Waren und Güter werden immer effizienter und schneller bewegt. In Zeiten von Same-Day-Delivery-Service geht ohne eine optimierte Intralogistik – unter diesem Begriff werden Material- und Warenflüsse innerhalb eines Betriebsgeländes zusammengefasst – nichts mehr. Der Trend zur Automation und der boomende Onlinehandel spielen der KION Group in die Karten.
Als Komplettanbieter, dessen Portfolio vom handbedienten Gabelstapler bis zu vollautomatisierten Lagerhäusern reicht, ist der Konzern perfekt positioniert, um von dieser Entwicklung zu profitieren.
DER AKTIONÄR sprach mit Finanzvorstand Anke Groth über die Auswirkungen der Corona-Pandemie, den Einfluss der Krise auf das operative Geschäft und Megatrends wie Automatisierung, Digitalisierung und moderne Antriebstechnologien sowie die Rolle Chinas für die Würzburger.
DER AKTIONÄR: Wie groß ist der Einfluss der Pandemie auf das operative Geschäft der KION Group?
Anke Groth: Für das Geschäftsjahr 2020 erwarten wir insbesondere im Staplergeschäft einen deutlichen Rückgang unserer wichtigsten Kennzahlen, inklusive des operativen Ergebnisses. Die pandemiebedingte, spürbare Investitionszurückhaltung bei Flurförderzeugen sowie die derzeitigen Einschränkungen im Service- und in der Ausführung der Projekte im Supply-Chain-Solution-Geschäft werden sich im laufenden Geschäftsjahr spürbar auf den Auftragseingang und den Umsatz auswirken, wodurch auch das EBIT bereinigt und der Free Cashflow belastet werden. Doch wir sind gleichermaßen davon überzeugt, dass wir aufgrund unserer innovativen Produkte, Services und Lösungen – gerade im Automatisierungs- und Supply-Chain-Bereich – nach der Corona-Pandemie eine noch deutliche stärkere Nachfrage für unsere Angebote sehen werden.
Wie zufrieden sind Sie vor diesem Hintergrund mit dem Jahresauftakt?
Dank eines im Januar und Februar noch guten Geschäftsverlaufs sind wir insgesamt solide in das Jahr 2020 gestartet. Im März aber beeinflusste die Corona-Pandemie den Geschäftsverlauf sowie die Zulieferketten im Stapler-Segment „Industrial Trucks & Services“ negativ. Dematic, unser globaler Spezialist für den Materialfluss mit intelligenten Software-, Supply-Chain- und Automatisierungslösungen, knüpfte dagegen durchweg an die positive Entwicklung der Vorquartale an. Auftragseingang und Umsatz auf Konzernebene verzeichneten daher insgesamt, trotz der zunehmenden Auswirkungen des Corona-Virus gegen Ende des Quartals, mit 1,8 bzw. 2,7 Prozent nur leichte Rückgänge zum Vorjahr.
Mit Ihrer Hilfe konnte der Materialfluss in den systemrelevanten Bereichen aufrecht erhalten werden, oder?
Richtig. Als weltweit führender Intralogistik-Anbieter helfen wir dabei, den Grundbedarf der Bevölkerung zu sichern, die Durchgängigkeit der Lieferketten stabil zu halten sowie den Gesundheitssektor zu versorgen. Dies gilt auch für den Service und die Ersatzteilversorgung, die gerade in der derzeitigen Ausnahmesituation höchste Bedeutung haben. Sie sehen, wir spielen eine Schlüsselrolle für die gesamte Gesellschaft. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir am Ende gestärkt aus der Krise hervorgehen werden.
Welcher Bereich kommt besser durch die aktuelle Phase: Industrial Trucks & Services oder das Segment Supply Chain Solutions?
Wir sind in beiden Geschäften gut aufgestellt. Allerdings wirkt die Corona-Krise auf die beiden Segmente sehr unterschiedlich. Der Weltmarkt für Flurförderzeuge ist im ersten Quartal 2020 deutlich zurückgegangen. Die Zahl der bestellten Neufahrzeuge lag um 9,4 Prozent unter dem Vorjahreswert. Davon sind auch wir betroffen. In China zeichnet sich nach den Auswirkungen der Corona-Pandemie allerdings inzwischen wieder eine Erholung des Staplermarktes ab. Unser auf Automatisierungslösungen spezialisiertes Segment Supply Chain Solutions hat hingegen an die positive Entwicklung der Vorquartale angeknüpft. Klar ist: Die zunehmende Verlangsamung der Wirtschaft und damit eine einhergehende Investitionszurückhaltung wirkt sich natürlich auch auf den Markt für Supply Chain Solutions aus, aber eben bei weitem nicht so stark wie auf das Geschäft mit Flurförderzeugen. Hier sind es eher Verschiebungen in den Kundensegmenten: So rechnen wir zum Beispiel mit Projektverschiebungen in den Branchen Bekleidung und Gebrauchsgüter. Dagegen sollte sich die Nachfrage im E-Commerce, der Lebensmittel-, Getränke- sowie der Pharmaindustrie weiterhin positiv entwickeln.
Worauf können sich die Anleger im Gesamtjahr einstellen – sofern man das heute schon beurteilen kann?
Der Blick in die Zukunft ist in diesen Zeiten noch schwieriger als sonst. Angesichts der Unsicherheit über den weiteren Verlauf, die Dauer sowie die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die weltweite gesamtwirtschaftliche Entwicklung hat der Vorstand Ende März beschlossen, die im Geschäftsbericht 2019 veröffentlichte Prognose für das Geschäftsjahr 2020 vorerst zurückzuziehen. Verlässliche Prognosen für das Gesamtjahr werden erst möglich sein, wenn sich die gesamtwirtschaftliche Situation einschließlich der Lieferketten wieder stabilisiert hat. Wir alle wissen: Das wird noch etwas dauern.
Blicken wir über den Tellerrand hinaus: KION investiert in beide Segmente, um sein mittel- bis langfristiges Wachstum voranzutreiben. Wie sehen Ihre Pläne und Zielsetzungen im Detail aus?
Unsere Strategie „KION 2027“ verfolgen wir mit Nachdruck weiter. Auch wenn sich aufgrund der Corona-Pandemie Zeitpläne verschieben, setzen wir unsere Investitionen in den nachhaltigen Erfolg unseres Unternehmens fort, zum Beispiel mit unseren neuen Stapler-Werken in China und Polen. Zudem hat die KION Group ja erst kürzlich das auf Logistikanwendungen spezialisierte britischen Software-Unternehmen „Digital Applications International Limited“ erworben. Damit erweitert unsere Tochter Dematic ihr Software-Angebot im Bereich Supply Chain Solutions signifikant.
Welche Rolle spielt China und ihr Großaktionär dabei?
China ist längst Teil der DNA der KION Group. Vor mehr als einem Vierteljahrhundert waren wir eines der ersten westlichen Unternehmen, das in China in eigene Produktion, Entwicklung, Vertrieb und Service investiert hat. Der langfristige Ausbau unseres Geschäfts im weltweit größten Einzelmarkt für Flurförderzeuge spielt für uns deshalb eine Schlüsselrolle. Mit dem neuen Werk im ostchinesischen Jinan wollen wir die Chancen im Value-Segment nutzen sowie von der zunehmenden Elektrifizierung der Flurförderzeuge in China profitieren. Diese Investition ist gleichzeitig ein gutes Beispiel für unsere sehr gute Zusammenarbeit mit unserem Anker-Investor Weichai Power. Er wird an der neuen Gesellschaft in Jinan fünf Prozent halten und unser Geschäft durch seine starke regionale Verankerung unterstützen.
Ist langfristig - auch bedingt durch die Coronakrise - mit einer Beschleunigung der Aktivitäten im Bereich E-Commerce- und Omnichannel-Strategien oder der Automatisierung und Elektrifizierung der Lagerhäuser zu rechnen?
Zentrale Treiber unseres Geschäfts bleiben die Hinwendung der Verbraucher zum Online-Handel und die fragmentierten Lieferketten – an denen aus meiner Sicht auf lange Sicht weder die Corona-Pandemie noch Handelskonflikte grundlegend etwas ändern werden. Darüber hinaus besteht der globale Wunsch nach neuen Antriebstechnologien und Energieträgern, um die Logistik und Intralogistik nachhaltiger zu gestalten.
Automatisierung, Digitalisierung und moderne Antriebstechnologien werden künftig in der Intralogistik also eine noch bedeutendere Rolle spielen, oder?
Die Pandemie verdeutlicht uns ja gerade, wie wichtig funktionierende Lieferketten sind. Auch der Onlinehandel ist in der aktuellen Ausnahmesituation gefragter denn je. Das wird sich nicht mehr zurückdrehen lassen. Viele Verhaltensweisen, die für uns jetzt in der Krise vielleicht noch neu sind, werden danach Gewohnheiten sein, die wir nicht mehr ablegen. Die Corona-Krise führt uns eindringlich vor Augen, welche große Bedeutung unsere Digitalisierungsinitiativen haben und dass wir sie vielleicht noch intensiver vorantreiben müssen. Denken Sie beispielsweise an fahrerlose Transportsysteme und voll automatisierte Warenlager. Deshalb entwickelt sich KION auch mehr und mehr von einem Hardware- zu einem Software-Unternehmen. Innovative Software ist für unseren zukünftigen Erfolg entscheidend, denn Daten sind der Rohstoff der Zukunft. Mit dem Zusammenspiel von führender Hard- und Software schaffen wir als Komplettlösungsanbieter enorme Wettbewerbsvorteile für unsere Kunden.
Zum Abschluss: Wo sehen Sie KION in drei bis fünf Jahren?
Weiterhin weltweit führend auf dem Gebiet der Intralogistik. Unsere innovativen Produkte und unser ausgeprägtes Servicebewusstsein werden für den Kunden weiterhin die entscheidenden Punkte sein, um mit KION zusammenzuarbeiten. Und die Begeisterungsfähigkeit und Professionalität unserer Mitarbeiter ist dann das Tüpfelchen auf dem i. Ich bin davon überzeugt, von KION werden Sie zukünftig noch viel mehr als heute hören, wenn es um Spitzen-Lösungen in der Intralogistik geht.
Vielen Dank für das Gespräch!