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21.08.2023 Florian Söllner

Hans-Olaf Henkel: „Situation gefährlich.“ Intel-Milliarden umsonst? „Sackgasse Energie und sozialpolitisches Füllhorn“

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Im Teil 2 des Interviews mit dem AKTIONÄR HSR fordert der Ex-BDI-Chef Hans-Olaf Henkel mehr klare Worte und eine 180-Gradwende in der Politik. Wichtig sei mehr Nachhaltigkeit in der Finanz- und Bildungspolitik. 

Hans-Olaf Henkel hat die Schwäche des Euros und eine hohe Inflation vorhergesehen. Der ehemalige Topmanager war bis Ende 2000 Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI). Der Vater von vier Kindern hat ein grünes Herz („Ökomanager des Jahres“) und ist für seine klaren Worte bekannt. Wir haben ihn im Urlaub am Bodensee erreicht und nach seiner Meinung zum wirtschaftlichen Abrutschen Deutschlands befragt.

Herr Henkel, Sie verfolgen die wirtschaftliche Lage seit vier Jahrzehnten. Deutschland gilt wie schon vor 25 Jahren wieder als „kranker Mann“ Europas. Wie verfahren ist die Lage?

Hans-Olaf Henkel: Auch früher hatten wir schwierige Phasen. Anfang der 2000er Jahre hatte ich mit Gerhard Schröder über den Standort Deutschland zu streiten. Wie Helmut Kohl meinte auch er, ich würde übertreiben. Immerhin führte die Standortdiskussion 2003 zu einigen wichtigen Arbeitsmarktreformen in der „Agenda 2010“. Doch diese sind inzwischen von Angela Merkel und Hubertus Heil weitestgehend wieder abgeräumt und teilweise ins Gegenteil gewendet worden. Im Vergleich zu damals ist die Situation heute gefährlicher, denn wir haben jetzt mehr Konkurrenz. Heute kämpft der deutsche Mittelstand nicht nur gegen Japan und Osteuropa. China, Südostasien, Indien und die wieder erstarkte USA sind hinzugekommen.

Große Firmen wie TSMC oder Intel erhalten nun Geld, damit sie trotz hoher Energiekosten und Verwaltungsaufwendungen bei uns investieren. Sind solche Ansiedlungen ein Hoffnungsschimmer?

Seit den 70er Jahren wurden immer wieder Milliarden Mark, Francs oder Billionen Lira für Programme mit dem Ziel ausgegeben, europäische Computerfirmen wettbewerbsfähiger zu machen. Alles vergebens. Es gibt heute keine nennenswerten europäischen Computerhersteller mehr. Jetzt versuchen Brüssel und Berlin wieder einmal mit gigantischen Subventionen eine europäische Chipindustrie zu fördern. Ich fürchte, das Projekt wird genauso scheitern. Statt einer europäischen Industriepolitik brauchen wir eine gute Politik für die deutsche Industrie.

Viele energieintensive Firmen verlagern ihre Produktion in attraktivere Standorte ins Ausland. Kann das die Lösung sein?

Große Firmen können ins Ausland gehen, der Mittelstand hingegen ist oft am deutschen Standort festgenagelt. Und die Standortproblematik ist mittlerweile dramatisch. Der Mittelstand ist dennoch optimistisch und meckert nicht viel.

Hans-Olaf Henkel

Wie gut sind die Firmen durch Verbände wie dem Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) vertreten?

Viele Jahre sind auch BDI Präsidenten fröhlich mit den Regierungen auf Weltreise gegangen und haben sich, seit mein unmittelbarer Nachfolger Michael Rogowski ausgeschieden ist, mit der Politik nicht mehr anlegen wollen. Ich bin froh, dass wir heute wieder einen BDI-Präsidenten haben, der Tacheles redet. Früher war der BDI immer die wichtigste Stimme der wirtschaftspolitischen Opposition. So was brauchen wir heute mehr denn je. Ich hoffe nur, dass es nicht mehr so lange dauert, bis auch die Wähler merken, dass man jetzt Politiker braucht, die etwas von Wirtschaft verstehen und die Prioritäten entsprechend ausrichten.

Ich habe immer noch großes Vertrauen in besonders in solche deutsche Firmen, die weniger abhängig vom deutschen Markt und mehr global aufgestellt sind. Dort würde ich investieren.

Sie haben frühzeitig vor einer verfehlten Währungspolitik gewarnt. Mittlerweile hat die Inflation die Kaufkraft des Euros stark verringert.

Als ich 1962 das erste Mal zum Bodensee in den Urlaub fuhr, bekam ich für 90 Pfennige, also umgerechnet 46 Eurocent, einen Schweizer Franken. Heute muss ich für einen Franken mehr als das Doppelte bezahlen. Im Vergleich zur Schweiz hat sich der Wert unseres volkswirtschaftlichen Kapitals halbiert.

Warum?

Aus der deutschen Mark ist inzwischen ein „französischer Franc“ geworden der Euro genannt wird. Über den Umweg der EU hat die französische Regierung immer mehr auch in der deutschen Wirtschaftspolitik zu sagen. Wir müssen auch dafür sorgen, dass die EZB wieder wie die damalige Bundesbank agiert, was uns ja auch von Theo Waigel und Helmut Kohl bei der Einführung des Euro versprochen aber seit Gerhard Schröder und Angela Merkel nicht mehr eingehalten wurde.

Viel Gegenwind erfahren Verbraucher und Firmen durch weltweit rekordverdächtig hohe Strompreise in Deutschland. Sehen Sie Licht am Ende des Tunnels und nach der Energiewende wieder normale Preise?

Bei der Energiepolitik sind wir in der Sackgasse. Man müsste das Energieruder um 180 Grad herumreißen um wirklich konkurrenzfähige Energiepreise zu erreichen. Einer neuen Studie zufolge, die der ehemalige Grüne Politiker Oswalt Metzger gerade ausgegraben hat, könnten und sollten wir sogar bis zu acht AKWs reaktivieren. Das wäre eine vernünftige Lösung, denn zurzeit sind wir zusammen mit Österreich und der Schweiz die Geisterfahrer auf dem Weg zu einer klimaneutralen und wettbewerbsfähigen Energiepolitik. Weltweit sind über 50 neue Kernkraftwerke in der Planung oder im Bau. Es ist durchaus zu erwarten, dass auch die Grünen eines Tages sagen: Moment mal, fürs Klima ist Kernkraft besser als Kohle und Gas, denn wir sind heute schon an der Spitze beim Vermeiden von CO2. Daher ist es auch wichtig, dass wir uns mit der wahren Ursache des Klimawandels beschäftigen.

Strompreis (Verbraucher)

Und die wäre?

Es leben immer mehr Menschen auf der Welt, und diese verlangen meist zu Recht einen höheren Lebensstandard. Statt nur mit Unsummen zu versuchen von Deutschland das Weltklima zu beeinflussen, sollten wir mehr dort investieren, wo die Folgen des Wandels abzumildern sind und verhindern, dass die Weltbevölkerung weiterhin unkontrolliert zunimmt. Man kann doch nicht auf der einen Seite den menschengemachten Klimawandel propagieren und sich dann weigern, dessen Ursachen anzugehen.

Eine Treppe kehrt man immer von der obersten Stufe an. Deshalb müssen auch wir bei den nötigen Änderungen oben anfangen. Wir brauchen eine Regierung, die die Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie zur Priorität macht. Und das kann nur jemand, das Ahnung davon hat und dem man es zutraut. Ich hoffe, dass sich die Erkenntnis bald durchsetzt, dass wir weniger das weltweite Klima und mehr die deutsche Wirtschaft in den Blick nehmen.

Wie kann Deutschland seinen Rückstand wieder aufholen?

Wir sollten den Deglobalisierern von links und von rechts das Handwerk legen und uns für mehr Handelsabkommen wie das TTIP mit den USA und für die Erweiterung des Binnenmarktes engagieren. Wir brauchen jetzt nicht noch „mehr Europa“ im Sinne Verlagerung von mehr Verantwortung nach Brüssel, wir brauchen dagegen einen größeren europäischen Binnenmarkt.

Was liegt Ihnen noch auf dem Herzen?

Wir sprechen nur beim Klima von „Nachhaltigkeit“. Doch was ist mit einer nachhaltigen Finanzpolitik? Was mit einer nachhaltigen Sozialpolitik? Oder einer nachhaltigen Bildungs- und Forschungspolitik? Hier wird immer nur kurzfristig agiert, auf Kosten der Zukunft. Auch deshalb ist etwa das Festhalten an der Schuldenbremse wichtiger als das fortgesetzte Ausschütten des sozialpolitischen Füllhorns.

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