(neu: Aussagen aus der Bilanzpressekonferenz, Aktienkurs aktualisiert, Analyst ergänzt.)
DARMSTADT (dpa-AFX) - Nach einer unerwartet langen Nachfrageflaute hofft der Pharma- und Spezialchemiekonzern Merck
An der Börse sorgten die Zahlen für eine Berg- und Talfahrt. Zuletzt verteuerte sich die Aktie um 0,6 Prozent - damit baute sie ihr Jahresplus auf rund zehn Prozent aus. Börsianer erklärten, die Zahlen seien im Rahmen der Erwartungen ausgefallen und der Ausblick in Ordnung. Nach dem starken Lauf der Aktie seit Jahresbeginn enttäusche allerdings etwas, dass es wenig Hinweise auf eine Erholung des Laborgeschäfts gibt, schrieb Analyst Matthew Weston von der Schweizer Bank UBS.
Im laufenden Jahr sollen der Umsatz und das um Sondereffekte bereinigte Ergebnis vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen (bereinigtes Ebitda) aus eigener Kraft "leicht bis moderat" wachsen. Das Management rechnet abermals damit, dass negative Wechselkurseffekte den Zuwachs schmälern.
2023 bezeichnete Unternehmenslenkerin Garijo als "Übergangsjahr": Merck kämpfte mit einem Nachfrageeinbruch im Laborgeschäft, das in der Corona-Pandemie noch dank der großen Nachfrage von Impfstoffherstellern floriert hatte. Zuletzt bauten viele Kunden die in der Pandemie aufgestockten Lager ab.
Auch die Elektroniksparte schwächelte länger als gedacht, dort stellt der Konzern unter anderem Halbleitermaterialien für elektronische Geräte und Flüssigkristalle etwa für Smartphone- und TV-Bildschirme her. In dem Bereich machte sich der allgemeine konjunkturelle Abschwung in der Elektronikindustrie bemerkbar. Bei den Flüssigkristallen etwa für Smartphone- und TV-Bildschirme leidet Merck zudem schon länger unter harter Konkurrenz aus Asien.
Einzig die Pharmasparte konnte im vergangenen Jahr ihren Umsatz steigern und verdiente auch mehr, weil sich wichtige Kassenschlager gegen Krebs und Multiple Sklerose häufig verkauften. Wichtige Hoffnungsträger floppten zuletzt aber. Wie Garijo in der Bilanzpressekonferenz erklärte, wurde die Forschung am Mittel Evobrutinib gegen Multiple Sklerose komplett gestoppt, von dem sich einen Merck einen Milliarden-Umsatz erhofft hatte.
Der Umsatz ging 2023 im Vergleich zum Vorjahr um fast sechs Prozent auf knapp 21 Milliarden Euro zurück, dabei sanken die Umsätze mit coronaspezifischen Produkten von 800 Millionen Euro auf 250 Millionen Euro. Das um Sondereffekte bereinigte Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) sank gar um gut 14 Prozent auf knapp 5,9 Milliarden Euro. Damit traf Merck die zuvor gesenkten eigenen Prognosen. Analysten hatten einen Tick schlechtere Resultate erwartet. Unter dem Strich verdienten die Darmstädter rund 2,8 Milliarden Euro und damit gut 15 Prozent weniger als im Vorjahr. Die Anleger sollen gleichwohl eine stabile Dividende von 2,20 Euro erhalten.
Das Management hofft unter anderem auf schrittweise wieder anziehende Aufträge im Laborgeschäft. Dabei plant Merck inzwischen keinerlei Covid-bedingte Erlöse mehr ein. Auch am Markt für Halbleitermaterialien dürfte es nach dem Kalkül des Managements in diesem Jahr Stück für Stück wieder aufwärtsgehen. Garijo verwies vor Journalisten auf Vorhaben in der Industrie, die Kapazitäten massiv aufzubauen. Das Management rechnet allerdings für die Elektroniksparte erst mit einem Wendepunkt zum Anfang des zweiten Halbjahres.
Der Pharmasparte attestierte die Merck-Chefin trotz der jüngsten Forschungsflops eine "weiterhin sehr vielversprechende Pipeline". Es gelte aber, Innovationen schneller in den Konzern zu holen. Das Management setzt nun insbesondere seine Hoffnung auf das Krebsmedikament Xevinapant, zudem aktuell weit vorangeschrittene Studien laufen. Daten werden für das zweite Quartal erwartet. Auch Analysten trauen dem Mittel zu, ein Kassenschlager mit einem Milliarden-Umsatz zu werden. Einlizensierungen von Wirkstoffen von Fremdfirmen und der Ausbau bestehender Produkte etwa für weitere Anwendungsbereiche sollen die Pharmasparte ebenfalls voranbringen.
An seinem mittelfristigen Ziel - 25 Milliarden Euro Umsatz bis 2025 - hält der Vorstand trotz aller Schwierigkeiten fest. "Wir versuchen, so nah wie möglich heranzukommen", sagte Garijo. Finanzchefin Helene von Roeder ergänzte: "Es bleibt ein Kampf". Zugleich bekräftigte der Konzern die Pläne für ergänzende Zukäufe. Allen voran die Laborsparte, mit der Merck eigenen Angaben zufolge am Markt die Nummer drei ist, soll gestärkt werden. Der Konzern hat dafür Milliarden im Köcher, doch bislang gab es wenig Konkretes. "Wir schauen uns weiter um", bekräftigte von Roeder.
Die raueren Zeiten bekommen die Beschäftigten bereits mit mehreren Sparpaketen zu spüren. Erst in der vergangenen Woche war der Abbau von bis zu 230 Stellen in der Elektroniksparte bekannt geworden, davon bis zu 100 in Deutschland. Zudem sollen außerhalb Deutschlands bis Ende 2025 weitere 130 Stellen abgebaut werden. Der Konzern strebe möglichst einvernehmliche und sozialverträgliche Lösungen an und versuche möglichst viele Beschäftigte intern zu vermitteln, hieß es. Bereits im November war bekannt geworden, dass Merck die Kosten in der Elektroniksparte um bis 90 Millionen Euro senken will.
Auch in der Pharmasparte wurden 200 Stellen gekürzt, zudem fallen in Zentralfunktionen wie IT, Einkauf, Personal und Recht rund 550 Jobs bis Ende 2024 weg. Betriebsbedingte Kündigungen in Darmstadt sowie im nahen Gernsheim sind per Beschäftigungsgarantie bis Ende 2025 ausgeschlossen. In Darmstadt beschäftigt Merck rund 12 500 der mehr als 64 000 Beschäftigten weltweit./tav/als/nas/zb
Quelle: dpa-AFX