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BERLIN (dpa-AFX) - Seit Jahren ist eine Sitzung des Bundesrats nicht mehr so spannend gewesen wie diese. Bei den beiden zentralen Themen, dem Wachstumschancengesetz und dem Cannabisgesetz, war selbst am frühen Freitagmorgen noch nicht ganz klar, wie sich die Länderkammer dazu positionieren würde. Am Ende konnte die Ampel-Koalition aufatmen - die Länder ließen beide Gesetze passieren. Bei anderen Vorlagen des Bundes zeigten sie sich sperriger. Die wichtigsten Beschlüsse im Überblick:
Cannabis-Legalisierung
Zum 1. April wird der Besitz und Anbau von Cannabis für Volljährige mit zahlreichen Vorgaben für den Eigenkonsum erlaubt sein. Trotz vieler Kritikpunkte gab es in der Länderkammer keine Mehrheit dafür, das Gesetz in den Vermittlungsausschuss von Bundesrat und Bundestag zu schicken und es so vorerst auszubremsen. Legal sein soll für Erwachsene ab 18 Jahren grundsätzlich der Besitz von bis zu 25 Gramm Cannabis zum Eigenkonsum. In der eigenen Wohnung sollen das Aufziehen von drei Cannabispflanzen erlaubt sein und bis zu 50 Gramm Cannabis zum Eigenkonsum. Kiffen im öffentlichen Raum soll unter anderem in Schulen, Sportstätten und in Sichtweite davon verboten sein - konkret in 100 Metern Luftlinie um den Eingang. Um ein Scheitern des Gesetzes abzuwenden, hatte die Bundesregierung zuletzt zugesichert, einige Regelungen nachträglich zu ändern. Die Kritik der Länder betraf vor allem die Amnestieregelung für Menschen, die in der Vergangenheit zu Haft- oder Geldstrafen für Cannabis-Delikte verurteilt wurden, die künftig nicht mehr strafbar sein werden. Bundesweit müssen jetzt zehntausende Gerichtsakten und Urteile neu angeschaut werden.
Wachstumspaket
Nach monatelangem Ringen zwischen Bund und Ländern stimmte der Bundesrat am Freitag dem milliardenschweren Wachstumspaket der Ampel mit Steuerentlastungen und Bürokratieabbau für Unternehmen zu. Der Bundesrat hatte das sogenannte Wachstumschancengesetz zunächst ausgebremst und in den Vermittlungsausschuss mit dem Bundestag geschickt. Dort wurde das Volumen von einst geplanten 7 Milliarden Euro auf 3,2 Milliarden pro Jahr zusammengestrichen. Das Gesetz blieb trotzdem umstritten, weil der Bund aus Sicht der Union einen Teil seiner Kosten durch die Kürzung von Subventionen beim Agrardiesel finanzieren will. CDU-Chef Friedrich Merz begrüßte am Freitag zwar, dass die Bundesregierung Entlastungen für die Landwirte an anderer Stelle zugesagt habe. Die Belastung der deutschen Bauern sei aber weiterhin zu hoch und müsse auf das europäische Niveau verringert werden.
Qualitäts-Atlas zu Krankenhäusern
Ein geplantes Gesetz für mehr Transparenz bei Klinik-Behandlungen ließ der Bundesrat im zweiten Anlauf durchgehen, nachdem er es im November ebenfalls in den Vermittlungsausschuss geschickt hatte. Das neue "Transparenzverzeichnis" soll voraussichtlich vom 1. Mai an als interaktives Portal verständlich über Leistungen und Behandlungsqualität an bundesweit 1700 Klinikstandorten Auskunft geben. Abrufbar sein sollen Daten zu Fallzahlen, also der Behandlungserfahrung, zum Personalschlüssel bei Fachärztinnen, Fachärzten und Pflegekräften sowie zu Komplikationsraten ausgewählter Eingriffe. Das Gesetz sieht auch mehrere Regelungen vor, um die Liquidität der Kliniken zu stärken. Kritiker des Gesetzes wie Bayerns Gesundheitsministerin Judith Gerlach (CSU) forderten den Bund zu rascher finanzieller Hilfe für die Krankenhäuser auf, damit diese nicht "von einer unkontrollierten Pleitewelle überrollt werden".
Ausbau der Schienenwege
Die Länder stoppten vorerst das Bundesschienenwegeausbaugesetz, das die Grundlage für die Verbesserung der Schieneninfrastruktur der Deutschen Bahn ist. Das Unternehmen will in den kommenden Jahren tausende Kilometer Schienen sanieren und modernisieren, vor allem auf den ICE-Hochgeschwindigkeitstrassen. Dagegen sperren sich die Länder gar nicht. Sie verlangen aber vom Bund, dass er die Kosten für den auf solchen Strecken in der Bauzeit notwendigen Schienenersatzverkehr mitträgt. Außerdem fordern sie, dass die Bahn nicht nur die Hauptstrecken, sondern das gesamte Netz modernisiert. Schon jetzt seien Strecken im ländlichen Raum heruntergekommen. Die Situation dürfe sich nicht noch weiter verschlechtern. Der Bundesrat schickte das Gesetz daher in den Vermittlungsausschuss.
Onlinezugangsgesetz 2.0
Noch eine Pleite für den Bund: Das neue Onlinezugangsgesetz (OZG 2.0) kann vorerst nicht in Kraft treten, weil ihm der Bundesrat die Zustimmung versagte. Das Gesetz soll aus Sicht der Ampel-Koalition die Digitalisierung der Verwaltung voranbringen und mehr Datenschutz gewährleisten. Das Gesetz bezieht sich auf die Bundesverwaltung, soll aber auch auf die Länder und Kommunen ausstrahlen. Es sieht vor, dass Bund und Länder in einem gemeinsamen Gremium in den kommenden zwei Jahren Standards entwickeln, die für alle Beteiligten verbindlich sind. Damit soll auch verhindert werden, dass in den Verwaltungen mehrfach Software entwickelt wird, um dasselbe Problem zu lösen. Nach dem Willen der Ampel-Koalition soll auch die Infrastruktur für ein digitales Bürgerkonto nicht mehrfach angeboten werden, sondern sich auf das zentrale Bundeskonto (Bund-ID) konzentrieren.
Einführung von Biodiesel
Grünes Licht gab es vom Bundesrat für eine Verordnung der Bundesregierung zur Einführung von Biodiesel. Sogenannte paraffinische Dieselkraftstoffe, die aus Abfallstoffen und Pflanzenölen hergestellt werden, werden damit auch als Reinkraftstoff zugelassen. Bislang konnten sie dem herkömmlichen Diesel nur beigemischt werden. Nach der neuen Verordnung dürfen sie künftig auch in 100-prozentiger Konzentration angeboten werden. Da Biodiesel weniger CO2 verursacht als herkömmlicher Diesel, soll auf diese Weise auch ein Beitrag zum Klimaschutz geleistet werden. Fraglich ist allerdings, in welchem Umfang der neue Treibstoff künftig verfügbar sein wird.
Ticketsteuer, Bürgergeld und Agrardiesel
Die Länder machten den Weg frei für mehrere Maßnahmen zur Konsolidierung des Bundeshaushalts 2024. So sollen etwa Steuervorteile für Landwirte beim Agrardiesel schrittweise abgeschafft - das war einer der zentralen Streitpunkte beim Wachstumspaket. Für Passagierflüge soll die Ticketsteuer erhöht werden. Zudem sind im entsprechenden Haushaltsfinanzierungsgesetz strengere Regeln beim Bürgergeld vorgesehen: Jobcenter sollen Arbeitslosen das Bürgergeld für maximal zwei Monate komplett streichen können, wenn die Betroffenen die Aufnahme einer Arbeit nachhaltig verweigern. Die Maßnahmen sollen Finanzierungslücken schließen, die aus dem Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts im vergangenen November entstanden waren./jml/sk/sam/jr/tam/hrz/jgl/abc/DP/men
Quelle: dpa-AFX