Die großen Autobauer fahren einer Analyse zufolge weiter Rekordgewinne ein, nach Einschätzung von Volkswagen muss sich Europa wegen der Energiekrise und Inflation aber gegenüber China und den USA sputen. Der neue Volkswagen-Markenchef Thomas Schäfer sprach am Montag diesbezüglich eine Warnung aus.
Bis Ende September liefen die Geschäfte für viele Hersteller laut der Unternehmensberatung EY in der Summe sehr gut – insbesondere in China, ungeachtet der dort heftig umstrittenen Null-Covid-Strategie. Schäfer erklärte jedoch, dass Europa angesichts der Energieverteuerung und oft als schleppend empfundenen Förderpolitik "keine Zeit zu verlieren" habe. Sonst könnten schlimmstenfalls Milliarden-Investitionsvorhaben wie Batteriezellwerke gefährdet sein.
Wohl und Wehe der Autoindustrie hängen in weiten Teilen an China als größtem Markt. Die Pandemie hatte von dort aus viele Lieferketten zerrissen, rigorose Lockdowns lösten auch wirtschaftliche Schockwellen aus. Zuletzt aber ging es in der Volksrepublik für die Branche wieder bergauf: Beim Absatz legten die deutschen Hersteller um 28 Prozent im Vergleich zum Vorjahresquartal zu.
Auch der Volkswagen-Konzern betreibt zahlreiche Werke in dem Land. Schäfer, der im Sommer die Führung der Hauptmarke VW Pkw vom jetzigen China-Chef Ralf Brandstätter übernommen hatte, glaubt, dass das Entwicklungstempo in Fernost und in anderen Regionen weiter zulasten des Heimatmarkts Europa zulegen könnte. "Im internationalen Vergleich verlieren Deutschland und die Europäische Union rasant an Attraktivität und Wettbewerbsfähigkeit", schrieb der Topmanager im Online-Netzwerk LinkedIn. "Die USA, Kanada, China, Südostasien und Regionen wie Nordafrika geben Gas. Wir treten auf der Stelle."
Schäfer mahnte, die Wirtschaftspolitik müsse bei den Entlastungen aufs Ganze gehen. "Wenn es uns nicht gelingt, die Energiepreise in Deutschland und Europa rasch und verlässlich zu senken, sind Investitionen in energieintensive Produktion oder in neue Batteriezellfabriken praktisch nicht mehr darstellbar." VW will bis zum Ende des Jahrzehntes mindestens sechs eigene Akkuzellwerke auf dem Kontinent zum Laufen bringen. Außerdem justiert der größte europäische Autobauer seine Elektro- und Software-Strategie nach.
Als Verantwortlicher für das Massengeschäft im Konzern sei er wegen Europas Wettbewerbsfähigkeit "tief besorgt", so Schäfer. Das gelte ebenso für die Abläufe der EU-Wirtschaftsförderpolitik, die entweder zu sehr auf Einzelregionen oder die lange Frist angelegt seien. Neue Initiativen Deutschlands und Frankreichs zur industriepolitischen Kooperation seien "ein richtiger Schritt. Aber das gemeinsame Papier greift an den entscheidenden Stellen zu kurz." Berlin und Paris wollen in zentralen Schlüsseltechnologien stärker zusammenarbeiten.
DER AKTIONÄR sieht die Aktie von Volkswagen derzeit als Halteposition. Die Aktie ist zuletzt am Widerstand in Form der 200-Tage-Linie wieder nach unten abgeprallt. Nun gilt es, die 38-Tage-Linie zu verteidigen. Der Favorit im Sektor bleibt die Porsche AG.
Hinweis auf Interessenkonflikte: Der Vorstandsvorsitzende und Mehrheitsinhaber der Herausgeberin Börsenmedien AG, Herr Bernd Förtsch, ist unmittelbar und mittelbar Positionen über die in der Publikation angesprochenen nachfolgenden Finanzinstrumente oder hierauf bezogene Derivate eingegangen, die von der durch die Publikation etwaig resultierenden Kursentwicklung profitieren können: Volkswagen Vz und Porsche AG.