STUTTGART (dpa-AFX) - Trotz Inflation und wirtschaftlicher Unsicherheiten haben die Deutschen nach den Corona-Einschränkungen das Reisen wieder entdeckt. Der Weg hin zum Vor-Pandemie-Niveau wird aber angesichts der Löcher in so mancher Haushaltskasse nicht leicht, wie aus einer am Freitag vor der Stuttgarter Reisemesse CMT veröffentlichten Studie der Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen (FUR) hervorgeht. Demnach stieg 2022 die Zahl der Urlaubsreisen mit mindestens fünf Tagen Dauer auf geschätzt 63 Millionen. Das seien 13 Prozent mehr als im Vorjahr, aber 12 Prozent weniger als 2019.
Für das laufende Jahr 2023 erwartet Studienautor Martin Lohmann eine leichte Steigerung auf über 65 Millionen Reisen - 2019 hatte die Zahl noch bei 71 Millionen gelegen. Den Erhebungen zufolge planen zwei Drittel der Deutschen bereits einen oder mehrere Urlaube - und das, obwohl deutlich mehr Menschen als in den Vorjahren davon ausgehen, im kommenden Jahr wirtschaftlich schlechter dazustehen. Rund jeder Vierte gab aber auch an, dass eine Reise 2023 am Geld scheitern wird - und damit so viele wie nie in den mehr als 50 Jahren der
Reiseanalyse. Für 2022 hatte das nur etwa jeder Achte gesagt.
Es gebe einen kleinen Teil am unteren Ende der Gesellschaft, für den das Reisen nicht möglich sein werde, sagte Lohmann. "Für den Tourismus ist das kein großes Problem, weil diese Menschen auch vorher weniger gereist sind. Aber gesellschaftlich ist das schon bedenklich." So planten 80 Prozent der Menschen mit einem Haushaltsnettoeinkommen von über 4000 Euro sicher mit einem Urlaub. Wo weniger als 2000 Euro monatlich in der Haushaltskasse landen, seien es nur 47 Prozent.
"Ich bin sicher, wenn Geld da ist, wird auch gereist werden, und die Deutschen werden 2023 ihre Urlaubspläne verwirklichen", sagte der Präsident des Reiseverbandes DRV, Norbert Fiebig. Die Reiselust der Deutschen sei wieder da. Auch laut FUR-Analyse stellen Reisewillige ihren Urlaub sehr weit oben auf die Liste der Konsumprioritäten. Reisen seien eine "liebgewonnene Gewohnheit", an der die Menschen wenn irgend möglich festhalten wollen, sagte Lohmann.
Top-Reiseziel der Deutschen bleibe weiter Deutschland. Während der Corona-Beschränkungen hätten viele Menschen bekannte Ziele im Inland angesteuert. Aber: "Dass jetzt der typische Türkei-Tourist weiter an den Bodensee fährt, dafür haben wir keinen Indikator", so Lohmann.
Aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamtes zufolge hinkt der Deutschland-Tourismus dem Niveau vor der Corona-Krise immer noch hinterher. Im November 2022 verbuchten Hotels, Pensionen und andere Beherbergungsbetriebe 29,8 Millionen Übernachtungen in- und ausländischer Gäste. Das waren 21,8 Prozent mehr als ein Jahr zuvor, als der Tourismus durch die vierte Corona-Welle stark eingeschränkt war. Gegenüber November 2019, dem Vergleichsmonat vor der Corona-Pandemie, wurde ein Minus von 8,1 Prozent verzeichnet.
Die Zahl der Übernachtungen von Gästen aus dem Inland stieg im November gegenüber dem Vorjahresmonat um 17,9 Prozent auf 24,7 Millionen. Das Vorkrisenniveau wurde um 6,2 Prozent unterschritten. Noch stärker hinkte der grenzüberschreitende Tourismus hinterher. Mit 5,1 Millionen Übernachtungen von ausländischen Reisenden wurde das Niveau vor der Pandemie um 16,2 Prozent verfehlt.
Lohmann erwartet für das Gesamtjahr 2022 456 Millionen Übernachtungen und damit ein Plus von 147 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Im Jahr 2019 waren es noch 496 Millionen.
Etliche Deutsche wenden sich ihm zufolge nun wieder Zielen im Ausland zu. Die Zahl der Flugreisen - vor allem in den Mittelmeerraum - steige. Auch wegen zuletzt gestiegener Preise mache das aber auch nicht mehr jeder mit, weswegen er nicht davon ausgehe, dass das Niveau von 2019 erreicht werde.
Das Interesse an Camping sei in den vergangenen Jahren kontinuierlich gewachsen. Im Vergleich zum coronagetriebenen Camping-Hype 2021 sei es aber wieder auf ein "realistisches Niveau" zurückgegangen. Rund acht Prozent aller Urlaubsreisen entfielen 2022 auf den Bereich.
Der internationale Tourismus ist der FUR-Analyse zufolge erst wieder auf dem Stand vom Jahr 2010. Für das Jahr 2022 gehen die Forscher von 920 Millionen Ankünften weltweit aus. Im Jahr 2019 waren nach stetigen Wachstumsjahren knapp 1,5 Milliarden Ankünfte gezählt worden. Und an einigen Reisezielen, etwa in der Asien-Pazifik-Region, liegen die Zahlen noch sehr deutlich unter dem Wert von 2019.
Die Reisemesse CMT öffnet am Samstag in Stuttgart ihre Pforten und ist nach eigenen Angaben die weltgrößte Publikumsmesse für Tourismus und Freizeit. Im letzten regulären Öffnungsjahr 2020 waren rund 300 000 Besucher und mehr als 2100 Aussteller gekommen. Dieses Jahr sind mehr als 1600 Aussteller vertreten. Eine Besucherprognose wollten die Verantwortlichen nicht abgeben./dhu/DP/nas
Quelle: dpa-AFX