FRANKFURT (dpa-AFX) - In der Finanzbranche mehren sich angesichts stark steigender Inflationsraten Forderungen nach einem Ende der Geldschwemme der Europäischen Zentralbank. "Das vermeintliche Allheilmittel in den vergangenen Jahren - niedrige Zinsen bei vermeintlich stabilen Preisen - hat seine Wirkung verloren, denn jetzt kämpfen wir mit deren Nebenwirkungen", sagte Deutsche-Bank-Chef
Cornelius Riese, Co-Chef des genossenschaftlichen Spitzeninstituts DZ Bank, erinnerte daran, dass die EZB in den vergangenen Jahren angesichts seinerzeit vergleichsweise niedriger Teuerungsraten vor Deflation gewarnt hatte, also einem Verfall der Preise auf breiter Front als Risiko für die Konjunktur. "Für mich stellt sich die Frage: Wo ist eigentlich das Problembewusstsein, das kommunizierte Problembewusstsein der EZB, was analog ist, was synchron ist zum Thema Inflation?", sagte Riese.
Die Teuerungsraten in Deutschland und im Euroraum klettern seit Monaten. In Deutschland etwa lagen die Verbraucherpreise im Oktober um 4,5 Prozent über dem Niveau des Vorjahresmonats. Die Inflation ist damit so hoch wie zuletzt vor 28 Jahren.
Die EZB erklärt den Anstieg zum Großteil mit Sonderfaktoren wie der Erholung der Ölpreise nach dem Corona-Schock sowie Lieferengpässen infolge der gestiegenen Nachfrage. Zudem schlägt die Rücknahme der vorübergehenden Mehrwertsteuersenkung in Europas größter Volkswirtschaft Deutschland durch.
Doch etliche Volkswirte und Banker warnen davor, die Entwicklung zu unterschätzen. "Wir sehen auch, dass das Thema Inflation nicht ganz so temporär ist, wie es möglicherweise aus politischen Kreisen postuliert wird", sagte der neue Chef von HSBC
Sewing bekräftigte: "Und mich persönlich macht mit Blick auf die Geldwertstabilität skeptisch, was ich in den Gesprächen mit unseren Kunden höre. Sie alle richten sich darauf ein, dass die hohen Inflationsraten länger andauern werden. Und wir wissen, was das heißt: Steigen die Inflationserwartungen, dann steigt in der Regel irgendwann auch die Inflation - und zwar längerfristig."
Kritiker werfen der EZB vor, mit dem billigen Geld die Inflation anzuheizen, die sie eigentlich im Zaum halten will. Der EZB-Rat will am 16. Dezember entscheiden, wie es mit den milliardenschweren Anleihenkäufen der Notenbank weitergeht. Nach bisheriger Planung soll das zur Abfederung des Corona-Schocks aufgelegte Kaufprogramm PEPP (Pandemic Emergency Purchase Programme) noch bis mindestens Ende März 2022 laufen.
EZB-Präsidentin Christine Lagarde hatte nach der jüngsten EZB-Sitzung Ende Oktober gesagt, sie gehe davon aus, dass das PEPP im März enden werde. Allerdings will die Notenbank Geld aus auslaufenden Wertpapieren des 1,85 Billionen Euro umfassenden Programms auch danach neu anlegen. Zudem gibt es im EZB-Rat Sympathien für die Idee, die Flexibilität des Notkaufprogramms auf andere Anleihenkaufprogramme zu übertragen.
Sewing mahnte: "Die Folgen dieser ultralockeren Geldpolitik werden sich immer schwerer heilen lassen, je länger die Zentralbanken nicht gegensteuern."/ben/DP/stw
Quelle: dpa-AFX