(im 7. Absatz Flughafen Stuttgart ergänzt)
BERLIN (dpa-AFX) - Am Freitagvormittag fällt aufgrund eines Warnstreiks der Bahnverkehr in Deutschland zum größten Teil aus. Die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) hat die Beschäftigten von rund 50 Bahnunternehmen aufgerufen, von 3.00 Uhr bis 11.00 Uhr die Arbeit niederzulegen. Die Deutsche Bahn (DB) kündigte am Mittwoch an, dass der Fernverkehr bis 13.00 Uhr komplett eingestellt werde. Bis in die Abendstunden sei mit Beeinträchtigungen zu rechnen. Der Regionalverkehr dürfte nach dem Ausstand schneller wieder normal laufen. "Alle, die umplanen können, sollten das tun", sagte Bahn-Personalvorstand Martin Seiler.
Der angekündigte zweite bundesweite Warnstreik im Schienenverkehr in der laufenden Tarifrunde bedeutet die nächste Eskalationsstufe. Die EVG verhandelt mit rund 50 Bahnunternehmen; bisher ist nur wenig Bewegung erkennbar ist. Mit der Deutschen Bahn haben sich die Gewerkschaftsvertreter bisher in zwei Runden getroffen - beide endeten jeweils ergebnislos nach nur wenigen Stunden.
Die EVG fordert in den Verhandlungen mit der Branche für die Beschäftigten mindestens 650 Euro mehr pro Monat oder zwölf Prozent bei den oberen Einkommen sowie eine Laufzeit von zwölf Monaten für den Tarifvertrag. Die bundeseigene Bahn zeigte sich zuletzt offen, den jüngsten Schlichterspruch im Tarifstreit des öffentlichen Diensts als Orientierung für eine bahnspezifische Lösung zu übernehmen.
Der Schlichterspruch sieht für die rund 2,5 Millionen Beschäftigten von Bund und Kommunen zunächst einen steuer- und abgabefreien Inflationsausgleich in mehreren Stufen von insgesamt 3000 Euro vor. Ab März 2024 soll es dann einen Sockelbetrag von 200 Euro sowie anschließend ein Lohnplus von 5,5 Prozent geben. Über den Vorschlag wollen die Gewerkschaften mit Bund und Kommunen am kommenden Wochenende verhandeln.
Die EVG lehnte eine bahnspezifische Übernahme dieses Vorschlags umgehend ab und kritisierte sie als Provokation. EVG-Tarifvorstand Kristian Loroch stellte am Mittwoch gar in den Raum, ob es DB-Personalvorstand Martin Seiler überhaupt brauche, wenn der beim eigenen Angebot lediglich vom öffentlichen Dienst abschreiben wolle. Seiler konterte und warnte vor einer "Brieffreundschaft", wenn die EVG immer nur schriftliche Angebote austauschen wolle, statt vor Ort zu verhandeln.
Solche verbalen Scharmützel gehören zu Tarifauseinandersetzungen ebenso wie Warnstreiks. Die Fahrgäste der Bahn trifft der neuerliche Ausstand nun aber empfindlich: Freitags sind besonders viele Menschen auf der Schiene unterwegs, sei es für Kurzausflüge oder die Wochenendfahrt nach Hause. Da die EVG auch die Infrastruktur bestreiken wird, dürften auch Bahnen lahmgelegt werden, die selbst aktuell nicht Teil des Tarifkonflikts sind. Ob pünktlich zum Feierabendverkehr alles wieder wie gewohnt läuft, ist fraglich.
Die Schwestergewerkschaft Verdi hat zudem für Donnerstag und Freitag zu Warnstreiks an den Flughäfen Düsseldorf, Köln/Bonn und Hamburg aufgerufen. Am Flughafen Stuttgart wird am Freitag gestreikt. Abgestimmt hätten sich die Gewerkschaften dieses Mal nicht, hieß es von der EVG. Beim Verkehrs-Warnstreik Ende März waren die Gewerkschaften gemeinsam vorgegangen und hatten im Schulterschluss den Nah-, Regional- und Fernverkehr sowie fast alle deutschen Flughäfen lahmgelegt.
Inwieweit der EVG-Warnstreik die Verhandlungen beeinflussen kann, ist offen. Am kommenden Dienstag treffen sich Vertreter von DB und EVG zur nächsten Verhandlungsrunde in Fulda. Bahnvorstand Seiler gab sich am Mittwoch betont verhandlungsbereit. Bei der Bahn betreffen die Gespräche rund 180 000 Beschäftigte, branchenweit 230 000.
Inhaltlich dürften bei den Gesprächen unter anderem die Themen Mindestlohn und Einmalzahlungen weit oben auf der Agenda stehen. Wenige tausend Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erreichen bei der DB den Mindestlohn lediglich über Zulagen. Noch vor den inhaltlichen Tarifgesprächen will die EVG den gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von zwölf Euro pro Stunde in den Tariftabellen festsetzen. Die Bahn wiederum hatte beim bislang letzten Treffen Mitte März einen Mindestlohn in Höhe von 13 Euro vorgeschlagen, will diesen aber erst ab August 2024 in die Tabellen aufnehmen. Das lehnt die Gewerkschaft strikt ab - ebenso wie Einmalzahlungen, also auch die Inflationsausgleichsprämie.
Bei der Post und in der Metall- und Elektroindustrie gehörte die steuer- und abgabenfreie Zahlung zum Verhandlungsergebnis, der Schlichterspruch für die Verhandlungen im öffentlichen Dienst sieht sie ebenfalls vor. Auch DB-Vorstand Seiler ist offen für eine solche Zahlung. Von der EVG kam dazu bisher allerdings ein klares Nein. "Wer glaubt, dass wir mit Einmalzahlungen am Fachkräftemangel und der Abwanderung irgendwas lösen, ist auf dem falschen Weg", sagte EVG-Tarifvorständin Cosima Ingenschay./DP/he
Quelle: dpa-AFX