FRANKFURT (dpa-AFX) - Der deutsche Aktienmarkt steht in der neuen Woche ganz im Bann der Europäischen Zentralbank (EZB). Auf der Sitzung der Notenbank am Donnerstag "wird Geschichte geschrieben", betonte Edgar Walk, Chefvolkswirt des Vermögensverwalters Metzler Asset Management. Denn erstmals mache die EZB den ersten Schritt und werde noch vor der US-Notenbank die Zinsen senken. Während dieser Lockerungsschritt von den Märkten bereits erwartet wird, bleibt unklar, wie der weitere Zinspfad nach unten aussieht. Aussagen der EZB-Chefin Christine Lagarde zu diesem Thema dürfen den zukünftigen Kurs des hiesigen Leitindex Dax
Die Europäische Zentralbank hat ihre Leitzinsen im Kampf gegen die hohe Teuerung seit Mitte 2022 deutlich angehoben. Wegen des tendenziellen Rückgangs der Inflation wird jetzt aber für Donnerstag eine erste Zinssenkung erwartet - auch wenn die Inflation im Euroraum im Mai wieder angezogen hat.
Die Finanzmärkte bewege aber viel mehr, wie es nach diesem Zinsschritt weitergeht, schrieb Robert Greil, Chefstratege der Privatbank Merck Finck: "Wir rechnen auf Basis des wohl nur noch leicht und nicht linear nachlassenden Inflationsdrucks im Jahresverlauf 2024 noch mit ein oder zwei weiteren EZB-Schritten nach unten - mehr dürfte auch angesichts des bereits wieder anziehenden Wachstums weder sinnvoll noch notwendig sein."
Mirko Hajek, Geschäftsführender Gesellschafter der Rheinischen Portfolio Management GmbH, blickt eher zwiegespalten auf den Donnerstag. So befinde sich der Dax zwar aktuell in einem Bullenmarkt. Die avisierte Zinssenkung der Europäischen Zentralbank sollte sich damit - obwohl bereits größtenteils von den Markteilnehmern erwartet - positiv auf den Leitindex auswirken. Noch wichtiger für die mittelfristige Entwicklung seien jedoch der Ausblick und die Prognosen, die die EZB bezüglich eines möglichen weiteren Zinssenkungspfads veröffentlichen wird. "Hier besteht durchaus Enttäuschungspotenzial", mahnte der Experte.
Unter dem Strich skeptisch äußerte sich Marc Gabriel, Kundendirektor bei der Vermögensverwaltung Oberbanscheidt & Cie. "Anleger dürften die EZB-Zinssenkung zwar grundsätzlich begrüßen, aber die Dynamik der jüngst berichteten Konjunkturdaten spricht eher für eine bessere Wachstumsdynamik in den USA." Der Markt dürfte also nach weiteren Zinsschritten rufen, um Europa wieder auf den Wachstumspfad zurückzubringen.
Allerdings könnte es auch sein, dass der Markt am Donnerstag weder auf die erwartete Zinssenkung noch auf die Aussagen der Europäischen Zentralbank großartig reagiert. Dieses Szenario hält Nicolas Pilz von der Societas Vermögensverwaltung für möglich: "Die EZB und die US-Notenbank Fed betonen seit Monaten, dass sie die weitere Zinsentwicklung von den aktuellen Konjunkturdaten abhängig machen". Vor diesem Hintergrund erwartet der Experte erst einmal ein Fortschreiten der jüngsten Seitwärtsbewegung des Dax.
Anleger sollten Pilz zufolge deshalb die Entwicklung der Inflation im Auge behalten, da diese über das Tempo weiterer Zinssenkungen der Europäischen Zentralbank entscheiden werde. Insbesondere die Entwicklung des Lohnwachstums gelte es zu beachten.
Auch Ökonomen verweisen immer wieder auf die Bedeutung der Lohnentwicklung für die Geldpolitik. Hintergrund ist der große Einfluss deutlich steigender Löhne auf die allgemeine Inflationsrate. Steigende Löhne stellen für die Unternehmen einen Kostenfaktor dar, den sie meist versuchen, wenigstens teilweise auf die Verkaufspreise zu überwälzen. Das treibt die Verbraucherpreise hoch, an denen die Notenbanken ihre Geldpolitik ausrichten.
Damit richtet sich der Fokus zum Ende der neuen Woche auf den US-Arbeitsmarktbericht für Mai, der am Freitag veröffentlicht wird. Denn neben der Arbeitslosenquote und der Beschäftigung wird dann auch das Lohnwachstum im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen.
"Der Beschäftigungsaufbau in den USA dürfte sich im Mai etwas abgeschwächt haben, aber immer noch solide ausfallen", schrieb Ulrich Kater, Chefvolkswirt der Dekabank. Für die Finanzmärkte wäre es wichtig, dass die Erwartungen an eine Leitzinssenkung der Fed im zweiten Halbjahr erhalten bleiben. Ansonsten bliebe die Situation aus Marktsicht nicht nur spannend, sondern sogar weiter angespannt./la/bek/men
--- Von Lutz Alexander, dpa-AFX ---
Quelle: dpa-AFX