NEUBIBERG (dpa-AFX) - Von der in diesem Frühjahr geglückten Übernahme des US-Konkurrenten Cypress Semiconductor verspricht sich Infineon eine Menge. Aktuell hat der Chiphersteller aber Sorgen, die Corona-Krise macht auch dem Dax-Konzern zu schaffen. Was im Unternehmen los ist, wie Analysten die weiteren Aussichten bewerten und wie sich die Aktie entwickelt hat.
DAS IST LOS IM UNTERNEHMEN:
Nachdem die Pandemie Infineon bereits im zweiten Quartal des Geschäftsjahres 2019/2020 belastete, rechnet Konzernchef Reinhard Ploss zunächst nicht mit schneller Besserung. Er verdeutlichte, dass auch Infineon nicht immun gegen die Pandemie sei und sich von deren negativen Folgen nicht freimachen könne. Weil das so ist, erwartet der Dax-Konzern im laufenden Geschäftsjahr einen Umsatz- und Ergebnisrückgang.
Wegen der Corona-Krise hatte Infineon seine ursprüngliche Prognose im März zurückgezogen. Eigentlich wollte der Halbleiterspezialist sein Geschäft weiter ausbauen. Allerdings hatte Ploss bereits vor der Corona-Pandemie mit einer schwierigen ersten Jahreshälfte gerechnet. Schon im vergangenen Jahr hatte Infineon die anhaltende Schwäche der Automärkte zu spüren bekommen. Die frühere Siemens-Tochter aus dem Münchener Vorort Neubiberg macht mit der Autoindustrie den Löwenanteil ihres Geschäfts. Doch gerade diese Branche ist von der Pandemie hart getroffen.
Aufgrund der hohen Unsicherheiten durch die Virus-Krise will Infineon sich auch bei den Investitionen zurückhalten und hat verschiedene Sparmaßnahmen eingeleitet. Obwohl der Konzern die ersten Anzeichen des Abschwungs laut Ploss noch recht gut abfedern konnte, ging der Manager im Mai davon aus, dass sich die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Krise erst in den Folgequartalen richtig bemerkbar machen dürften.
Aber es gibt auch Positives: Der Anfang April nach einer langen Hängepartie geglückte, 9 Milliarden Euro schwere Cypress-Zukauf soll Infineon perspektivisch wieder zum hohen Wachstum vergangener Tage zurückführen. Ploss setzt große Hoffnungen auf die US-Amerikaner, die das Portfolio deutlich erweitern.
Auf längere Sicht erwartet der Dax-Konzern durch den Zukauf eine höhere Wachstumsdynamik und jährliche Kostensynergien in Höhe von 180 Millionen Euro. Ploss rechnet damit, dass die Übernahme bereits im Geschäftsjahr 2021 wertsteigernd sein wird.
Unterdessen besorgte sich der Chiphersteller Ende Mai am Kapitalmarkt frisches Geld zur Finanzierung der Übernahme. Mit der Ausgabe neuer Aktien wurden laut Unternehmensangaben brutto 1,06 Milliarden Euro erlöst. Damit soll ein Teil der Darlehen abgelöst werden, die zur Finanzierung der Akquisition aufgenommen wurden.
DAS SAGEN DIE ANALYSTEN:
Beim Blick auf die Einschätzungen der Marktexperten ergibt sich ein überwiegend positives Bild. Von den insgesamt 13 im dpa-AFX-Analyser erfassten Analysten, die sich seit der Vorlage der Zahlen für das zweite Quartal näher mit Infineon befasst haben, empfehlen immerhin 7 die Aktie zum Kauf. Fünfmal lautet der Rat, die Papiere zu halten und die weiteren Entwicklungen genau zu beobachten. Mit der Schweizer Großbank Credit Suisse plädiert lediglich ein Finanzinstitut dafür, sich von den Anteilsscheinen zu trennen.
Aus Sicht von Credit-Suisse-Analyst Achal Sultania senke zwar die erfolgreiche Refinanzierung eines Kredits die Kreditkosten für den Halbleiterhersteller etwas. Doch das ändere nichts daran, dass die Verschuldung sich auf einem hohen Niveau bewege, argumentiert Sultania, der mit 17 Euro auch das niedrigste Kursziel auf dem Zettel hat.
Mit lediglich einem Euro mehr liegt das Ziel des Analysehauses Kepler Cheuvreux nur knapp darüber. Analyst Sebastien Sztabowicz rechnet denn auch mit schwachen Ergebnissen des Chipherstellers bei deutlichem Einfluss der Corona-Krise. Auch Andrew Gardiner von der britischen Investmentbank Barclays zeigt sich im Hinblick auf die Infineon-Aktie weiter besorgt. Grund sei die hohe Abhängigkeit des Geschäfts von der Automobilbranche.
Während David Mulholland von der Schweizer Großbank UBS davon ausgeht, dass die Unternehmen aus dem europäischen Technologie-Hardware-Segment insgesamt solide Quartalszahlen vorlegen dürften, ist Infineon für Dominik Olszewski von der US-Investmentbank Morgan Stanley sein bevorzugter Halbleiterwert in Europa. Der Konzern profitiere vom Elektrifizierungstrend und auch regulatorischen Initiativen abseits der Autobranche. Die Bewertung hält Olszewski für attraktiv.
Derweil gibt sich Sandeep Deshpande von der US-Bank JPMorgan am zuversichtlichsten. Er hat als Kursziel 28 Euro notiert und erwartet, dass die Quartalsberichte den Erwartungen entsprechen oder sogar etwas darüber liegen sollten. Infineon bleibe eine der aussichtsreichsten Aktien im Sektor, ist Sultania überzeugt. Laut Mark Li vom US-Analysehaus Bernstein Research deuteten jüngste Daten zum Autoabsatz in China sowie zum E-Autoabsatz in Europa und weltweit darauf hin, dass das Unternehmen das Schlimmste hinter sich haben könnte. Die Bilanz sei zudem gut genug, um auch eine längere Abschwächung durchzustehen.
DAS MACHT DIE AKTIE:
Auch Infineon bekam die Marktturbulenzen im Zuge der Corona-Krise zu spüren. Kostete eine Aktie Mitte Februar noch rund 23 Euro, setzte kurz danach durch den Corona-Crash ein Sturzflug in den Keller ein. Binnen weniger Wochen ging es bis Mitte März auf zwischenzeitlich nur noch rund 10 Euro nach unten. Somit hatten die Titel binnen rund eines Monats über die Hälfte an Wert eingebüßt.
Seitdem haben sich die Anteilsscheine allerdings nicht nur wieder komplett erholt, sondern sie kratzten mit 23,60 Euro am 21. Juli sogar kurzzeitig an der 24-Euro-Marke und lagen damit über Vor-Krisen-Niveau. Danach ging es allerdings wieder ein Stückchen bergab, aktuell kostet die Aktie etwas mehr als 21 Euro.
Anfang Juni 2018 waren die Titel fast 26 Euro wert, davon ist die Infineon-Aktie momentan noch etwas entfernt. Allerdings ist die Entwicklung im laufenden Jahr trotz des jüngsten Rücksetzers mit einem Kursplus von rund knapp 5 Prozent wieder positiv. Auf längere Sicht hat sich ein Investment in das Papier ohnehin gelohnt: So haben die Anteilsscheine ihren Wert in den zurückliegenden 5 Jahren mehr verdoppelt.
Derzeit kommt Infineon an der Börse auf eine Marktkapitalisierung von rund 25 Milliarden Euro. Damit gehört der Chipkonzern in Sachen Börsenwert eher zu den kleineren Fischen im Leitindex Dax./eas/nas/fba
Quelle: dpa-AFX