MÜNCHEN (dpa-AFX) - Für den Münchner Triebwerksbauer MTU
DAS IST LOS BEI MTU:
Die Pandemie hat die Luftfahrt so schwer getroffen wie kaum eine andere Branche. Weil Regierungen in aller Welt scharfe Reisebeschränkungen verhängt haben, ist der Passagierverkehr auf einen Bruchteil des Üblichen eingebrochen. Fluggesellschaften in aller Welt ringen ums Überleben, können neue Flugzeuge und Antriebe derzeit kaum gebrauchen. Was nicht fliegt, muss auch weniger gewartet werden. Daher bekam der Triebwerksbauer MTU die Krise auch in seiner wichtigen Service-Sparte zu spüren.
"Es wird Jahre dauern, bis der Luftverkehr - und damit die Grundlage unserer Aktivitäten im Serien- und Instandhaltungsgeschäft - wieder das Niveau der Vorkrisen-Jahre erreichen wird", sagte MTU-Chef Winkler schon im Sommer. Da hatte man auch bei dem Münchner Unternehmen erkannt, dass es auf absehbare Zeit nicht genug Arbeit für alle Beschäftigten geben dürfte
Vorerst profitieren der Konzern und seine Beschäftigten noch vom Kurzarbeitergeld in Deutschland. Doch bis Ende des Jahres sollen 10 bis 15 Prozent der Stellen wegfallen. Das entspricht etwa 1000 bis 1500 Arbeitsplätzen. Zum Vergleich: Der europäische Flugzeugbauer Airbus
Dabei kann sich MTU glücklich schätzen, dass das Unternehmen stärker mit Airbus im Geschäft ist als mit Boeing. So hielt sich beim europäischen Hersteller die Zahl der Stornierungen in der Corona-Krise bisher in engen Grenzen, während dem US-Konzern massenhaft Bestellungen wegbrachen. Für MTU lief es dabei wie für Airbus: "Die meisten Airlines haben ihre Aufträge auf der Zeitachse lediglich verschoben, es gab nur vereinzelte Stornierungen", sagte MTU-Chef Winkler Ende Januar der Zeitschrift "Euro am Sonntag".
Wie Airbus und Boeing hatte auch der MTU-Vorstand seine ursprünglichen Ziele für 2020 schnell wieder kassiert. Seine neuen Prognosen vom Sommer musste er später noch einmal anpassen. Immerhin: In den ersten drei Quartalen hielt sich MTU in den schwarzen Zahlen. Auch für das Gesamtjahr hat der Vorstand einen operativen Gewinn angekündigt. So dürfte der Umsatz zwar von zuvor 4,6 Milliarden auf 4,0 bis 4,2 Milliarden Euro eingebrochen sein. Davon sollen aber rund 10 Prozent als operativer Gewinn (bereinigtes Ebit) übrig bleiben.
Für 2021 stellt das Management wieder steigende Erlöse in Aussicht - im Wartungsgeschäft sogar um mehr als 20 Prozent. Doch Konzernchef Winkler dämpfte Hoffnungen, dass MTU schnell wieder zum Vorkrisenniveau zurückkehren könnte. "Wir sehen die nächsten Jahre als eine Phase des Neustarts, in der wir unsere Technologieführerschaft, Innovationskraft und Flexibilität zum Ausbau unserer guten Ausgangsposition nutzen, um ab 2024 wieder überproportional am Wachstum der Branche teilzuhaben", sagte er im November vor Analysten und Investoren.
Immerhin will Airbus die Produktion der Mittelstreckenjets aus der A320neo-Familie ab dem Sommer wieder ausweiten. Derzeit werden pro Monat nur 40 Maschinen der Reihe gebaut, ab dem dritten Quartal sollen es 43 Stück sein und ab dem vierten Quartal 45 Stück. Das Vorkrisen-Niveau von 60 Jets pro Monat ist damit noch weit entfernt. Rechnerisch wird etwa jede zweite Exemplar der A320neo mit Triebwerken bestückt, an denen MTU zumindest mitgebaut hat.
DAS SAGEN ANALYSTEN:
Branchenexperten trauen dem Braten noch nicht ganz. Von 13 im dpa-AFX-Analyser erfassten Experten, die ihre Einschätzungen seit dem MTU-Kapitalmarkttag im November erneuert haben, raten nur zwei zum Kauf der Aktie. Sechs Experten raten zum Halten und die fünf anderen sogar zum Verkauf. Dazu passt, dass der Börsenkurs ihr durchschnittliches Kursziel von gut 182 Euro inzwischen überschritten hat.
Zu den größten Optimisten zählt Analyst Christophe Menard von der Deutschen Bank. Er nahm die Aktie erst vor wenigen Tagen mit einem Kursziel von 235 Euro in die Bewertung auf. Er lobt die starke Ausrichtung des Konzerns auf Antriebe für Mittelstreckenjets und Frachtflugzeuge. Seiner Ansicht nach sollte MTU dank langfristiger Service-Verträge von der Erholung im Ersatzteilgeschäft profitieren.
Sein Kollege Andrew Humphrey von der US-Bank Morgan Stanley zählt mit seinem kürzlich auf 130 Euro erhöhten Kursziel zu den größten Pessimisten. Er begründet seine Einschätzung allerdings weniger mit der speziellen Lage für MTU, sondern mit der Lage der gesamten Branche. Ein Investment in den zivilen Luftfahrtsektor werde den Anlegern einige Geduld abverlangen, schrieb er im Januar.
Von MTU selbst befragte Branchenexperten sagen dem Konzern für die kommenden Jahre wieder steigende Umsätze und Gewinne voraus. So sollte der Umsatz im vergangenen Jahr auf rund 4,05 Milliarden Euro eingebrochen sein, 2021 dann aber auf 4,6 Milliarden Euro steigen und für 2022 werden knapp 5 Milliarden Euro erwartet.
Beim operativen Gewinn rechnen die Branchenkenner für 2020 im Schnitt mit 415 Millionen, für das laufende Jahr mit 503 Millionen Euro und für 2022 mit 638 Millionen Euro. Der Rekordumsatz von 4,6 Milliarden und der bisher höchste operative Gewinn von 757 Millionen Euro aus dem Jahr 2019 wären damit aber immer noch ein großes Stück entfernt.
DAS MACHT DIE AKTIE:
Nach einem jahrelangen Höhenflug wurde die MTU-Aktie im September 2019 in den Dax aufgenommen. Anders als die Aufsteiger in den Jahren davor, die sich nach der Aufnahme in den deutschen Leitindex mit weiteren Kursgewinnen schwertaten, ging es für MTU weiter bergauf. Kurz bevor die Corona-Krise die Aktienmärkte richtig erfasste, erreichte der Kurs Ende Januar 2020 mit 289,30 Euro den höchsten Stand seiner Geschichte. Doch ab Mitte Februar ging es auch für MTU steil nach unten - bis zum Krisentief von 97,76 Euro Mitte März.
Wer seine Anteile zu diesem Zeitpunkt verkauft hat, dürfte sich danach gründlich geärgert haben. Zwar ist das Rekordhoch auch jetzt noch weit entfernt. Doch nach einer Erholung im Herbst lugte der MTU-Kurs Anfang 2021 erstmals wieder über die Marke von 220 Euro. Zuletzt wurde die Aktie zu Kursen um die 190 Euro gehandelt, so dass Anleger seit dem Tief im Corona-Crash ein Plus von fast 100 Prozent einfahren konnten.
Der Finanzinvestor KKR hatte MTU im Jahr 2002 vom damaligen DaimlerChrysler-Konzern übernommen und das Unternehmen im Jahr 2005 zum Preis von 21 Euro je Aktie an die Börse gebracht. Wer das Papier seitdem gehalten hat, kann sich über einen Wertzuwachs von etwa 800 Prozent freuen. An der Börse wird MTU derzeit mit rund 10 Milliarden Euro bewertet und gehört damit zu den kleinsten Werten im deutschen Leitindex./stw/tav/he
Quelle: dpa-AFX