Blickt man auf die deutschen Aktienkurse, gerät man derzeit ins Staunen. Allen schlechten Rahmenbedingungen zum Trotz laufen manche DAX-Schwergewichte, als wären sie Tech-Werte. Ein paar Gedanken zu zwei davon.
An der Börse wird die Zukunft gehandelt. Eine Binsenweisheit. Überhaupt ist Börse viel Psychologie. Wer pessimistisch ist, der verkauft. Der Optimist sieht Chancen. Stimmung macht Kurse. In den Kursen ist in der Regel alles enthalten – Gutes wie Schlechtes.
Wie ist die Stimmung in Deutschland? Angespannt. Zähe Koalitionsverhandlungen bestimmen die politischen Schlagzeilen. Klappt es mit der Nicht-mehr-ganz-so-GroKo? Wählt Merz die Minderheitsregierung? Scheitert er am Ende an der Migrationsfrage? Solche Unsicherheiten sind am Ende Gift für die Kurse. Im Wirtschaftsteil der Zeitungen ähnlich angespannte Stimmung: Offene Briefe von Wirtschaftskapitänen an Spitzenpolitiker. Insolvenzen en masse – vom örtlichen Restaurant über den mittelständischen Zulieferer bis zum Berliner Baulöwen. Jeder kennt einen, jeder hat etwas gelesen. Auch hier nichts, was Anleger glücklich macht.
Und wie ist die Stimmung an der Börse? Ausgezeichnet. Muss man so sagen. Der DAX notiert seit Jahresanfang knapp 15 Prozent im Plus. Ein Schwergewicht wie die Allianz verzeichnet fast 20 Prozent Zuwachs, ebenso eine Münchener Rück. Software-Riese SAP ist da mit rund sieben Prozent Plus seit Jahresanfang schon fast eine Bremse.
Mal ehrlich: Die Aktien von Allianz und Münchener Rück sind in meinem Depot seit Jahrzehnten Kernpositionen. Und darüber freue ich mich. Regelmäßig. Über Dividenden. Über extrem robuste Geschäftsmodelle von Weltmarktführern. Über stetige Einnahmenströme. Für mich sind Versicherer so etwas wie früher Versorger – nur besser. Niemand kündigt eine Versicherung, nur weil der Preis für Butter steigt – und von einer Lebensversicherung in die andere zu wechseln, das geht nicht eben mal bei Check24 oder Verivox.

Aber 20 Prozent seit Jahresanfang? Das wären zum Jahresende dann 80 – wenn wir unterstellen, dass es so weitergeht. Daran glaube ich nicht. Und ich glaube auch nicht an eine Seitwärtsbewegung auf dem aktuellen Niveau. Die deutschen Blue Chips sind mir persönlich mittlerweile deutlich zu heiß gelaufen – auch und gerade vor dem Hintergrund der geschilderten Rahmenbedingungen.
Jetzt die Frage nach dem „Warum?“. In diesem Fall eher ein „Wer?“. Ich unterstelle, dass es nicht deutsche Kleinanleger sind, die ihre Liebe zu heimischen Versicherungs-Riesen entdeckt haben. Wohl eher große institutionelle Adressen. Wissen die etwas, das niemand von uns weiß? Oder ist Deutschland einfach gerade das kleinste mögliche Übel? In jedem Fall lädt die aktuelle Situation dazu ein, vielleicht einmal ein paar Gewinne mitzunehmen –oder zumindest abzusichern. Langfristig sind Aktien – generell und hier auch die beiden im Speziellen – ein Muss. Aber kurzfristig – warum nicht einmal Cash?
Mein Freund, Börsenaltmeister André Kostolany, hat das Verhältnis von Wirtschaft und Aktienkursen mit einem Menschen auf dem Spaziergang mit seinem Hund verglichen. Der rennt gern einmal ein wenig voraus oder bleibt auch einmal zurück – aber er kommt immer wieder zu seinem Menschen. Die Kurse (der Hund) sind schon sehr weit vorausgerannt – eine baldige Rückkehr zur Realität (dem Menschen) ist wahrscheinlich. Auch wenn das Allzeithoch zum Greifen nah ist und in Kürze eine nette Dividende winkt: Denken Sie einmal über einen Teilverkauf nach. Wenn ich recht habe, dann steigen Sie tiefer wieder ein – und machen sich vom Gewinn einen schönen Tag!
