BERLIN (dpa-AFX) - Die Zukunft ist gar nicht so fern. Deutschland im Jahr 2030: Ökostrom aus Wind und Sonne deckt zu mindestens 70 Prozent den Stromverbrauch, die EEG-Umlage ist Geschichte. Auf deutschen Straßen fahren bis zu 15 Millionen Elektroautos. Alle Kernkraftwerke und ein großer Teil der Kohlekraftwerke sind vom Netz. Das und vieles mehr müsste nach einem Szenario des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) bis 2030 geschafft sein, damit die Klimaziele der Bundesregierung erreicht werden. Nur: Bis dahin ist noch sehr viel zu tun.
Und es sind nur Zwischenziele. Denn bis 2045 und damit fünf Jahre früher als zunächst geplant soll das Land nur noch so viele klimaschädliche Gase ausstoßen, wie wieder gebunden werden können. Damit verbunden ist ein gewaltiger Umbau.
Das neue Ziel 2045 und im Zuge dessen neue Zwischenschritte waren die Reaktion der Bundesregierung auf das historische Klimaurteil des Bundesverfassungsgerichts - das im Kern besagt: Einschneidende Schritte zur Senkung von schädlichen Treibhausgasemissionen dürfen nicht zu Lasten der jungen Generation auf die lange Bank geschoben werden.
Klimaschutz ist wenige Monate vor der Bundestagswahl in aller Munde. "Nach 250 Jahren der Nutzung von Kohle, Gas und Erdöl müssen wir unsere Wirtschaft jetzt innerhalb von nur 25 Jahren komplett auf erneuerbare Energien umstellen", sagte SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz der Deutschen Presse-Agentur am Dienstag. "Das kommt einer zweiten industriellen Revolution gleich. Darauf müssen wir all unsere Anstrengungen jetzt konzentrieren."
Aber wie soll mehr Klimaschutz konkret erreicht werden? "Wir haben nun zwar Ziele, aber uns fehlt der Instrumentenkasten, um sie zu erreichen", sagte BDEW-Chefin Kerstin Andreae am Dienstag. Die künftige Regierung müsse den "Energiewende-Turbo" einlegen. "Es mangelt nicht an Zielen, sondern an konkreten Maßnahmen", sagte die Präsidentin des Bundesverbands Erneuerbare Energie, Simone Peter. Greenpeace-Klimaexperte Karsten Smid meinte: "Was Deutschland jetzt bei der Energiewende braucht, ist Tempo, Tempo, Tempo." Es gibt viele Baustellen:
ÖKOSTROM-AUSBAU:
Eine Schlüsselrolle spielt der Ausbau des Ökostroms aus erneuerbaren Energiequellen wie Wind und Sonne. Peter beschreibt das mit der Formel: "Zubau, Zubau, Zubau." Bis Ende 2022 steigt Deutschland aus der Atomkraft aus, bis spätestens 2038 aus der Kohleverstromung - wobei Experten damit rechnen, dass dies wegen gestiegener CO2-Preise im europäischen Emissionshandel viel schneller gehen könnte, weil die Kohle unrentabler wird.
Auch vor dem Hintergrund höherer Ziele auf EU-Ebene muss aus Sicht des BDEW der Anteil des Ökostroms bis 2030 auf einen Anteil von mindestens 70 Prozent am Stromverbrauch steigen. Ziel ist bisher ein Anteil von 65 Prozent Ökostrom. Im vergangenen Jahr hatten die erneuerbaren Energien laut Branchenangaben einen Anteil von 46 Prozent. Greenpeace-Experte Smid forderte eine "sofortige Solaroffensive". Andreae sagte: "Wir brauchen einen Ausbau-Boom für alle Erneuerbaren."
Das bedeutet: wesentlich mehr Windräder. Eine große Rolle spielt aber auch das sogenannte Repowering, bei dem größere und leistungsstärkere neue Windräder alte ersetzen. Der Ausbau der Windkraft an Land aber war zuletzt ins Stocken geraten. Nicht nur Andreae fordert, die bisher langen Planungs- und Genehmigungsverfahren müssten beschleunigt werden. Dazu kommen viele Klagen, vor allem aus Artenschutzgründen. Wie der Konflikt des Ökostromausbaus mit den Belangen des Artenschutz gelöst werden kann, ist eine ungelöste politische Frage. Verzögerungen gibt es auch beim Bau der neuen und milliardenschweren Stromautobahnen.
ÖKOSTROM-UMLAGE:
Die EEG-Umlage zur Förderung des Ökostroms zahlen die Verbraucher über ihre Stromrechnung. Die Bundesregierung hat nur mit Hilfe von Milliardenmitteln aus dem Bundeshaushalt verhindert, dass die Umlage deutlich steigt. Die Wirtschaft beklagt seit langem, dass die Strompreise in Deutschland im europäischen Vergleich hoch sind. Auch deshalb gibt es eine Debatte über eine vollständige Abschaffung der EEG-Umlage als wesentlicher Bestandteil der Stromrechnung. Die schwarz-rote Koalition hat sich nicht darauf verständigen können. Vorschläge liegen jedoch auf dem Tisch, die milliardenschwere Förderung des Ökostroms aus dem Bundeshaushalt zu finanzieren.
CO2-PREIS:
Der Staat nimmt in den kommenden Jahren immer mehr Geld aus der CO2-Bepreisung im Verkehr und im Gebäudebereich ein - dieses Geld könnte auch für die EEG-Umlage und damit zur Entlastung der Stromkunden eingesetzt werden.
Zum Start in diesem Jahr lag der Preis bei 25 Euro pro Tonne, er soll nach den bisherigen Plänen bis 2025 schrittweise auf 55 Euro steigen. Die Folge: Heizen mit fossilen Energieträgern und Tanken mit Benzin und Diesel ist teurer geworden. Damit aber die Lenkungswirkung größer wird und mehr Menschen sich Autos mit alternativen Antrieben oder neue Heizungen anschaffen, wollen zum Beispiel die Grünen den Preis schneller erhöhen - und zwar auf 60 Euro im Jahr 2023.
Die Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock sprach sich für eine Benzinpreis-Erhöhung von insgesamt 16 Cent aus. Sechs Cent Preiserhöhung habe es zum Jahresbeginn schon gegeben, der Preis solle nun schrittweise um 16 Cent erhöht werden
Bei der Debatte um eine Erhöhung des CO2-Preises aber geht es auch darum, welche Folgen das hat - für Autofahrer oder für viele Mieter, die nicht überfordert werden sollen. Wie genau sollen CO2-Einnahmen an die Menschen zurückgegeben werden? Auch dazu dürfte es bis zur Bundestagswahl noch lange Debatten geben./tam/DP/nas
Quelle: dpa-AFX