Düstere Aussichten für die Belegschaft: Deutschlands größte Stahlfirma Thyssenkrupp Steel setzt den Rotstift an: Die Zahl der Arbeitsplätze soll innerhalb von sechs Jahren um 11.000 schrumpfen, wie das Unternehmen mitteilte. Von jetzt 27.000 Stellen soll dann nur noch 16.000 übrig sein. Denn die defizitäre Firma möchte auch durch Kostensenkungen wieder profitabel werden.
5.000 Stellen sollen bis Ende 2030 in Produktion und Verwaltung wegfallen, 6.000 weitere Stellen sollen durch Ausgliederungen auf externe Dienstleister oder Geschäftsverkäufe ausgelagert werden. Mit dem nun vorgestellten Eckpunktepapier, das der Vorstand einem Aufsichtsratsausschuss vorstellte, reagiert das Unternehmen auf die Nachfrageschwäche. Mit dem Vorhaben verbunden ist die Reduzierung der Stahlkapazitäten von derzeit 11,5 Millionen Tonnen pro Jahr auf nur noch 8,7 bis 9,0 Millionen Tonnen. Das entspreche der Versandmenge des vergangenen Geschäftsjahres.
Die Stahlfirma gehört mehrheitlich dem Industriekonzern Thyssenkrupp. Die im MDAX notierte Aktie von Thyssenkrupp legte am Nachmittag um 2,6 Prozent zu.
Der Standort in Kreuztal (NRW) mit derzeit noch 500 Beschäftigten soll geschlossen werden, an den anderen Standorten soll die Zahl der Arbeitsplätze gesenkt werden. Duisburg, wo die Firma rund 13.000 Angestellte beschäftigt, wird besonders hart getroffen sein. Betriebsbedingte Kündigungen werden nicht explizit ausgeschlossen. Sie zu vermeiden, sei aber das Ziel, heißt es von der Firma. Die IG Metall bewertete das Vorhaben als "Kahlschlag", der für die Beschäftigten und den Industriestandort NRW "eine Katastrophe" sei.
Mit seinen Problemen steht Thyssenkrupp Steel Europe nicht alleine da, die ganze Branche ist unter Druck. Zu Deutschlands Stahlindustrie gehören unter anderem noch die Firmen Salzgitter und Arcelor Mittal sowie die Saarhütten, alles in allem waren in der Branche Ende 2023 rund 80.000 Menschen beschäftigt.
Die Branche steht vor einem tiefgreifenden Wandel. Sie soll auf Klimakurs getrimmt werden, was aber Milliarden kostet. Ziel ist es, den bislang sehr CO2-intensiven Stahl klimafreundlicher herzustellen und ihn damit "grün" zu machen. Aktuell kommen die schwierige konjunkturelle Lage und Billigimporte aus Asien hinzu.
"Die gesamte deutsche Stahlindustrie kämpft derzeit um ihr Überleben und ihre Zukunft", sagt die Hauptgeschäftsführerin des Branchenverbandes Wirtschaftsvereinigung Stahl, Kerstin Maria Rippel. Zu hohe Energiekosten und unfair subventionierte Konkurrenzprodukte aus China drohten, den Unternehmen die Luft abzuschnüren.
Verschlankung notwendig
Die Vorstandsriege von Thyssenkrupp Steel musste sich nach mehreren Abgängen unlängst neu sortieren. Sie hält den Stellenabbau für nötig, um dadurch den Erhalt der verbliebenen Stellen zu gewährleisten.
Man wolle für möglichst viele Beschäftigte langfristige Perspektiven schaffen, sagt Thyssenkrupps Stahlchef Dennis Grimm. Deshalb werde man sich durch gezielte Kapazitätsanpassungen und Kostensenkungen an die veränderten Marktbedingungen anpassen. "Um uns zukunftsfest aufzustellen, ist eine umfassende Optimierung und Verschlankung unseres Produktionsnetzwerkes und unserer Prozesse notwendig."
Ein wesentliches Element zur Kapazitätsreduzierung bleibe die Trennung von den Hüttenwerken Krupp Mannesmann (HKM), hieß es weiter. Das ist ein Gemeinschaftsunternehmen mit dem Stahlkonzern Salzgitter und dem französischen Röhrenhersteller Vallourec, an dem Thyssenkrupp Steel die Hälfte der Anteile hält - von den 3.000 HKM-Mitarbeitern werden bilanziell 1.500 Thyssenkrupps Stahlsparte zugerechnet. Sollte der Verkauf nicht möglich sein, sollen Schließungsszenarien besprochen werden.
Parallel zu dem Sparprogramm möchte die Konzernmutter Thyssenkrupp die Verselbstständigung des Stahlbereichs vorantreiben. Derzeit hält das tschechische Energieunternehmen EPCG des tschechischen Milliardärs Daniel Kretinsky 20 Prozent an Thyssenkrupp Steel, in einem nächsten Schritt soll dieser Anteil auf 50 Prozent steigen.
Den Bau einer rund drei Milliarden Euro teuren Anlage zur Produktion von "Grünstahl" in Duisburg möchte Thyssenkrupp Steel fortsetzen. Sie soll zunächst mit Erdgas, später dann mit Wasserstoff betrieben werden. Der Bund und das Land NRW zahlen dafür insgesamt zwei Milliarden Euro.
Trotz der kräftigen Finanzspritze des Staates ist das Vorhaben für Thyssenkrupp Steel eine teure Sache. Medienberichten zufolge war intern über einen Ausstieg aus dem Vorhaben nachgedacht worden. Nun betont das Unternehmen, dass man an dem Plan festhalte.
Gleichzeitig führe man "konstruktive Gespräche" mit den zuständigen Stellen, "um die Wirtschaftlichkeit dieses großen Investitionsprojekts unter den sich schnell verändernden Rahmenbedingungen sicherzustellen".
Es bleibt dabei: Der Weg für Thyssenkrupp aus der Krise ist nach wie vor weit, das Kursplus nach den Zahlen war zunächst einmal nur ein Tropfen auf den heißen Stein. DER AKTIONÄR hält daher an seiner Einschätzung fest: Um die Aktie sollte man derzeit einen Bogen machen.
Hinweis auf Interessenkonflikte
Der Vorstand und Mehrheitsinhaber der Herausgeberin Börsenmedien AG, Herr Bernd Förtsch, ist unmittelbar und mittelbar Positionen über die in der Publikation angesprochenen nachfolgenden Finanzinstrumente oder hierauf bezogene Derivate eingegangen, die von der durch die Publikation etwaig resultierenden Kursentwicklung profitieren können: Thyssenkrupp.
Mit Material von dpa-AFX