Ein Päckchen, zugestellt an Ernst & Young, wirft neue Fragen rund um den Bilanzskandal um den insolventen Aschheimer Wirecard-Konzern auf. Etwa: Warum haben die Wirtschaftsprüfer von EY eine BIlanz testiert, von der sie ahnten, sie sei nicht korrekt? Wurde Druck auf sie ausgeübt? Oder sind sie ihrer Sorgfaltspflicht schlicht und einfach nicht nachgekommen? Die Antwort auf diese Frage kann für geschädigte Anleger ausschlaggebend sien.
Die Wirtschaftsprüfer von EY (vormals Ernst & Young) stehen mehr und mehr am Pranger. Im Bilanzskandal um den insolventen ehemaligen DAX-Konzern Wirecard kommt ihnen eine unrühmliche Rolle zu: Sie testierten über Jahre Bilanzen des Aschheimer Zahlungsdienstleisters, obwohl sie – so ein Bericht des Handelsblatt – zuletzt "nicht an die Unschuld des Managements" glaubten. Das verleiht der Sache neue Brisanz.
Paket mit Inhalt
Am 6. Februar 2019 – 16 Monate bevor Wirecard den Bach runterging – ging bei der Münchener Niederlassung von EY ein Paket ein. Inhalt: Materialien, welche die von der Financial Times beschriebenen Unregelmäßigkeiten am Standort Singapur belegen sollten. EY wurde hellhörig, fragte bei Wirecard-Aufsichtsratchef Wulf Matthias nach. Und befürchtete, dass den Prüfern Unterlagen vorenthalten worden sein könnten. Denn: Bestandteil der Sendung war ausgerechnet ein Vertrag, der EY zuvor nicht vorgelegen hatte. Woher wusste der Absender, dass dies der Fall war?
Bedenken, dennoch uneingeschränktes Testat
In der Folge berichtete EY die "Unregelmäßigkeiten". Ein uneingeschränktes Testat, ein Persilschein, wie ihn Wirecard für das Geschäftsjahr 2018 nach Erhebung der Vorwürfe durch Dan McCrum und Stefania Palma von der Financial Times nun dringend brauchte, schien da in weiter Ferne. Dennoch erteilte EY am Ende genau das: ein uneingeschränktes Testat.
Anlegeranwalt sieht "kritische. Grundhaltung" Abhanden gekommen
Für den Berliner Anlegeranwalt Wolfgang Schirp verdeutlichen die neuen Erkenntnisse die Pflichtverletzung von EY als Wirtschaftsprüfer. „Mit einer kritischen Grundhaltung scheint das nicht mehr viel zu tun zu haben“, sagte er am Donnerstagabend dem AKTIONÄR. Der Berliner Anlegeranwalt vertritt eigenen Angaben zufolge hunderte institutionelle und private Anleger im Wirecard-Skandal gegen die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft. „Die Aufklärung läuft nur schleppend voran, obwohl sich EY vor dem Landgericht Stuttgart schon in ersten Verfahren verantworten muss.“ Im Sommer 2021 werden die Stuttgarter Richter erstmals im Wirecard-Skandal zur zivilrechtlichen Verantwortung der Wirtschaftsprüfer verhandeln, erklärte Schirp.
Der Skandal um Wirecard zieht immer weitere Kreise und immer mehr Beteiligte mit in den Abgrund. Wer als Anleger Geld mit Wirecard verloren hat, etwa, weil er auf das Testat von EY vertraut hat, für den kann das auxch positive Auswirkungen haben. Denn: Mit jeder Skandalmeldung steigen die Chanchen auf Schadenersatz, wenn potenziell Haftende Fehler erkennen lassen.