(neu: Lufthansa-Angaben zu Minsk-Flügen im 4. Absatz)
BRÜSSEL/MINSK (dpa-AFX) - Am Himmel über Belarus dürfte es in nächster Zeit ruhiger werden. Immer mehr Fluggesellschaften wollen einen Bogen um die frühere Sowjetrepublik fliegen, weil die autoritäre Führung am Sonntag ein Passierflugzeug zur Landung gezwungen und danach einen Blogger der Opposition festgenommen hat. Bei der Lufthansa
Am Flughafen von Minsk starrten derweil gestrandete Reisende am Dienstag ratlos auf ihre Handys. Die Verbindungen nach Paris und Warschau sind kurzerhand gestrichen worden. Die Staats- und Regierungschefs der EU hatten zuvor beschlossen, dass belarussische Fluggesellschaften künftig nicht mehr den Luftraum der EU nutzen dürfen, rechtlich greift die Maßnahme aber noch nicht sofort. "Es sah nicht danach aus, als ob etwas schief gehen könnte", sagte ein Mann am Flughafen dem unabhängigen Nachrichtenportal tut.by. Nach Polen habe er fliegen wollen. Wie es nun weitergeht, wisse er nicht.
Die staatliche belarussische Fluglinie Belavia hat bis Ende Oktober alle Verbindungen nach London und Paris gestrichen. Viele Menschen in Belarus dürften es nun schwerer haben, ihr Land zu verlassen. Wichtig waren die Verbindungen ins Nachbarland Ukraine. Kiew hat alle Flüge ausgesetzt. Belarus protestierte dagegen.
Die Lufthansa verwies darauf, dass ohnehin nicht alle Flüge Richtung Moskau über Belarus gingen. Am Dienstag strich die Airline die Flüge von Frankfurt nach Minsk bis einschließlich 3. Juni 2021.
Nach Angaben der europäischen Luftsicherheitsbehörde Eurocontrol gibt es normalerweise täglich mehr als 300 Flüge von und nach Europa über Belarus. Die Behörden in Minsk behaupteten, der Flugausfall sei nicht besonders groß. Zu finanziellen Verlusten machten sie gar keine Angaben. Flüge nach Russland laufen ganz normal weiter. Moskau stellte sich einmal mehr vor seinen Verbündeten Belarus.
Die Behörden des autoritär geführten Landes hatten am Sonntag ein Ryanair
Nicht mehr an Bord waren der regierungskritische Blogger Roman Protassewitsch und seine Freundin. Beide wurden festgenommen. Dem 26-Jährigen, der zuletzt im Ausland lebte, drohen mehrere Jahre Haft. Der Kreml in Moskau hofft, dass zumindest Sofia Sapega in naher Zukunft freigelassen wird. Sie hat die russische Staatsbürgerschaft. Die russische Zeitung "RBK" meldete unter Berufung auf einen Anwalt, dass die Frau für zwei Monate in Untersuchungshaft genommen worden sei.
Protassewitsch meldete sich am Montagabend mit einem Video zu Wort. Seine Unterstützer gehen davon aus, dass er zu den Aussagen gezwungen und zuvor gefoltert wurde.
Mehrere westliche Staats- und Regierungschefs verlangten die sofortige Freilassung des Bloggers. An der Führung in Minsk dürften solche Forderungen aber abprallen. Die EU erweiterte deshalb auch die bestehende Liste mit Personen und Unternehmen, gegen die Vermögenssperren und Einreiseverbote gelten.
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg begrüßte die neuen EU-Strafmaßnahmen gegen Belarus. "Die von Belarus erzwungene Landung eines Passagierflugs war gefährlich und inakzeptabel", sagte er und sprach von einer staatlichen Entführung, die zeige, wie ein Regime demokratische Grundrechte angreife. Ähnlich äußerte sich die belarussische Oppositionelle Swetlana Tichanowskaja.
Ihr gehen die auf den Weg gebrachten Sanktionen nicht weit genug. "Das Regime von Lukaschenko ist eine Bedrohung für die Region und Europa. Die einzige Lösung für diese Krise besteht darin, freie und faire Wahlen und demokratische Reformen durchzuführen", sagte sie. Zunächst müssen Gewalt und Gesetzlosigkeit gestoppt werden.
Aus dem Umfeld des französischen Präsidenten Emmanuel Macron hieß es am Dienstag, er sei offen dafür, die Bürgerrechtlerin als Rednerin zum G7-Gipfel nach Großbritannien einzuladen, wenn die Briten dies als Gastgeber wünschten. International wächst die Sorge, dass der Blogger in der Untersuchungshaft Nummer 1 in Minsk misshandelt wird.
Das Innenministerium in Minsk hatte erst in der Nacht zum Dienstag die Festnahme bestätigt, zunächst aber keine Gründe genannt. Protassewitsch gehört zu den Mitbegründern des regierungskritischen Nachrichtenkanals Nexta. Die Behörden in Belarus stufen Nexta als extremistisch ein. Der Kanal hatte im vergangenen Jahr nach der Wahl immer wieder zu den Massenprotesten gegen Lukaschenko aufgerufen.
Der Chef der Konservativen im EU-Parlament, Manfred Weber (CSU), gab im RBB Inforadio mit Blick auf die erzwungene Landung zu bedenken: "Der Vorgang hat gezeigt, wenn wir innereuropäische Flüge durchführen, dann besteht die Gefahr, in die Fänge von Lukaschenko zu geraten." Der SPD-Außenpolitiker Nils Schmid glaubt, dass auch Russland beteiligt gewesen sein könnte. "Ich gehe davon aus, dass eine solche Operation nur möglich war in einer engen Zusammenarbeit mit russischen Sicherheitskräften", sagte er im Deutschlandfunk.
Der Kreml wies diese Anschuldigungen zurück. "Dies ist eine russophobe Besessenheit", sagte Sprecher Dmitri Peskow der Agentur Interfax zufolge. Belarus regte erneut eine internationale Untersuchung der Umstände an. Litauen wandte sich nur Stunden nach der Ankündigung aus Minsk an die internationalen Flugbehörde ICAO, "um eine Untersuchung aller Umstände dieses Vorfalls einzuleiten". Die EU-Staats- und Regierungschef forderten am Montag ebenfalls eine eine ICAO-Untersuchung.
Nach Angaben von Eurocontrol gab es seit Anfang April im Schnitt täglich 339 Flüge von und nach Europa durch den belarussischen Luftraum. Besonders häufig sind Verbindungen zwischen Russland (29) und China (14) von und nach Deutschland. Die weitaus meisten Flüge absolvierte die belarussische Staatsfluglinie Belavia mit 46 pro Tag, für die nun ein Landeverbot in der EU gilt./cht/DP/he
Quelle: dpa-AFX