KASSEL (dpa-AFX) - Hohe Verluste und eine strategische Neuausrichtung - der russische Angriffskriegs gegen die Ukraine trifft den Öl- und Gaskonzern Wintershall Dea hart. Der Konflikt sei ein "fundamentaler Wendepunkt" für die Geopolitik sowie für das Unternehmen, sagte der Vorstandsvorsitzende Mario Mehren am Donnerstag in Kassel in einer Video-Pressekonferenz. "Ein 'Weiter so' mit Russland kann es jetzt nicht geben. Wird es nicht geben. Daran besteht kein Zweifel."
Die finanziellen Auswirkungen schlagen sich deutlich nieder. Das Unternehmen, an dem der Ludwigshafener Chemieriese BASF
Strategisch muss sich der Konzern neu aufstellen. Etwa die Hälfte seiner Öl- und Gasproduktion stammt aus Russland. Mehren betonte am Donnerstag, man habe innerhalb weniger Tage nach Kriegsbeginn die Zahlungen nach Russland eingestellt und mit einem klaren Nein zu neuen Projekten in Russland sowie mit russischen Partnern außerhalb Russlands reagiert. Die Beteiligung an bestehenden Projekten in Russland erhalte man nach intensiver Diskussion allerdings aufrecht. Es fließe durch sie kein frisches Geld nach Russland, sie finanzierten sich selbst. Bei einem Rückzug würden Mehren zufolge Milliardenwerte an den russischen Staat fallen.
Für die Forderung nach einem Energieembargo und einem sofortigen Stopp aller bestehenden Projekte in Russland zeigte er Verständnis. Aber er verstehe auch das komplexe Dilemma, in dem die Bundesregierung stecke. Denn sie trage große Verantwortung für Deutschland, für die Wettbewerbsfähigkeit, für Wohlstand und gesellschaftlichen Frieden. Gasimporte aus Russland könnten "ersetzt werden. Aber nicht schnell", fügte er hinzu.
Das Unternehmen will sein Geschäft nun außerhalb Russlands ausweiten.
Alle Optionen für zusätzliche Gasmengen und eine zusätzliche Energieversorgung würden geprüft. Dazu gehörten die Großprojekte Nova, Njord und Dvalin in Norwegen. Ziel sei es, die Produktion dort bereits Ende dieses Jahres aufzunehmen. Zudem prüfe Wintershall Dea Möglichkeiten in Ländern, in denen das Unternehmen bereits aktiv sei wie etwa Algerien. Außerdem nehme es neue Länder in den Blick.
Überdies will der Konzern geplante Investitionen in den Bereichen Carbon Management und Wasserstoff vorantreiben. "Wir brauchen einen massiven Ausbau der erneuerbaren Energien", sagte Mehren. Die Wintershall Dea AG werde dazu ihren Beitrag leisten. Die Politik müsse die Rahmenbedingungen schaffen.
Die Frage nach dem geplante Börsengang des Unternehmens mit knapp 2500 Mitarbeitern weltweit blieb auch am Donnerstag offen. Er wurde bereits zweimal verschoben. Die Entscheidung liege bei den Anteilseignern, sagte Mehren. Technisch sei Wintershall Dea bereit für den Schritt an die Börse. "Aber wir leben in sehr unsicheren Zeiten."
Rund 30 Prozent des Unternehmens, das 2019 aus dem Zusammenschluss von Wintershall und dem Konkurrenten Dea hervorging, sind in der Hand der ehemaligen Dea-Eignerin LetterOne. Deren Anteilseigner, die russischen Oligarchen Michail Fridman und Petr Aven, wurden Anfang März auf die Sanktionsliste der Europäischen Union gesetzt. Die beiden gaben ihre Posten im Verwaltungsrat von LetterOne auf, ihr Vermögen in dem Unternehmen wurde eingefroren.
Auswirkungen auf das operative Geschäft von Wintershall Dea hat das nach Konzernangaben nicht. Man selbst sei nicht sanktioniert, weder unmittelbar noch von Rechts wegen, hieß es. "Wir importieren kein Gas aus Russland. Daher sind wir auch nicht von Sanktionen betroffen", erläuterte Mehren. Wintershall Dea sei Produzent und kein Händler. Für den Import sei der russische Partner Gazprom
Quelle: dpa-AFX