WASHINGTON/BERLIN (dpa-AFX) - Die US-Regierung zieht Medienberichten zufolge eine Lieferung des Patriot-Flugabwehrsystems an die Ukraine in Betracht. Das Vorhaben müsse aber noch von Verteidigungsminister Lloyd Austin final genehmigt werden, berichteten mehrere US-Medien unter Berufung auf nicht namentlich genannte Regierungsquellen. Das Luftverteidigungssystem Patriot würde in der von Russland angegriffenen Ukraine einen Teil der Karten neu mischen. Es kann Flugzeuge, Marschflugkörper, Drohnen oder Raketen auch in größerer Entfernung abwehren.
Das US-Verteidigungsministerium bestätigte die Berichte zunächst nicht. Es gebe aktuell nichts anzukündigen, sagte Pentagonsprecher Pat Ryder am Dienstag. Man sei im Gespräch mit Kiew und prüfe mit Blick auf die Bedürfnisse immer "das gesamte Spektrum der Sicherheitsunterstützung und der Verteidigungsfähigkeiten" in US-Beständen. Den Berichten zufolge könnte es noch in dieser Woche eine finale Ankündigung geben. Offen ist nun auch, wie viele sogenannte Patriot-Batterien die USA an die Ukraine liefern würden. Die USA liefern bereits Mehrfachraketenwerfer vom Typ Himars oder das Flugabwehrsystem Nasams in die Ukraine.
Das Patriot-System ("Phased Array Tracking Radar to Intercept on Target") würde Experten zufolge einen großen Unterschied für die Ukraine machen. Die Infrastruktur und Bevölkerungszentren werden damit besser gegen zerstörerische russische Luftangriffe geschützt, während sich die Bewegungsfreiheit der ukrainischen Streitkräfte am Boden vergrößert. Es könnte - abhängig vom Standort - bis über russisches Gebiet reichen.
Im Idealfall bilden unterschiedliche Luftabwehrsysteme mehrere "Abfangschichten" - die obere, die mittlere und den sogenannten Nah- und Nächstbereich. Bis zu 100 Kilometer weit treffen die Patriot-Raketen in einer gedachten Glocke um die Stellung, abhängig vom eingesetzten Lenkflugkörper. Das System reicht damit weiter, als die schon aus Deutschland gelieferte Flugabwehrrakete Iris-T mit ihren 40 Kilometern Reichweite. Deutschland hat der Ukraine auch bereits den Flugabwehrkanonenpanzer Gepard überlassen, der seine Ziele bis 3 Kilometer entfernt abschießt.
Deutschland selbst hatte im Kalten Krieg 36 der Patriot-Systeme, die einen Sperrgürtel entlang der innerdeutschen Grenze zum Warschauer Pakt hätten bilden sollen. Inzwischen hat die Bundeswehr nur noch 12 Systeme. Etwa die Hälfte ist derzeit für technische Updates bei der Industrie. Dass die Nato ihre Luftverteidigung integriert aufgestellt hat, bedeutet, dass sich Deutschland nicht vollständig allein verteidigen muss - und könnte im Fall eines US-Engagements Auswirkungen bis in die Ukraine haben.
Denn auch die US-Streitkräfte haben Patriots in Deutschland stationiert. Naheliegend und wahrscheinlich ist, dass Ukrainer - wie auch bei anderen Waffensystemen schon praktiziert - in Deutschland daran ausgebildet werden, beispielsweise auf dem Truppenübungsplatz Grafenwöhr in Bayern. Das berichteten auch US-Medien am Mittwoch. Doch offen ist, wie schnell die Ukrainer am Patriot-System ausgebildet werden könnten.
Womöglich könnte die Ausbildung auch im Schnelldurchgang organisiert werden, also binnen einiger Wochen, denn die Ukrainer haben sich als findig im Einsatz neuer Waffensysteme erwiesen. Andere Experten meinten bisher, für eine vernünftig Ausbildung, die auch die Überlappung der verschiedenen Systeme zum gegenseitigen Schutz berücksichtigt, müsse durchaus ein Jahr veranschlagt werden. Allein die Ausbildung an den Patriot-Systemen dauert in der Regel mehrere Monate. Patriot-Batterien benötigen auch viel größere Besatzungen als kleinere Luftverteidigungssysteme, um sachgemäß bedient zu werden.
Mit besseren westlichen Waffen wird die Ukraine immer mehr zur "No-Fly-Zone" für russisches Fluggerät und auch Raketen und Drohnen werden besser abgefangen. Für die westlichen Partner der Ukraine ist das jedoch teuer und fordert die Ressourcen, da Russland mit billigen Drohnen auch Ziele generieren kann und so auf den hohen Munitionsverbrauch setzt. Die militärische Unterstützung für Kiew aus den USA allein beläuft sich auf insgesamt etwa 20 Milliarden US-Dollar seit Beginn der Amtszeit von US-Präsident Joe Biden Anfang 2021.
Und was bedeutet eine Lieferung der Patriot-Abwehr für die Bundesregierung, die bisher Einigkeit im Vorgehen der Nato-Partner zur obersten Maxime erklärt hat? Es ist dann wohl nur noch ein kleiner Schritt, auch aus Deutschland Patriots für die Ukraine zu fordern. Das hat Polen bereits getan.
Berlin und Warschau hatten nach einem Raketeneinschlag auf polnischem Gebiet jüngst vereinbart, dass deutsche Patriot-Raketenabwehrsysteme nach Polen verlegt werden. Polens Verteidigungsminister Mariusz Blaszczak sorgte dann zwischenzeitlich für erhebliche Verstimmung in Berlin, weil er vorschlug, die Patriots besser in der Ukraine zu stationieren. Nun sollen die deutschen Waffen aber doch wie geplant auf polnischem Boden stehen./cn/DP/men
Quelle: dpa-AFX