Nach einer langen Talfahrt bei der Aktie von Medigene hat das Papier Mitte Juni ein deutliches Lebenszeichen von sich gegeben. In den vergangenen Monaten hat sich bei dem Unternehmen einiges getan – es gab unter anderem einen Führungswechsel. DER AKTIONÄR hat mit dem neuen CEO Dr. Selwyn Ho ausführlich gesprochen.
Lesen Sie im Folgenden unter anderem, welche Strategie und Ziele er bei Medigene verfolgt.
DER AKTIONÄR: Seit rund einem Jahr sind Sie der neue CEO bei Medigene. Was hat sich geändert? Welche Strategie verfolgt Sie?
Dr. Selwyn Ho: Medigene ist ein Pionier auf dem Gebiet der T-Zell-Rezeptor-modifizierten T-Zell-(TCR-T) Therapien. Diese immunonkologischen Zelltherapien haben das Potenzial, ähnlich bahnbrechende Ergebnisse zu erreichen wie die CAR-T-Therapien im Bereich Blutkrebs. Der große Vorteil von TCR-T-Zellen gegenüber CAR-T-Zellen ist jedoch, dass sie auch bei einer Reihe von soliden Tumoren eingesetzt werden können, wie zunm Beispiel bei Eierstock-, Brust- und Lungenkrebs, für die nach wie vor ein enormer medizinischer Bedarf besteht: nach kardiovaskulären Ursachen sind solide Tumore die zweithäufigste Todesursache in Deutschland und den westlichen Industriestaaten insgesamt. Wir konzentrieren uns nun ausschließlich auf die Entwicklung von TCR-T-Therapien für schwer behandelbare solide Tumore. Im Blutkrebs wollen wir trotz positiver klinischer Phase-I-Daten unseres MDG1011-Programms, nicht ohne Partner weiterarbeiten.
Unsere Partnerschaften mit BioNTech und 2seventy bio sowie unsere eigenen Pipeline-Programme belegen die Validierung unserer proprietären End-to-End (E2E) TCR-T-Technologieplattform, die die Grundlage ist, potenziell differenzierte Behandlungen für Patienten zu entwickeln. Mit dieser modularen E2E-Plattform können wir spezifische Proteine auf Krebszellen analysieren und identifizieren und dann gesunde T-Zellen, die eine der wichtigsten Waffen des menschlichen Körpers zur Bekämpfung und Abtötung von Krebszellen sind, so verbessern, dass sie sich gezielt gegen diese Krebsproteine richten. Dies geschieht durch die Schaffung spezifischer, empfindlicher und sicherer T-Zell-Rezeptoren (TCRs) auf der T-Zelle, so dass veränderte TCR-T-Zellen entstehen. Wir können die Wirksamkeit der TCR-T-Zellen mit Hilfe von Verbesserungstechnologien weiter steigern. Unser führender Produktkandidat MDG1015 beispielsweise verfügt über einen TCR, der auf ein spezifisches Krebsprotein abzielt, kombiniert mit einer Verbesserungstechnologie, dem kostimulatorischen PD1-41BB-Switch-Rezeptor, der es den TCR-T-Zellen ermöglicht, sich zu vermehren und in der Mikroumgebung des Tumors zu verbleiben und eine verstärkte und potenziell dauerhaftere antitumorale Wirkung zu entfalten.
Unsere Expertise in der Herstellung von potenziell erstklassigen TCRs und die vielfältigen, kombinierbaren, patentierten und exklusiven Technologien innerhalb der E2E-Plattform sind für unsere Strategie noch wichtiger geworden. Sie ermöglicht es uns auf verschiedenen Wegen den Wert von Medigene zu maximieren: durch Aufbau unserer eigenen Pipeline, Ausbau bestehender und potenziell neuer Partnerschaften, sowie kontinuierliche Innovation unserer Plattformtechnologien.
Was ist Ihr langfristiges Ziel?
Unser Ziel ist es, unsere Position als eines der technologisch führenden TCR-T-Unternehmen auszubauen und zu festigen, um auf Grundlage unserer wissenschaftlichen Expertise möglichst vielen Krebspatienten Zugang zur zellulären Immuntherapie zu ermöglichen. Dies erreichen wir durch die konsequente Weiterentwicklung unserer E2E-Plattform und die Generierung erstklassiger TCRs und hochdifferenzierter TCR-T-Therapien kombiniert mit Verbesserungstechnologien.
Bis Ende 2024 wollen wir unseren am weitesten entwickelten Produktkandidaten gegen solide Tumore, MDG1015, in den USA und Europa in die Klinik bringen sowie mehrere Produktkandidaten aus unseren unternehmenseigenen KRAS-Programmen MDG2011, MDG2021, MDG2012 (ehemals MDG10xx) voranbringen. Nach unserer derzeitigen Einschätzung könnten wir unsere TCR-T-Therapien potentziell erstmals ab 2028 Krebspatienten und -patientinnen zur Verfügung stellen.
Parallel werden wir unsere bestehenden Partnerschaften ausweiten und neue Partnerschaften für unsere Technologien und Produktkandidaten evaluieren, um weitere best-in-class TCR-T-Therapien anbieten zu können.
Was ist das Besondere an Medigene im Vergleich zur Konkurrenz?
Unser Ansatz zur Entwicklung von TCR-T-Therapien ist ganzheitlich und konzentriert sich darauf, die Herausforderungen bei der Behandlung solider Tumore möglichst optimal zu bewältigen. Unsere E2E-Plattform bietet einen systematischen Ansatz, um das Potenzial unserer TCR-T-Therapien in jedem Schritt der Arzneimittelentwicklung zu verbessern.
Ausgangspunkt für unsere TCR-T-Therapien ist immer ein optimaler T-Zell-Rezeptor (TCR). Hier verfügen wir über jahrzehntelange Erfahrung und haben eine Vielzahl von potentiellen erstklassigen TCRs generiert, die entweder von uns selbst oder von unseren Partnern für die weitere Entwicklung ausgewählt wurden. Wie eingangs beschrieben können wir mit Hilfe unserer E2E-Plattform die geeigneten Krebsproteine für verschiedene schwer behandelbare solide Tumorerkrankungen identifizieren und die optimalen TCRs schaffen, die diese krebsspezifischen Zielstrukturen erkennen. Zusätzlich können wir die TCR-T-Zellen mit weiteren Waffen ausrüsten, um das immunsuppressive Milieu des Tumors zu überwinden und die Anti-Tumor-Aktivität unserer TCR-T-Zellen weiter zu steigern. Dies erreichen wir durch sogenannte Produktverbesserungstechnologien, wie den kostimulatorischen PD1-41BB-Switch-Rezeptor oder unser neues lizenziertes CD40L-CD28-Switch-Protein. Sie gehören zu den vielfältigen, miteinander kombinierbaren Technologien unserer E2E-Plattform, mit denen wir die Fähigkeit der T-Zellen T-Zellen verbessern, Tumorzellen gezielt und auf möglichst sichere Weise anzugreifen und zu zerstören und die immunsuppressive Mikroumgebung des Tumors zu überwinden. Die so modifizierten T-Zellen bleiben zusätzlich länger aktiv und helfen, das Wiederauftreten des Tumors zu verhindern. Durch diese Eigenschaften haben unsere TCR-T-Therapien ein besonders großes Potenzial bei soliden Tumoren, die bislang nicht ausreichend behandelbar sind.
Teil 2 des Interviews lesen Sie morgen.