(Neu: Ergänzt in Absatz 3, dass sich die 67 Millionen Kubikmeter Maximalmenge auf Nord Stream beziehen)
BERLIN (dpa-AFX) - Bundeskanzler Olaf Scholz sieht Deutschland und die EU auf einen möglichen Stopp der Gaslieferungen aus Russland gut vorbereitet. Die Regierung und die Netzagentur rufen aber Verbraucher und Firmen zum Energiesparen auf. Es seien alles unternommen worden, um Energie aus anderen Ländern zu importieren, sagte Scholz am Freitag am Rande des EU-Gipfels in Brüssel. "Das ist eine Anstrengung, die jetzt noch mal weiter beschleunigt werden muss." Das sei zwar eine große Herausforderung. "Aber da werden wir uns unterhaken." Der Gas-Engpass in Europa und steigende Energiepreise werden auch Thema auf dem G7-Gipfel sein, bei dem Scholz ab Sonntag im bayerischen Elmau Gastgeber sein wird.
Die Bundesregierung und die Netzagentur rufen zum Energiesparen auf. Jeder in der Industrie und privat könne dazu beitragen, sagte Netzagentur-Chef Klaus Müller im ARD-"Morgenmagazin". "Und ja, dazu gehört auch der Pulli, der Duschkopf, die Heizung ein bisschen runterstellen. All das hilft." Verbraucherministerin Steffi Lemke sagte, Unternehmen und öffentliche Einrichtungen seien genauso wie Haushalte gefordert.
Wirtschaftsminister Robert Habeck hatte am Donnerstag die zweite Stufe des dreistufigen Notfallplans Gas ausgerufen, weil Russland die Liefermenge über die wichtigste Pipeline Nord Stream gedrosselt hat. Der Staatskonzern Gazprom
Mit den geringeren Liefermengen wachsen die Befürchtungen, dass deutsche Gasspeicher vor dem Winter nicht ausreichend gefüllt sind. Müller hält es nach eigenen Worten auch für möglich, dass Russland die Lieferungen durch Nord Stream vollständig einstellt. "Wir können es nicht ausschließen." Seine Behörde habe verschiedene Szenarien berechnet. "Die meisten Szenarien sind nicht schön und bedeuten entweder zu wenig Gas am Ende des Winters oder aber schon - ganz schwierige Situation - im Herbst oder Winter."
Habeck warf Russlands Präsident Wladimir Putin vor, mit der Verringerung der Exporte Preise in Deutschland und Europa hochzuhalten, um Unruhe zu schüren. Die Maßnahmen der Bundesregierung sollten auch der Geschlossenheit der Gesellschaft dienen, so dass Putin nicht gewinne. "Darum geht es", sagte der Minister im ZDF-"heute journal". Putins Sprecher hatte am zurückgewiesen, dass die Drosselung politisch motiviert ist.
Mit Sorge blicken Energieversorger und Politik auf die zehntägige Routinewartung von Nord Stream, die am 11. Juli beginnt. Auf die Frage, ob er befürchte, dass Russland danach gar kein Gas mehr liefern werde, sagte Habeck beim Sender RTL: "Ich müsste lügen, wenn ich sagen würde, ich befürchte es nicht."
In dem Falle wird befürchtet, dass die Gaspreise weiter steigen. Noch haben die Versorger kein "Preisanpassungsrecht". Aktiviert die Netzagentur einen bestimmten Mechanismus, könnten sie aber innerhalb einer Woche die höheren Preise an die Endverbraucher weiterreichen. Auch Preisgarantien, die etwa bei einjährigen Verträgen abgeschlossen werden, wären dann hinfällig. Mit dem Weiterreichen der Preise soll verhindert werden, dass Versorger zusammenbrechen.
Müller warnte, man müsse damit rechnen, dass sich die Preise je nach Gebäude verdoppeln bis verdreifachen könnten. Daher sollten die Bürger Geld zurücklegen und Richtung Herbst mit den Vermietern reden. "Jetzt kann man noch etwas tun." Verbraucherministerin Lemke sagte der Deutschen Presse-Agentur, in allen Stufen des Gasnotfallplanes seien private Haushalte und soziale Einrichtungen wie Krankenhäuser besonders geschützt.
Steigende Energiekosten sorgen auch unter Mietern für Sorgenfalten. Der Präsident des Deutschen Mieterbundes, Lukas Siebenkotten, sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland: "Wir fordern ein Kündigungsmoratorium, das sicherstellt, dass niemandem gekündigt werden darf, der wegen stark gestiegener Heizkosten seine Nebenkostenabrechnung nicht fristgerecht bezahlen kann."
Der Präsident des Deutschen Städtetages, Markus Lewe, forderte eine Absicherung der kommunalen Stadtwerke. Würden sie die Preise ungebremst weitergeben, "werden sich viele Menschen ihr Leben nicht mehr leisten können", sagte er der "Rheinischen Post". Würden die Preise dagegen nicht weitergegeben, drohe die Pleite./mfi/DP/ngu
Quelle: dpa-AFX