(neu: Aussagen aus Pressekonferenz zu Ersatzbeschaffungskosten und Gazprom, Aktienreaktion aktualisiert)
BERLIN/DÜSSELDORF (dpa-AFX) - Die Bundesregierung und der angeschlagene Düsseldorfer Energiekonzern Uniper
Unternehmenschef Klaus-Dieter Maubach schätzt die Kosten für die Ersatz-Beschaffungsmengen bis Ende August auf 4,5 Milliarden Euro, sagte er in einer Pressekonferenz in Düsseldorf. Der September würde weitere 1,7 Milliarden Euro kosten. Anschließend soll das Umlageverfahren der Bundesregierung greifen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte am Freitag eine Umlage an alle Gaskunden angekündigt. Die Umlage werde am 1. Oktober oder am 1. September kommen.
Der Aktienkurs von Uniper sackte im Laufe des Freitags um mehr als ein Drittel auf ein weiteres Rekordtief bei unter 7 Euro ab. Aktionären steht durch den Einstieg des Bundes eine massive Anteilverwässerung ins Haus. Am Vormittag hatte der Kurs noch um bis zu 11,4 Prozent zugelegt. Das Papier des Mehrheitsaktionärs Fortum
"Letztendlich setzt sich doch noch die Erkenntnis durch, wie stark der Anteil der Aktionäre durch die Staatsrettung verwässert wird - selbst wenn der Rahmen weitgehend den Erwartungen entspricht", urteilte Marktexperte Frederik Altmann von Alpha Wertpapierhandel. Andere Beispiele einer teilweisen Verstaatlichung wie die Commerzbank
Uniper hatte vor zwei Wochen staatliche Hilfen beantragt. Das Unternehmen muss wegen der Drosselung der russischen Lieferungen über die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 teureres Gas am Markt einkaufen, um Verträge zu erfüllen. Das führt zu Liquiditätsproblemen. Der Konzern spielt eine zentrale Rolle für die deutsche Energieversorgung und beliefert über 100 Stadtwerke und Industrieunternehmen.
Das Stabilisierungspaket für Uniper sieht eine Kapitalerhöhung von rund 267 Millionen Euro zum Ausgabepreis von 1,70 Euro je Aktie unter Ausschluss des Bezugsrechts der Aktionäre vor. Dies führt laut Mitteilung zu einer Beteiligung des Bundes an Uniper von rund 30 Prozent. Eine Komplettübernahme durch den Bund sei in der Vereinbarung aber ausgeschlossen, fügte Uniper-Chef Maubach hinzu.
Gleichzeitig wird durch die Maßnahme der Anteil des finnischen Großaktionärs Fortum von rund 80 auf 56 Prozent verwässert, wie der finnische Konzern bekannt gab. Die Beteiligung kann allerdings durch eine ebenfalls angekündigte Pflichtwandel-Anleihe wieder aufgestockt werden. Fortum gehört selbst zu über der Hälfte dem finnischen Staat.
Das in Unipers Rettungspaket geplante Pflichtwandel-Instrument habe ein Volumen von bis zu 7,7 Milliarden Euro, hieß es. Pflichtwandel-Anleihen sind verzinsliche Papiere, bei denen die Wandlung in Aktien spätestens zum Ende der Laufzeit verpflichtend ist. Sie werden daher von Ratingagenturen als ähnlich zu Eigenkapital angesehen. Bei Uniper soll die Ausgabe in Tranchen erfolgen, soweit es der Liquiditätsbedarf des Konzerns erfordert. Der Umtauschpreis je Aktie bei Wandlung sieht einen Abschlag von 25 bis 50 Prozent auf den Börsenkurs der Uniper-Aktien in einem bestimmten Zeitraum vor Durchführung der Wandlung vor.
Fortum wird dabei die Option eingeräumt, Teile des Pflichtwandel-Instruments vom Bund zu erwerben. Dies erfolgt gegen Übertragung des
Rückzahlungsanspruchs aus dem 4 Milliarden Euro Darlehen, das der Hauptaktionär Uniper gewährt hatte. Der Erwerb ist beschränkt auf einen Betrag von bis zu 4 Milliarden Euro des ausgegebenen Pflichtwandel-Instruments, darf in jedem Fall aber nicht mehr als 70 Prozent betragen. Der finnische Konzern hatte Uniper zuvor bereits unter die Arme gegriffen, indem er rund vier Milliarden Euro als Barmittel und nochmal genauso viel als Garantien zu Verfügung gestellt.
Außerdem sieht das Rettungspaket vor, dass das für Uniper gewährte Darlehen über die staatliche Bank KfW von 2 auf 9 Milliarden Euro erhöht und der Verwendungszweck ausgeweitet wird. Bislang war die im Januar abgeschlossene Kreditlinie an die Bedingung geknüpft, dass Uniper das Geld ausschließlich für sogenannte Margining-Verpflichtungen verwendet. Margining sind Rücklagen, die Versorger bei Geschäften an den Energiebörsen hinterlegen müssen.
Diese Beschränkung werde nun wegfallen, sagte Uniper-Chef Maubach am Freitag. Stattdessen werde das Geld von der KfW eine Art "Brücke bauen", bis die Eigenkapital-Mittel fließen. Alsbald möglich will Uniper das Geld dann wieder an die Bankengruppe zurückzahlen und die Kreditlinie nur noch als Finanzierungsoption in der Hinterhand halten.
Die getroffenen Vereinbarungen verpflichten Uniper dazu, keine Dividende auszuschütten und keine Boni an sein Management auszuzahlen. Sie stehen überdies unter anderem noch unter dem Vorbehalt einer beihilferechtlichen Genehmigung der EU-Kommission. Uniper will eine außerordentliche Hauptversammlung einberufen, um die Zustimmung der Aktionäre zu den Stabilisierungsmaßnahmen einzuholen. Unternehmenschef Maubach hofft, dass die Anteilseigner noch in diesem Jahr zusammengerufen werden können.
Uniper sei von überragender Bedeutung für die Energieversorgung der Bürger und von Unternehmen, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auf einer Pressekonferenz am Freitag in Berlin. Das Unternehmen könne nun stabil in die Zukunft schauen.
Der Kanzler kündigte zudem eine Umlage an alle Gaskunden an. Die Umlage werde am 1. Oktober oder am 1. September kommen. Auf Gaskunden kommen in der Folge Preissteigerungen zu. Scholz sagte aber auch weitere Entlastungen für die Bürgerinnen und Bürger zu. So werde es zum Anfang kommenden Jahres eine große Wohngeldreform geben, sagte Scholz. Dabei werde unter anderem der Kreis der Berechtigten ausgeweitet. Er sprach zudem von einem Heizkosten-Zuschuss. Der Kanzler sagte: "You 'll never walk alone" - man werde niemanden alleine lassen.
Mit der Umlage soll Uniper Preissteigerungen weitergeben können und damit finanziell wieder Luft bekommen. Die Bundesregierung habe Uniper in den Verhandlungen erläutert, dass ab dem 1. Oktober 2022 ein allgemeiner Mechanismus zur Weitergabe von 90 Prozent der Ersatzbeschaffungskosten für alle Importeure infolge russischer Gaskürzungen eingeführt werden solle.
Die Vereinbarung sehe vor, dass die Bundesregierung für eine weitergehende Unterstützung bereitstehe, sollten die Verluste wegen Ersatzbeschaffungen, die nicht durch operative Gewinne aus den anderen Geschäftsbereichen kompensiert werden können, einen Betrag von 7 Milliarden Euro übersteigen.
Uniper bezieht den Großteil seiner Gasimporte von Gazprom
Dennoch werde Uniper die Geschäftsbeziehungen neu bewerten, kündigte der Firmenboss an. "Gasbeschaffung basiert immer auf der Annahme, dass wir einen zuverlässigen Lieferanten haben." Möglicherweise wiederholten sich die Unsicherheiten aber auch in Zukunft. "Darauf ist kein Geschäftsmodell aufzubauen." Kein Vorstand könne "das Risiko, dass eine einzelne Kunden-Lieferanten-Beziehung die Firma an den Rand des Ruins bringt", verantworten. "Es braucht einen komplett neuen Blick auf das, was wir tun." Dies werde man auch mit dem Bund als neuen Aktionär besprechen.
Bundestag und Bundesrat hatten kürzlich Änderungen des Energiesicherungsgesetzes beschlossen. Die Bundesregierung kann demnach eine Umlage über eine Rechtsverordnung erlassen. Das Umlagesystem soll ähnlich funktionieren wie bei der inzwischen abgeschafften EEG-Umlage zur Förderung des Ökostroms über die Stromrechnung.
Mit der Umlage würde die Politik auch ein Preissignal an die Verbraucherinnen und Verbraucher senden, dass sich Energieeinsparungen lohnen. Wegen stark gestiegener Beschaffungskosten an den Märkten kommen ohnehin Preiserhöhungen auf die Verbraucher zu.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte am Donnerstag ein neues Maßnahmenpaket zum Energiesparen angekündigt. Angesichts unsicherer russischer Lieferungen soll so die Vorsorge für den Winter verstärkt werden. Bei dem Paket geht es auch um das Energiesparen in öffentlichen Gebäuden, Betrieben, Büros sowie um einen verbindlichen "Heizungscheck" in Wohnungen.
Scholz und Habeck hatten Uniper staatliche Unterstützung zugesichert. Habeck hatte gesagt: "Wir werden nicht zulassen, dass ein systemrelevantes Unternehmen in Insolvenz geht und infolgedessen der globale Energiemarkt in Turbulenzen gerät." Die Bundesregierung werde die Option wählen, die für den deutschen Steuerzahler die beste und günstigste und für die Versorgungssicherheit die sicherste sei./lew/hoe/wdw/la
Quelle: dpa-AFX