CAMBRIDGE/TOKIO (dpa-AFX) - Der US-Konzern Biogen
Aktien von Biogen notierten im vorbörslichen Nasdaq-Handel zuletzt um fast 52 Prozent höher, die Anteilscheine des schwedischen Eisai-Entwicklungspartners Bioarctic AB wurden gar um fast 170 Prozent nach oben katapultiert. In diesem Sog gewannen auch die Papiere des US-Pharmakonzerns Eli Lilly
Erste Marktreaktionen auf die Daten fielen teilweise euphorisch aus. So sprach Analyst Matthew Harrison von der US-Bank Morgan Stanley von einem "klaren Sieg" für Biogen. Seine Kollegen der Analystenhäuser Mizuho, Baird und BMO Capital Markets nahmen umgehend eine Hochstufung der Biogen-Aktie vor. Analyst Terence Flynn von Morgan Stanley sieht in der "positiven Überraschung" von Biogen nun eine steigende Erfolgswahrscheinlichkeit auch für Eli Lillys Alzheimer-Medikament Donanemab. Keyur Parekh von Goldman Sachs zog aus den Studiendaten positive Rückschlüsse für die Alzheimer-Entwicklung bei Roche, Morphosys und Lonza
Auch in deutschen Fachkreisen äußerten sich Experten zunächst positiv. "Wenn sich das bestätigt, wäre das eine gute Nachricht", sagt Linda Thienpont, Leiterin der Abteilung Wissenschaft bei der Alzheimer Forschung Initiative, der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Es wäre das erste Mal, dass ein Wirkstoff, der in die Mechanismen der Alzheimer-Krankheit eingreift, tatsächlich einen positiven Effekt auf die Kognition der Betroffenen habe. Von einem Durchbruch in der Alzheimer-Forschung spricht Frank Jessen, Forscher am Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE).
Die Daten der zugrundeliegenden Studie sind bisher nicht veröffentlicht, die Firmen haben die Ergebnisse der Phase-3-Studie bisher nur in einer Unternehmensmitteilung vorgestellt.
Lecanemab ist ein Antikörper, der sich gegen das Eiweiß Amyloid-beta (Abeta) richtet. Dieses Molekül lagert sich im Gehirn von Alzheimer-Patienten in Form sogenannter Plaques ab, die ein Kennzeichen der Demenz-Erkrankung sind. In der Biogen-Studie wurden 1795 Menschen im Frühstadium von Alzheimer untersucht - eine Hälfte bekam den Antikörper, die andere ein unwirksames Scheinmedikament.
Es zeigte sich, dass das Mittel zu einer deutlichen Reduzierung der Ablagerungen im Gehirn führt. Darüber hinaus verlangsamte sich der Abbau der geistigen Fähigkeiten. Geprüft wurde unter anderem die Gedächtnisleistung, das Orientierungsvermögen und die Problemlösungskompetenz.
"Das ist eine ordentliche Studie, in der die klinische Wirksamkeit sorgfältig geprüft wurde", sagte Jessen dpa. "Es zeigt sich, dass nicht nur die Amyloid-Ablagerungen aus dem Gehirn entfernt werden, sondern - und das ist das Entscheidende - dass sich der Abbau der geistigen Fähigkeiten über 18 Monate entscheidend verlangsamt." So ein Effekt habe in klinischen Studien mit anderen Antikörpern bisher nicht überzeugend gezeigt werden können.
Nicht nur für die Alzheimer-Forschung sind die Ergebnisse ein entscheidender Schritt, denn für Biogen stand nach dem Wirbel um sein Alzheimer-Medikament Aduhelm auch die eigene Reputation auf dem Spiel: Die US-Medikamentenaufsicht FDA hatte Aduhelm im Sommer 2021 zugelassen, obwohl der Nutzen nicht klar belegt war. Krankenkassen hatten sich daraufhin quer gestellt, die sehr hohen Kosten zu übernehmen. Für Biogen hatte dies ein Nachspiel, der Konzern legte ein Sparprogramm auf und kündigte im Mai die Suche nach einem Nachfolger für Unternehmenslenker Michel Vounatsos an.
Das neue Medikament Lecanemab wird bereits seit dem Sommer von den US-Behörden im Rahmen eines beschleunigten Zulassungsverfahrens geprüft. Ziel von Biogen und Eisai ist es nun, bis Ende März kommenden Jahres eine reguläre US-Zulassung zu beantragen. Dies soll gleichzeitig auch in Europa und Japan geschehen.
Beide deutschen Experten, die nicht an der Studie beteiligt waren, betonen unterdessen, dass auch Lecanemab die Alzheimer-Erkrankung nicht heilen kann. Die Daten deuten vielmehr darauf hin, dass der Fortgang der Krankheit verlangsamt wird. Die kognitiven Fähigkeiten stellt das Medikament nicht wieder her und stoppt auch deren Verlust nicht vollständig. "Die Krankheit wird auch weiter voranschreiten, nur langsamer, was aber für die Patienten und Angehörigen von großer Bedeutung sein kann", sagte DZNE-Experte Jessen. Unklar sei zum jetzigen Zeitpunkt auch, wie lange der berichtete Effekt anhalte, das müssten weitere Beobachtungsstudien zeigen.
"Positiv ist zu vermerken, dass Nebenwirkungen wie zum Beispiel Hirnschwellungen weniger oft auftraten als in Studien zuvor mit vergleichbaren Wirkstoffen", sagt Thienpont. "Für eine umfassende Einschätzung müssen wir die detaillierten Studienergebnisse abwarten."
Biogen hat angekündigt, die Daten Ende November auf einem Alzheimer-Kongress vorzustellen und sie in einem medizinischen Fachmagazin zu veröffentlichen./tav/DP/nas/he
Quelle: dpa-AFX