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10.07.2020 ‧ Leon Müller

Wirecard-Debakel: "Ein billiges Ablenkungsmanöver"

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Wirecard

Die Insolvenz des Zahlungsdienstleisters Wirecard bewegt weiterhin die Gemüter der Börsianer. Neben Fragen zur Fortführung des Geschäfts des Unternehmens mit Sitz in Aschheim bei München stellen sich Anleger zunehemnd auch solche nach der Verantwortung der Aufsichtsbehörden. Doch weder Bund noch Land Bayern wollen Verantwortung für das beispiellose Desaster übernehmen.

Das Ausmaß des Behörden-Hickhacks um die Aufsicht über den Zahlungsdienstleister und seine mutmaßlich kriminellen Geschäfte nach dem Milliardencrash des DAX-Konzerns Wirecard wird jetzt sichtbar. Nachdem sich die Finanzaufsicht Bafin in Sachen Wirecard für nur begrenzt zuständig erklärt hatte, sieht sich auch die bayerische Staatsregierung nicht in der Verantwortung. Dabei geht es um die Kontrolle von Geldwäsche, die der Bund in Teilen den Ländern übertragen hat. Die SPD warf der Staatsregierung deswegen am Freitag vor, sich aus der Verantwortung zu stehlen.

Wirecard (WKN: 747206)

Olaf Scholz will Instrumente schärfen

Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) hatte bereits eine Reform der Finanzaufsicht angekündigt. Am Freitag sagte er in Berlin: "Es geht jetzt darum, dass man mit großer Intensität aufklärt, was alles geschehen ist in der Frage Wirecard." Neben Veränderungen in nationalen Gesetzen forderte er, "dass es zusätzliche Kompetenzen auch für europäische Behörden geben muss". Er fügte hinzu: "Wir sollten immer den Ehrgeiz haben, dass Europa die schärfsten Instrumente hat im weltweiten Vergleich."


Tatsächlich gab es jedoch im Fall Wirecard offenbar ein Kompetenzwirrwarr. So hat das bayerische Innenministerium exakt am Tag des Wirecards-Insolvenzantrags am 25. Juni Bafin und Bundesfinanzministerium darüber informiert, dass Bayern bei Wirecard nicht zuständig für die Geldwäscheaufsicht sei, wie aus einer Antwort des Ministeriums auf eine Anfrage der SPD-Landtagsfraktion hervorgeht.

Finanzunternehmen oder nicht?

Der Hintergrund: An der Umsetzung des Geldwäschegesetzes sind sowohl der Bund als auch die Länder beteiligt. Für den "Nichtfinanzsektor" sind die Länder zuständig, allerdings zählen zum Nichtfinanzsektor auch einige Finanzunternehmen, die weder als Bank noch als Finanzdienstleister eingestuft sind. Zuständige Behörde in dieser Hinsicht für Ober- und Niederbayern ist die Regierung von Niederbayern. Nach der Argumentation des Innenministeriums zählte aber Wirecard nicht zu den Finanzunternehmen, für die eine Geldwäsche-Aufsicht des Landes in Betracht käme.


"Sogar Wirecard selbst hat gegenüber der Bafin erklärt, dass das Unternehmen sich nach dem Geldwäschegesetz als Finanzunternehmen sieht", sagte dazu der SPD-Bundestagsabgeordnete Michael Schrodi. Demnach hatten die Behörden monatelang diskutiert, ob die Regierung von Niederbayern zuständig sein könnte. "Insgesamt legt der Vorgang ein eklatantes aufsichtsrechtliches Versagen der Bayerischen Staatsregierung nahe", kritisierte Schrodi.

"Zuständigkeit nicht gegeben"

Das Innenministerium in München wies den Vorwurf zurück. "Hier von einem "eklatanten aufsichtsrechtlichen Versagen der Bayerischen Staatsregierung" zu sprechen, zeugt entweder von völliger Unkenntnis oder soll ein billiges Ablenkungsmanöver sein", erklärte ein Sprecher. "Nach geltender Rechtslage ist eine Zuständigkeit der Regierung von Niederbayern als Aufsichtsbehörde nicht gegeben."


Die dem Bund unterstehende Bafin wiederum ist bei Wirecard voll zuständig nur für die zum Konzern gehörende Bank. Die übrigen Unternehmensteile sind als Technologieunternehmen eingestuft, für die die Bafin nicht zuständig ist. Wirecard hatte am 25. Juni Insolvenz angemeldet und wenige Tage später mutmaßliche Luftbuchungen in Höhe von 1,9 Milliarden Euro eingeräumt. Die Münchner Staatsanwaltschaft ermittelt unter anderem gegen Ex-Vorstandschef Markus Braun.

Die Schuldzuweisungen respektive die Ablehnung der Übernahme von Verantwortung lässt den Börsenstandort Deutschland zunehmend beschädigt zurück. Vor den Augen der Aufsichtsbehörden in Bund und Ländern spielte sich ein beispielloser Betrug ab – den offenbar niemand bei den zuständigen Behörden sehen wollte. Der Ruf nach Konsequenzen wird nun lauter werden. Und das vollkommen zurecht.

Mit Material von dpa-AFX

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