Der weltgrößte Erdgasproduzent Gazprom baut seine Marktmacht in Europa weiter kontinuierlich aus. Dabei stößt der Konzern aber auch immer wieder auf Widerstand. Jüngster Streitpunkt ist diesmal ein neuer Gasvertrag zwischen Russland und Ungarn, der für erheblichen Unmut in der Ukraine sorgt.
So bestellte Kiew den Botschafter Ungarns ein. "Das neue Abkommen Ungarns mit Gazprom ist ein ernster Schlag für die ukrainisch-ungarischen Beziehungen", sagte der ukrainische Außenamtssprecher, Oleh Nikolenko, am Dienstag der Agentur Interfax zufolge. Kiew werde "entschlossene Maßnahmen" zur Verteidigung der nationalen Interessen ergreifen.
Ungarn wiederum bestellte den ukrainischen Botschafter ein. "Wir verbitten es uns, dass die Ukraine die Gasversorgungssicherheit Ungarns zu torpedieren trachtet", sagte Außenminister Peter Szijjarto in Budapest. Ungarn betrachte das als eine Verletzung seiner Souveränität. Die Beziehungen der Nachbarländer sind ohnehin durch einen Streit um die ungarische Minderheit in der Ukraine belastet.
Nach Ansicht Russlands hat die Ukraine nicht das Recht, sich in den Vertragsabschluss einzumischen. "Es werden hier keine Rechte, keine internationalen Handelsregeln verletzt", sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow. Moskau sei aber bereit, mit Kiew über direkte Gaslieferungen zu sprechen. Die Ukraine kauft seit 2015 kein Gas mehr beim russischen Nachbarn. Die Beziehungen zwischen Moskau und Kiew sind seit langem zerrüttet.
Neuer 15-Jahres-Kontrakt
Zuvor war in Budapest ein Liefervertrag über 15 Jahre zwischen dem russischen Gaskonzern Gazprom und dem ungarischen Energieunternehmen MVM Group unterzeichnet worden. Ungarn erhält demnach 4,5 Milliarden Kubikmeter Erdgas unter Umgehung der Ukraine. Mit 3,5 Milliarden Kubikmetern soll der Löwenanteil über die Südroute durch das Schwarze Meer, die Türkei, Bulgarien und Serbien nach Ungarn gelangen.
Kiew sieht sich seit langem durch den Bau neuer Leitungen fernab der Ukraine in seiner Rolle als Haupttransitland für Erdgas aus Russland in die Europäische Union bedrängt. Die Ex-Sowjetrepublik ist dabei vor allem gegen die noch nicht in Betrieb genommene neue Pipeline Nord Stream 2 durch die Ostsee.
Die Südroute wird aus Rücksicht auf die Türkei nur vorsichtig kritisiert. Im April hatte das ukrainische Gastransportunternehmen den Verlust an Gastransit infolge von Turkish Stream auf etwa 10 Milliarden bis 12 Milliarden Kubikmeter jährlich geschätzt.
Die Gazprom-Aktie setzt ihren Höhenflug indes auch in dieser Woche weiter fort. Dennoch sind die Papiere mit einem KGV von gerade einmal 4 immer noch absolute Schnäppchen. Mutige können weiterhin zugreifen (Stopp: 5,90 Euro).
Mit Material von dpa-AFX