der Wachstumsphase sind, bedeuten höhere Zinsen heute geringere Erträge in der Zukunft. Das ergibt sich nach den gängigen Bewertungsmodellen. Dass die Märkte dieses Szenario spielen, zeigt der Absturz von Delivery Gero und About You.
Die Zinswende war erwartet worden, das Ausmaß und die Geschwindigkeit könnte Anleger allerdings ähnlich wie in den USA überraschen. Allerdings kommt in der Eurozone noch das Thema der überschuldeten Staaten hinzu, weshalb es doch nicht so aggressiv wie über dem Großen Teich mit den Zinsen nach oben gehen dürfte.
Die Vergangenheit hat gezeigt, dass Aktien durchaus auch im Fall steigender Zinsen zulegen können. Anleger sollten also nicht die Flinte ins Korn schmeißen. Stock Picking wird einfach noch wichtiger.
Mit Material von dpa-AFX.