Wer mit Wirecard hantiert, muss mit Kürzeln umgehen können. BaFin, DPR, KPMG, EY – um sie hat sich ein echter Krimi entsponnen. Ausgang ungewiss. Der Aktienkurs des Zahlungsdienstleisters aus Aschheim bei München steht seit Wochen massiv unter Druck. Die Stimmung unter der Anlegern des DAX-Konzerns ist gereizt.
Gesagt wurde vieles, geklärt indes ist nichts. Wirecard kämpft auch in Woche 68 seit Veröffentlichung des ersten kritischen Artikels in der britischen Financial Times gegen den Vorwurf, die eigene Bilanz geschönt zu haben. Autor Dan McCrum – Hassfigur vieler Wirecard-Aktionäre – erhob Vorwürfe in Zusammenhang mit möglichen Bilanzunregelmäßigkeiten im Asiengeschäft gegen das Unternehmen aus Aschheim bei München. Es folgte eine Vielzahl weiterer kritischer Berichte in der Financial Times, aber auch in anderen Medien. 476 Tage Warten und Bangen. Kein Ende in Sicht. Oder doch?
DPR führt Untersuchung durch
Anfang der Woche sorgte die Financial Times erneut für einigen Wirbel. Unter der Schlagzeile „German watchdog opened probe into Wirecard accounting last year“ berichtet Olaf Storbeck aus Frankfurt am Main, die Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung e.V. (DPR) habe bereits im vergangenen Jahr eine Prüfung der Vorgänge bei Wirecard eingeleitet. Das Blatt beruft sich dabei auf Personen, die mit dem Vorgang vertraut seien.
DPR-Präsident Prof. Dr. Edgar Ernst will diesen Vorgang auf Anfrage des AKTIONÄR weder dementieren noch bestätigen. Stattdessen verweist Ernst auf § 342c HGB. Der Paragraf untersagt es den Beschäftigten der Prüfstelle, über interne Vorgänge zu sprechen. Zuwiderhandlung kann Schadenersatzansprüche nach sich ziehen. Allerdings: Man sehe sich den KPMG-Bericht an, so Ernst. Schließlich sei dies die Aufgabe der DPR. Ob eine Untersuchung eingeleitet wurde oder wird, kommentiert Ernst nicht.
Der KPMG-Bericht
Der in den zurückliegenden Tagen oft zitierte Bericht der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG, der mit Verzögerung am 28. April 2020 veröffentlicht wurde, entwickelt sich zum Bumerang. Wirecard hatte KPMG beauftragt, die Bücher der Gesellschaft auf Unregelmäßigkeiten zu prüfen. In dem Bericht heißt es, es seien „keine belastenden Belege für die öffentlich erhobenen Vorwürfe der Bilanzmanipulation gefunden worden“. Ein Freispruch ist das nicht, die Kritik laut. KPMG konnte erhebliche Zahlungsvolumina bei Drittparteien nicht nachvollziehen.
„Der Bericht über die Sonderprüfung zeigt vor allem, dass das interne Kontrollsystem des DAX-Unternehmens Wirecard mangelhaft ist“, so Prof. Dr. Hansrudi Lenz, Inhaber des Lehrstuhls für BWL, Wirtschaftsprüfungs- und Beratungswesen an der Universität Würzburg. „Trotz umfangreicher forensischer Prüfungshandlungen waren die Sonderprüfer nicht in der Lage, Höhe und Existenz von wesentlichen Umsatzerlösen der Jahre 2016 bis 2018, die über Drittparteien abgewickelt wurden, nachzuvollziehen. Weder über Existenz noch über die Nichtexistenz kann eine Aussage getroffen werden.“ Sein Fazit im Gespräch mit dem AKTIONÄR fällt aus Sicht vieler Wirecard-Aktionäre ernüchternd aus: „Die Vorwürfe, die in der Presse gegen Wirecard erhoben wurden, konnten somit weder bestätigt noch widerlegt werden, das heißt, die Unsicherheit besteht weiter.“ Auch über Woche 68 hinaus.
Die DPR-Prüfung
Eine Prüfung durch die DPR ist nichts Außergewöhnliches. Jedes Indexunternehmen wird hin und wieder einer solchen Prüfung unterzogen – turnusmäßig. Das Prozedere bei einer fehlerhaften Rechnungslegung ist dabei stets das gleiche: „Nach Feststellung einer fehlerhaften Rechnungslegung fragt die DPR, ob das Unternehmen der Fehlerfeststellung zustimmt“, so Lenz. In der Regel stimmen die Unternehmen zu. „In rund 83 Prozent der Fälle ist dies der Fall. Das Verfahren wird an die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) weitergeleitet, diese veranlasst dann eine Veröffentlichung der Fehlerfeststellung im Bundesanzeiger über das betroffene Unternehmen.“ Zuletzt war das etwa bei Medigene und Aumann der Fall. Dieses Prinzip nennt man „naming and shaming“. Stimmt das Unternehmen der Fehlerfeststellung indes nicht zu oder verweigert die Mitwirkung an der Prüfung durch die DPR, leitet die BaFin eine eigenständige Prüfung ein, erklärt Lenz weiter.
Die Rolle der BaFin
Dieses Vorgehen ist eindeutig geregelt. Die BaFin darf nicht als erste aktiv werden. Sie kann aber eine Verlangensprüfung einfordern, den die DPR nicht ablehnen kann. Sollten also etwa Whistleblower oder auch Journalisten einen Hinweis an die BaFin schicken, oder die BaFin selbst einen Verdacht haben, wird bei der DPR eine Verlangensprüfung eingereicht. 2019 gab es sechs solcher Prüfungen. Bei allen wurden Fehler festgestellt. Im Durchschnitt ist die Quote geringer.
Die DPR kann aber auch selbst aktiv werden. So führt sie regelmäßig eine Medienanalyse durch. Ein interner Ausschuss entscheidet dann, ob eine sogenannte Anlassprüfung durchgeführt wird. Im Fall Wirecard erscheint eine solche Prüfung unumgänglich, haben doch die Berichterstattung der Financial Times und die Veröffentlichung des KPMG-Berichts viele Fragen aufgeworfen, die auf Antworten warten.
Eine Transparenzfrage
In einem Magazininterview im vergangenen Jahr ging Ernst darauf ein, welcher Bereich innerhalb eines Unternehmens die meisten Probleme verursacht und schließlich zu einer Prüfung führt: „Der Knackpunkt ist stets: Welche Risiken veröffentliche ich als Unternehmen für Externe? Nun stellen Sie sich vor, dass Ihnen ein spezielles Risiko auf die Füße fällt, von dem Sie intern zwar durchaus wussten, aber es nicht für alle sichtbar nach außen dokumentieren wollten. Das ist letzten Endes eine Transparenzfrage.“*
Gerade bei Wirecard wird mangelnde Transparenz beklagt. Das Unternehmen versucht durch die Neuformierung des Vorstands und den Ausbau der Compliance- ebenso wie der Kommunikationsabteilung weiteren Unstimmigkeiten vorzubeugen. Auszahlen kann sich das allerdings bestenfalls langfristig. In der akuten Situation, die einer Krise gleicht, hilft das wenig.
Hoffnung auf DPR-Prüfung
Wenngleich der erste Reflex vieler Wirecard-Aktionäre auf den neuesten Financial-Times-Artikel erwartungsgemäß ablehnend ausfiel, so könnte ausgerechnet die unangenehme Prüfung der Vorgänge durch die DPR – sofern sie denn stattfindet – endlich Licht ins Dunkel bringen und die unrühmliche Posse um den einstigen Hoffnungsträger im DAX beenden. So oder so.
*GoingPublic Magazin, Special Kapitalmarktrecht März 2019, Seite 52 ff.