Der wohl anstehende Rückzug aus dem DAX hat die Linde-Aktie am Dienstag deutlich auf Talfahrt geschickt. Das mit Abstand wertvollste Unternehmen im deutschen Leitindex hatte zuvor bekanntgegeben, dass die deutsche Börsennotierung gestrichen werden soll – ein entscheidendes Kriterium, um Teil des DAX zu sein. Inzwischen haben sich die ersten Experten geäußert.
Für deutsche Anleger könnten die neuen Strukturen unattraktiv sein, weil sie durch die Notierung in US-Dollar ein Wechselkursrisiko eingingen, meint Analyst Peter Spengler von der DZ Bank. Überraschen sollte ein solches Delisting seiner Meinung nach aber nicht. Zudem verwies er darauf, dass die Dividende bereits in Dollar ausgezahlt wird.
Der Rückzug aus Frankfurt und damit einhergehend das Ende der DAX-Mitgliedschaft belaste den Aktienkurs, sagte ein Händler. Denn nun würden Investoren, die nicht im US-Markt engagiert seien, die Papiere wohl verkaufen. Der aktuelle Kursrutsch aber erscheine übertrieben, zumal Linde noch keinen Zeitrahmen gesetzt habe für den Rückzug.
Technische DAX-Beschränkungen als Ursache
Auch Analyst John Roberts von der Schweizer Bank Credit Suisse rechnet nur mit vorübergehendem Verkaufsdruck. So leidet Linde darunter, dass das Gewicht der Aktie im DAX nach oben künstlich begrenzt wird. Es wird quartalsweise überprüft und angepasst, wenn die Zehn-Prozent-Marke wieder einmal überschritten wurde. Bei zehn Prozent Index-Gewicht wird gekappt. Mit dieser Obergrenze will die Deutsche Börse verhindern, dass eine Aktie zu stark wird und damit den gesamten Index durch ihr Gewicht verzerren könnte.
Die Papiere von Linde aber hätten allein 2021 an ungefähr 60 Prozent aller Handelstage ein Gewicht von mehr als zehn Prozent im DAX gehabt, fuhr Roberts fort. Insofern habe sich ein rein technischer Verkaufsdruck zulasten der Aktie aufgebaut, denn etwa passive Index-Anbieter müssen dem Tun der Deutschen Börse folgen und ebenfalls umschichten. Entsprechend habe sich die Aktie während der Indexanpassungen generell schwächer entwickelt als der DAX.
Nach Ansicht des Credit-Suisse-Experten hat Linde noch abgewartet, ob sich mit der Aufstockung des Leitindex von 30 auf 40 Mitglieder im vergangenen Jahr etwas zum Positiven ändert. Doch die Anleger der Deutschen Börse hätten sich dagegen ausgesprochen, die Kappungsgrenze von 10 auf 15 Prozent zu erhöhen. Im S&P 500 hingegen liege die Gewichtung von Linde bei weniger als 1 Prozent, ähnliche Gewichtungsbegrenzungen wie an den meisten europäischen Börsen mit einem dadurch einhergehenden Druck auf die Bewertung gebe es daher nicht.
Vorteile durch den Rückzug
Laut Roberts hat der geplante Rückzug vom deutschen Aktienmarkt neben der Aussicht auf eine höhere Unternehmensbewertung auch andere Vorteile. So werde der Konzern in der Lage sein, seine Berichterstattung nach dem internationalen Regelwerk IFRS aufzugeben und brauche seine Geschäftszahlen dementsprechend nur noch nach dem US-Standard GAAP zu ermitteln. Dies senke die Kosten für Rechnungslegung sowie Rechtsberatung und reduziere das Risiko der Einhaltung gesetzlicher Vorschriften durch eine vereinfachte Regelkonformität.
Das deutliche Minus am Dienstag scheint übertrieben. Doch wenn der Druck durch die Indexfonds aus dem Markt weicht, dürfte sich die Aufregung schnell legen. Linde bleibt mit seinem starken Portfolio ein Basisinvestment – ein reines US-Listing könnte sogar dafür sorgen, dass der Aktie eine höhere Bewertung zugestanden wird.