In der vergangenen Woche hat der Prozess im Fall Wirecard, einem der größten Finanzskandale in Deutschland überhaupt, begonnen. Auf der Anklagebank sitzen der ehemalige Vorstandschef Markus Braun sowie zwei weitere führende Angestellte. Die Verteidigung von Braun hat zu Prozessbeginn schwere Vorwürfe gegen die Staatsanwaltschaft erhoben.
Die lauten unter anderem auf Ermittlungsfehler und gravierende Rechtsstaatsverstöße. Anwalt Alfred Dierlamm beantragte deshalb am Montag vor dem Landgericht München I die Aussetzung des Verfahrens. Der Verteidiger beschuldigte den als Kronzeugen der Staatsanwaltschaft dienenden Mitangeklagten Oliver Bellenhaus als Haupttäter und attackierte ihn als unglaubwürdig. Die vierte Strafkammer ließ offen, wann sie über eine Aussetzung des Verfahrens entscheiden wird.
Eine ordnungsgemäße Durchführung der Hauptverhandlung sei nicht möglich, begründete der Verteidiger seinen Antrag. Dierlamm warf der Staatsanwaltschaft vor, trotz zahlreicher Aufforderungen die Zahlungsflüsse bei Wirecard nicht überprüft zu haben. "Die wesentlichen strukturellen Elemente der Tat- und Bandenstruktur sind im Ermittlungsverfahren nicht ansatzweise aufgeklärt worden", sagte Dierlamm, und sprach von "gravierenden Verstößen gegen das Rechtsstaatsprinzip".
Der Verteidiger hielt der Staatsanwaltschaft vor, die Anklage auf Bellenhaus gestützt und der Verteidigung wesentliche Unterlagen vorenthalten zu haben. "Das Verfahren leidet an einem schweren Geburtsfehler." Als letzten Punkt warf Dierlamm der Anklagebehörde vor, kurz vor Beginn der Hauptverhandlung noch immense Mengen an Akten an die Anwälte geschickt zu haben. Allein am 7. November seien es 128 Aktenbände gewesen. "Vier Wochen vor der Hauptverhandlung 44.000 neue Aktenseiten."
Braun ist gemeinsam mit Bellenhaus und dem früheren Wirecard-Chefbuchhalter angeklagt, mit Hilfe erfundener Geschäfte Banken und andere Kreditgeber um mehr als drei Milliarden Euro geprellt zu haben. Der Ex-Vorstandschef sieht sich nach eigener Darstellung als Opfer, seinerseits geprellt von Kriminellen im Unternehmen.
Das Gericht hat gut 100 Prozesstage angesetzt. Das Verfahren wird voraussichtlich bis 2024 dauern.
Noch hoffen viele Aktionäre, Schadenersatz für die entstandenen Verluste mit Wirecard-Aktien zu bekommen. Allerdings ist es fraglich, ob und wie viel Geld vom insolventen Unternehmen noch zu holen ist. Genauso offen ist die Frage, ob die ehemaligen Manager auf Schadenersatz verklagt werden können. Allerdings dürfte auch deren Vermögen nicht annähernd ausreichen alle Forderungen zu bedienen. Geschädigten Anlegern bleibt nicht anderes als abzuwarten.
mit Material von dpa-AFX