Das Coronavirus macht Anleger nervös. Folker Hellmeyer ist Chefanalyst des Finanzverwalters Solvecon Invest und war zuvor in gleicher Position mehr als ein Jahrzehnt bei der Bremer Landesbank beschäftigt. Im Interview mit DER AKTIONÄR spricht Hellmeyer über die Chancen, die sich aus der Schwächephase an den Börsen ergeben.
DER AKTIONÄR: Der DAX stürzt zum Wochenbeginn um 500 Punkte ab – die Angst vor einer unkontrollierten Ausbreitung des Coronavirus ist zurück. Ist das der schwarze Schwan, vor dem sich alle gefürchtet haben?
Folker Hellmeyer: Ich sehe es nicht als schwarzer Schwan, auch wenn es den Anschein hat, als würde das momentan diskontiert werden. An Covid-19 wird die Welt nicht zugrunde gehen, so wie schon vorher nicht an SARS und MERS. Das Problem ist, dass die Inkubationszeit länger ist und die Ansteckung aggressiver erfolgt. Doch gerade wenn wir nach China blicken, ermutigt mich, dass die Zahl der Genesenen dynamisch ansteigt und die Zahl der neu mit dem Virus Infizierten deutlich an Dynamik verliert.
Die Frage, die wir uns heute stellen müssen, lautet, bewerten wir die Zahl der Neuinfektionen in Südkorea und Italien richtig? Das sind überschaubare Größen und die getroffenen Gegenmaßnahmen sind viel umfangreicher, als wir das damals bei SARS oder MERS beobachten konnten. Legt man die Erfahrungswerte zugrunde, sehen wir hier eine emotionale Reaktion der Anleger und das ist angesichts der mit der Thematik verbundenen Unsicherheit absolut verständlich und nachvollziehbar. Trotzdem handelt es sich hierbei letztlich um eine Übertreibung. Vergessen Sie nicht, dass sich die Weltwirtschaft trotzdem positiv entwickelt, wir reden nicht von einer Rezession.
DER AKTIONÄR: Zuletzt hatte sich der Markt stark präsentiert, Themen wie der Handelsstreit zwischen China und den USA und anschließend das Coronavirus wurden zügig ad acta gelegt, neue Rekordhochs folgten. Haben die Anleger die Risiken einfach unterschätzt?
FH: Geht man von der These aus, dass der Markt immer recht hat, stimme ich dem zu. Es hat sicherlich eine zu große Zuversicht geherrscht, dass sich das Thema auf China beschränkt und die dortige Regierung das Problem über kurz oder lang in den Griff bekommt. Mit den jüngsten Meldungen aus Südkorea, Italien und auch dem Iran schärft sich wieder das Bewusstsein für die Risiken. Doch ich bleibe dabei: Covid-19 ist ein temporäres Problem und im Anschluss werden wir im konjunkturellen Verlauf Aufholeffekte erleben, nicht zu 100 Prozent, aber es wird sie geben.
DER AKTIONÄR: China hat auf den Virenausbruch mit der Schließung von Tausenden Fabriken reagiert. Besteht eine ähnliche Gefahr hier in Europa und welche Auswirkungen hätte eine solche Maßnahme auf die Konjunktur?
FH: Wir sehen doch bereits die Auswirkungen. Die internationalen Lieferketten funktionieren nicht mehr optimal und in einem solchen Umfeld fällt einem das „Just-in-time“-Konzept, das wir alle betreiben, auf die Füße. Das hat Bremseffekte weit über China hinaus, wie wir bereits bei Apple gesehen haben. Verfestigt sich das Problem in Europa, werden wir am Ende dieselben Maßnahmen erleben, wie die, die in China vorgenommen wurden und das hätte drastische Folgen.
DER AKTIONÄR: Die Bewertung an den Aktienmärkten ist in den vergangenen Monaten gestiegen. Macht das aktuell höhere Bewertungsniveau es schwieriger, Krisen auszuhalten?
FH: Ich bin da recht entspannt. Die Märkte sind tatsächlich gut gelaufen, aber von einer Überbewertung kann nicht die Rede sein. Die USA sind sportlich bewertet, Europa liegt im Rahmen des historischen Mittels. Wenn wir in aufstrebende Länder schauen, nach China und Russland, etwa, dann betragen die KGVs dort 12 beziehungsweise 6,5.
DER AKTIONÄR: Rechnen Sie mit einem Eingreifen der Europäischen Zentralbank?
FH: Das ist nicht mein präferiertes Szenario, doch die EZB hat gerade am Wochenende versichert, dass sie für den Fall, dass es zu weiteren Verwerfungen kommt, erneut an der Zinsschraube wird. Der Grenznutzen einer solchen Maßnahme wäre meiner Meinung nach allerdings nicht mehr sehr ausgeprägt. Für die USA hatten wir in unserem Jahresausblick geschrieben, dass wir zwei Zinssenkungen 2020 für wahrscheinlich halten und sogar vier nicht ausschließen wollen, und an dieser Einschätzung halten wir fest. Insgesamt wird das Zinsniveau international weiter sinken, und das verleiht den Aktienmärkten nach dem Ausverkauf zusätzliche Attraktivität und damit Aufwärtspotenzial.
DER AKTIONÄR: Der Kursrückgang von 13.800 auf 13.100 Punkte war empfindlich, der von Ihnen bezeichnete Ausverkauf könnte den Markt allerdings noch tiefer drücken. Wie weit genau und ab welchem Niveau können Anleger zugreifen?
FH: Wir haben sehr gute Unterstützungszonen zwischen 12.600 und 12.800 Punkten und die will ich keinesfalls in dieser aktuellen Bewegung ausschließen. Die nächstgrößere Unterstützung liegt bei 11.800 bis 12.000 Punkten. Das entspricht unserem Worst-Case-Szenario. Ich erwarte allerdings in diesem Fall eine sehr schnelle und sehr starke Gegenbewegung nach oben bis auf das aktuelle Niveau und darüber hinaus.
DER AKTIONÄR: Wie kommt es zu diesen enorm hohen Kursschwankungen der jüngeren Vergangenheit, die können nicht nur von kleineren Privatanlegern verursacht werden? Stecken vielleicht Kaufprogramme und institutionelle Anleger dahinter?
FH: Ganz klar, der Algorithmus bestimmt die Märkte. Die Programme berücksichtigen technische und psychologische Faktoren und das sind die Treiber, die die Kurse bewegen. Fallen bestimmte Marken, greifen diese Programme und dann fehlt es an Liquidität und Marktteilnehmern, die das auffangen könnten und dagegen vorgehen.
DER AKTIONÄR: Wie sollten sich Privatanleger im aktuellen Marktumfeld verhalten?
FH: Zunächst würde ich mir ganz genau die Bewertung bestimmter Unternehmen ansehen und zwar von solchen, die für die Grundversorgung der Menschen unverzichtbar sind. Dazu zählt für mich übrigens auch eine BASF, denn ohne Chemie als Optimierer läuft nichts mehr. In diesem Umfeld finden Sie Dividendenrenditen von fünf bis sieben Prozent während der Kapitalmarktzins null oder 0,5 Prozent beträgt. Wer als Investor in diesen Markt gehen will, der sollte diese Schwäche ausnutzen und dividendenstarke Titel kaufen. Technologieaktien sind ebenfalls interessant. Ich halte Zahlungsdienstleister für aussichtsreich und auch die Geschäftsmodelle von E-Commerce-Firmen wie Alibaba und Amazon.
DER AKTIONÄR: Ist Gold nach der jüngsten Rallye noch attraktiv?
FH: Ich habe 2001 als Chefanalyst, als erster Chefanalyst einer deutschen Bank überhaupt, gesagt, dass der Goldpreis vierstellig wird und ich bin überzeugt, dass sich die Aufwärtsbewegung bei Gold fortsetzt, auch wenn der jüngste Kursanstieg natürlich sportlich gewesen ist. Ein Teil der Kursbewegung ist Covid-19 geschuldet und das wird irgendwann ausgepreist werden, doch der darunterliegende Trend einer Abkopplung vom Dollar wird sich fortsetzen. Die USA haben ihr Machtmonopol ungleich eingesetzt und viele Länder, die nicht dem westlichen Bündnis angehören, bauen jetzt Reserven in Gold auf. Das ist die zugrundeliegende Kraft, die Gold mittel- und langfristig antreiben wird.
Dieses Interview ist Teil der Titelgeschichte in der neuen Ausgabe von DER AKTIONÄR (10/2020) – erhältlich ab sofort als E-Paper oder ab Freitag am Kiosk.