Die Allianz hat im Börsenjahr 2020 bislang schlechter abgeschnitten als der Gesamtmarkt. Dies liegt zum einen an den hohen Versicherungsschäden ausgelöst durch die Corona-Pandemie, zum anderen an der nach wie vor fehlenden Gesamtjahresprognose. Finanzchef Giulio Terzariol stand dem AKTIONÄR nach den Quartalszahlen Rede und Antwort. Seiner Meinung nach wird die Allianz die Krise gut überstehen und im Gesamtjahr gute Ergebnisse abliefern.
DER AKTIONÄR: Herr Terzariol, wie zufrieden sind Sie mit den Quartalsergebnissen der Allianz?ER
GIULIO TERZARIOL: Insgesamt bin ich mit den Ergebnissen und der Widerstandsfähigkeit der Allianz in der ersten Jahreshälfte sehr zufrieden. Das Umfeld ist anders als gewohnt, aber die Quartalszahlen der Gruppe sind solide – auch inklusive der Auswirkungen von Covid-19. Natürlich gibt es Geschäftseinbußen und Versicherungsschäden, doch sie halten sich in Grenzen. Und um die Auswirkungen der Coronakrise bereinigt, ist unser Geschäftsergebnis sehr gut und auf einem Niveau, wie wir es in einer normalen Situation erwartet hätten. Das macht uns zuversichtlich, dass wir auch in der zweiten Jahreshälfte 2020 solide Geschäftsergebnisse sehen werden. Wir schnitten mit unseren Quartalsergebnissen oberhalb der Erwartungen der Analysten und der meisten Marktbeobachter ab.
Was waren für Sie die Highlights im zweiten Quartal 2020?
Die Covid-19-Krise verursachte außergewöhnliche wirtschaftliche und finanzielle Marktturbulenzen. Obwohl sich die Finanzmärkte im zweiten Quartal 2020 erholten, bleibt die wirtschaftliche Situation fragil. Deshalb würde ich nicht von Highlights sprechen wollen, aber hervorheben, dass die Allianz die Belastungen der Corona-Pandemie recht gut weggesteckt hat. Bereinigt um die Auswirkungen von Covid-19 bleibt die grundlegende Performance mit einer normalisierten Schaden-Kosten-Quote von unter 94 Prozent in der Schaden- und Unfallversicherung stark. Hier zahlen sich unser Fokus auf technische Exzellenz sowie Produktivitätsgewinne aus. Ich bin auch zufrieden mit der Qualität unseres Umsatzes im Geschäftsbereich Lebens- und Krankenversicherung, die sich in unserer robusten Neugeschäftsmarge von 3,1 Prozent widerspiegelt. Unsere operative Profitabilität bleibt stark und wird durch unser aktives Risikomanagement unterstützt. Die Entwicklung von Nettomittelzuflüssen in unserem Geschäftsbereich Asset-Management war positiv sowohl bei AllianzGI als auch bei PIMCO. Betrachtet man die Entwicklung pro Anlageklasse oder Region, ist ersichtlich, dass wir in fast allen Regionen und Anlageklassen einen Zuwachs verzeichnen konnten – ein Zeichen von Qualität.
Wie entwickelt sich der Industrieversicherer AGCS?
Der AGCS-Turnaround ist auf einem guten Weg. Mit gezielten Maßnahmen im Underwriting und dem Ausstieg aus einzelnen Segmenten wie Agribusiness in den USA oder Mid-Corp in Kanada hat die AGCS ihr Portfolio neu positioniert und echte Fortschritte erzielt. Die Prämienentwicklung im ersten Halbjahr 2020 basiert auf starken Prämienerhöhungen von durchschnittlich 20 Prozent über das Gesamtportfolio – mit den stärksten Zuwächsen in Property und Aviation. Zudem haben wir Mitte des Jahres ein umfangreiches Transformationsprogramm gestartet: Wir wollen fachliche Kompetenz im Underwriting und der Schadenbearbeitung stärken, Prozesse straffen, die Vertriebsfunktion ausbauen, uns auf Kernmärkte fokussieren, in Digitalisierung investieren und so unser Kerngeschäft und Kundenangebot weiterentwickeln. Die Neuausrichtung ist bereits in vollem Gange und wir gehen davon aus, 2021 deutliche Verbesserungen bei der Profitabilität zu erreichen. Die umfassende Erneuerung des Geschäftsmodells wollen wir bis Ende 2024 realisieren.
Wie sind hier die Aussichten, wenn ab Herbst die von Euler Hermes angekündigte massive Insolvenzwelle anrollt?
Aus Sicht von Euler Hermes befinden wir uns derzeit im Auge des Sturms und das Schlimmste dieser Krise liegt noch vor uns. Insolvenzen und Arbeitslosigkeit werden in den nächsten 18 Monaten ihren Höhepunkt erreichen, nachdem spätestens im Herbst weltweit eine Insolvenzwelle einsetzen wird. Die Weltwirtschaft wird das Vorkrisenniveau nicht vor 2022 erreichen. Euler Hermes ist gut darauf vorbereitet, unser Geschäft zu steuern und unsere Kunden bei diesen Herausforderungen zu unterstützen: Zum einen denken wir immer in Szenarien und bereiten uns detailliert auf diese vor. So hatten wir eine weltweite Rezession bereits für 2019 erwartet und entsprechend begonnen, unsere Zeichnungspolitik anzupassen. Darüber hinaus verfügen wir neben unserer Finanzkraft auch über ein stark diversifiziertes Portfolio. Zudem haben Kreditversicherer und Regierungen gemeinsam in vielen europäischen Ländern einen Schutzschirm für die jeweiligen Volkswirtschaften, ihre Unternehmen und Arbeitsplätze errichtet.
Bei Allianz Global Investors läuft es auch nicht rund. Wo liegen hier die Probleme? Ist weniger Personal die Lösung?
Das stimmt so nicht. Trotz des schwierigen Marktumfelds lag das operative Ergebnis von Allianz Global Investors fast auf dem Niveau des Vorjahres. Insgesamt ist AllianzGI auf einem guten Weg. Das unterstreicht die positive Trendwende bei den Nettomittelzuflüssen von Drittkunden im zweiten Quartal 2020. AllianzGI setzt auf eine holistische Strategie: die Vereinfachung von Strukturen und ein stimmiges Angebot an aktiv gemanagten Produkten und Lösungen für Anleger. Zu den bisherigen Maßnahmen gehört die Einführung einer integrierten globalen Struktur im Fixed-Income-Bereich, aber auch die strategische Partnerschaft mit Virtus Investment Partners, um sich im US-Retail-Geschäft effizienter aufzustellen. Außerdem wird der Private-Markets-Bereich und das Beratungsgeschäft mit institutionellen Kunden über die Beratungseinheit "Risklab" weltweit ausgebaut. Dabei entfallen Positionen, aber es entstehen auch neue.
Es gehört zu unserer Ausschüttungspolitik, die Dividende selbst dann stabil zu halten, wenn das Ergebnis rückläufig ist.
Eine Prognose für 2020 wollten Sie nicht abgeben. Das sehen viele Investoren kritisch. Warum nicht eine unter Vorbehalt, dass es zu keinem zweiten Lockdown kommt?
Die Unsicherheit für die nächsten Monate ist im Moment zu hoch – weswegen wir uns entschieden haben, keinen aktualisierten Ausblick für das operative Ergebnis 2020 zu geben. Falls die Situation stabil bleibt und es keine weitere schwere Corona-Welle mit Ausgangsbeschränkungen und erneuten Betriebsschließungen gibt, erwarten wir in der zweiten Jahreshälfte einen höheren operativen Gewinn als in den ersten sechs Monaten. Insgesamt wird es kein Rekordjahr werden, aber wir erwarten gute Ergebnisse.
Unter welchen Voraussetzungen dürfte denn die viel beachtete Dividende stabil bleiben?
Es gehört zu unserer Ausschüttungspolitik, die Dividende selbst dann stabil zu halten, wenn das Ergebnis rückläufig ist. Voraussetzung dafür sind natürlich eine gute Kapitalposition und Ertragskraft – in beiden Dimensionen ist die Allianz sehr stark trotz der gegenwärtig schwierigen Gesamtsituation. Generell sind Dividendenzahlungen nicht nur für die Aktionäre wichtig, sondern auch für die Gesamtwirtschaft. Daher hat dieses Thema eine hohe Priorität für uns. Wir werden aber selbstredend die weiteren Entwicklungen inklusive aufsichtsrechtlicher Maßnahmen verfolgen und bewerten.
Wie steht die EU-Aufsicht zurzeit zum Thema Dividende bei Versicherern?
Die Dividendensaison 2020 bietet ein uneinheitliches Bild. Das ist hauptsächlich darauf zurückzuführen, dass EU-Institutionen wie EIOPA und das European Systemic Risk Board Empfehlungen an die europäische Versicherungsindustrie gerichtet haben mit dem Ziel, die Kapitalkraft der Branche in der Krise zu sichern – dies jedoch ohne Solvency II als zentrale Messlatte für die Kapitalstärke der einzelnen Versicherungsunternehmen zu berücksichtigen. Erfreulicherweise wurden zum Teil auf nationaler Aufsichtsebene die Dividendenpläne differenziert nach Bedeckungsquote unter Solvency II und Resilienz gegenüber weiteren Stressszenarien beurteilt. Insgesamt erscheint uns dies als ein Ansatz, der dem Risiko-basierten und vorausschauendem Charakter von Solvency II und der Aufrechterhaltung funktionierender Finanzmärkte besser gerecht wird als pauschale Ausschüttungsverbote.
Ist eine Wiederaufnahme des Aktienrückkaufprogramms in diesem Jahr noch Thema?
Wir haben die zweite Tranche unseres diesjährigen Aktienrückkaufprogramms bis auf weiteres suspendiert. Wir werden eine endgültige Entscheidung treffen, sobald wir mehr Klarheit haben über die Implikationen der Pandemie inklusive den Auswirkungen einer potentiellen zweiten Infektionswelle im zweiten Halbjahr.
Thema Digitalisierung: Wie kommt die Allianz Direct voran? Es ist sehr still um den Onlineversicherer geworden.
Die aktuelle Situation führt dazu, das digitale Kommunikationswege noch intensiver genutzt werden. Das Feedback unserer Kunden hilft uns dabei, unsere Produkte und Services zu verbessern. In den Niederlanden planen wir im September eine Hausrat- und Haftpflichtversicherung einzuführen, Deutschland folgt im Oktober. Die Expansion von Allianz Direct in Europa ist durch die Coronakrise und den langen Lockdown in den besonders betroffenen Ländern Italien und Spanien beeinflusst. Der Markteintritt in Italien soll im vierten Quartal 2020 folgen, Spanien dann im ersten Quartal 2021. Darüber hinaus sind weitere Expansionsschritte sowohl bei der Anzahl der Produkte als auch bei weiteren Ländern geplant.
Das Gleiche gilt auch für HeyMoney. Wann ist der Startschuss geplant, und welche Erwartungen haben Sie an das Konzept?
HeyMoney befindet sich noch im Anfangsstadium, aber wir sind von dem Potenzial der Plattform überzeugt. Aktuell prüfen wir die Optionen.
Die Allianz ist an Lemonade beteiligt. Können Sie etwas zur Höhe der Beteiligung sagen?
Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir uns zu einzelnen Investments nicht äußern.
Insurtechs wie Lemonade bedrohen doch das Geschäftsmodell der Allianz. Warum beteiligt man sich an der Konkurrenz? Als Put?
Wir betrachten die digitalen Unternehmen, in die wir investieren, als Partner. Die Allianz bringt mehr als 130 Jahre Erfahrung und Expertise ein, während die digitalen Unternehmen neue Technologien und innovative Wege beisteuern, die die von uns angebotenen Produkte und Dienstleistungen verbessern können. Die Allianz X beteiligt sich systematisch an Fintech-Firmen wie Lemonade, damit wir gegenseitig voneinander lernen: Neulinge in der Branche haben es nicht leicht, denn unser Geschäft ist beratungsintensiv und hat ein anspruchsvolles regulatorisches Umfeld. Für uns sind Investitionen in digitale Unternehmen ein Mittel, unser Angebot so umzugestalten, dass es einfach, digital und skalierbar ist.
Noch eine Frage zum Thema Übernahmen: Herr Bäte äußerte vor Monaten, dass die Allianz einen Lebensversicherer übernehmen könnte. Hat die Pandemie potenzielle Kandidaten zu Tage gefördert?
Zu der Frage darf ich Ihnen keine konkrete Auskunft geben. Die Allianz bleibt aber in Bezug auf Akquisitionen und Übernahmen diszipliniert. Prinzipiell sind wir für externes Wachstum in allen unseren Geschäftsbereichen offen, wenn es unseren strategischen und finanziellen Anforderungen entspricht. Ich möchte hier zudem betonen, dass auch organisches Wachstum für uns sehr wichtig ist. Unser Wachstumsziel von fünf Prozent Gewinn pro Aktie beinhaltet vier Prozent organisches Wachstum.
Die Kursentwicklung bei der Allianz ist in diesem Jahr vergleichsweise enttäuschend. Die Gründe dafür liegen auf der Hand. Eine genaue Einschätzung zur Aktie bekommen Sie in der aktuellen Ausgabe des AKTIONÄR, die Sie hier bequem herunterladen können.
Hinweis auf potenzielle Interessenkonflikte gemäß §34b WpHG:
Der Vorstandsvorsitzende und Mehrheitsinhaber der Herausgeberin Börsenmedien AG, Herr Bernd Förtsch, ist unmittelbar und mittelbar Positionen über die in der Publikation angesprochenen nachfolgenden Finanzinstrumente oder hierauf bezogene Derivate eingegangen, die durch die durch die Publikation etwaig resultierende Kursentwicklung profitieren: Allianz.