KASSEL (dpa-AFX) - Der Vorstandsvorsitzende des Öl- und Gaskonzerns Wintershall Dea, Mario Mehren, hat mit Blick auf die Versorgungslage im nächsten Winter vor Selbstzufriedenheit gewarnt. "Wir sollten uns nicht zu sicher fühlen", sagte Mehren am Donnerstag in Kassel bei der Vorstellung der Finanzergebnisse für das zweite Quartal 2023. Die Rohstoffpreise seien zwar deutlich gesunken, die Aussichten blieben aber unbeständig und Versorgungsrisiken weltweit weiter bestehen. Bei seinem Rückzug aus Russland hat das Unternehmen nach eigenen Angaben mit zunehmenden Hürden zu kämpfen.
"Wir in Deutschland und Europa sollten nicht selbstgefällig sein, nur weil wir es durch den letzten Winter geschafft haben - einen milden Winter", sagte Mehren. Dazu habe Europa einerseits Vorräte zu hohen Preisen aufgekauft, manchmal auf Kosten anderer Volkswirtschaften. "Es gab Blackouts, nur nicht in Europa", sagte Mehren und forderte Zugang zu bezahlbaren Vorräten für alle Volkswirtschaften. Zum anderen sei man wegen des teilweisen Einbruchs der industriellen Nachfrage durch den Winter gekommen. "Die Deindustrialisierung Europas kann nicht der Ansatz sein, um unsere Energieziele zu erreichen", betonte Mehren.
Es gebe noch immer einige europäische Länder, die eine signifikante Menge an russischem Gas erhielten. Wenn dieses Gas dort nicht mehr ankomme, würden mindestens die Preise wieder steigen. Um diese Situation zu bewältigen, sei es wichtig, weiter an Investitionen in Gas- und Öl-Projekte sowie in die Energie-Infrastruktur zu arbeiten. Die Unterinvestition in diese Bereiche habe uns verwundbar gemacht, sagte Mehren. Nötig seien ein stabiler Rahmen und eine Anerkennung der Bedeutung der Versorgungssicherheit in Deutschland, Europa und weltweit. "Auch außerhalb von Europa verdienen die Menschen einen sicheren, bezahlbaren und nachhaltigen Zugang zu Energie."
Wintershall Dea hat die niedrigeren Öl- und Gaspreise im zweiten Quartal zu spüren bekommen. In den drei Monaten bis Ende Juni ging der Gewinn vor Zinsen, Steuern, Abschreibungen und Explorationskosten (Ebitdax) im Jahresvergleich um fast ein Viertel auf 975 Millionen Euro zurück. Die Fördermenge konnte Wintershall Dea leicht steigern.
In den Zahlen ist das Russland-Geschäft nicht mehr enthalten, weil sich Wintershall Dea aus dem Land zurückziehen will. Unter dem Strich stand ein bereinigter Gewinn von 203 Millionen Euro nach 156 Millionen ein Jahr zuvor. Das Jahresziel für die Fördermenge reduzierte das Unternehmen. Für 2023 peilt Wintershall Dea nun eine Produktion von 325 000 bis 340 000 Barrel Öläquivalent pro Tag an.
Der Rückzug des Konzerns aus Russland gehe voran, sei aber kein einfacher Prozess, sagte Mehren. Das wirtschaftliche und politische Umfeld sei unberechenbar und schwierig in jeder Hinsicht. Die russische Regierung schaffe täglich neue strategische und bürokratische Hindernisse für Unternehmen, die das Land verlassen wollten. Diese reichten von Genehmigungsprozessen über Bewertungsanforderungen bis hin zu Vetorechten, die die russische Regierung beim Verkauf strategischer Vermögenswerte erwäge.
Vor dem Hintergrund der Schwierigkeiten setze Wintershall Dea eine vollständige rechtliche Trennung des Geschäftes außerhalb Russlands und der noch in Russland bestehenden Beteiligungen um. Mehren betonte: "Wir verlassen Russland. Dieses Kapitel unserer Geschichte ist abgeschlossen."
Wintershall Dea ist 2019 aus der Fusion der Wintershall Holding und der Dea hervorgegangen. Das Unternehmen mit Sitz in Kassel und Hamburg beschäftigt weltweit knapp 2500 Mitarbeiter. BASF
Quelle: dpa-AFX