FRANKFURT (dpa-AFX) - Die Deutsche Börse
DAS IST LOS BEI DER DEUTSCHEN BÖRSE:
Weimer, der die Geschicke des Börsenbetreibers seit Anfang 2018 lenkt, hat einen Plan und der nennt sich "Compass 2023". Mit der im vergangenen Herbst vorgestellten Strategie will der Konzernchef der Deutschen Börse die Nettoerlöse im laufenden Jahr auf rund 3,5 Milliarden Euro steigern. Das entspräche einem Plus von zehn Prozent. Bis 2023 sollen die Erlöse dann auf rund 4,3 Milliarden Euro klettern.
Erreicht werden soll das auch durch Zukäufe. Allerdings setzt Weimar dabei eher auf kleinere und mittlere Akquisitionen und nicht auf den großen Deal, auf den die Anleger aber hoffen. Als Paradebeispiel wird dabei von Experten die 27-Milliarden-Dollar-Übernahme des Finanzdienstleister Refinitiv durch den Erzrivalen London Stock Exchange (LSE)
Weimer will den Börsenbetreiber aber auf jeden Fall breiter aufstellen, um ihn unabhängiger von den Schwankungen an den Aktien- und Derivatemärkten und der Entwicklung der Geldpolitik und den niedrigen Zinsen zu machen. So sind vor allem die Erträge und der Gewinn in der Sparte Clearstream, die ihr Geld mit der Abwicklung von Transaktionen und der Aufbewahrung von Wertpapieren verdient, durch das Niedrigzinsumfeld unter Druck.
Die jüngste Erfolgsmeldung gab es Ende Juni: Die Deutsche Börse übernimmt zwei Drittel an der Crypto Finance AG, einem Handelsplatz für digitale Anlagen. Der Preis belief sich auf einen Betrag im "moderaten dreistelligen Schweizer-Franken-Millionenbereich".
Zudem konnte Ende Februar die Übernahme des Stimmrechtsberater ISS, der unter anderem institutionellen Investoren Daten und Dienstleistungen im Bereich Unternehmensführung liefert, erfolgreich abgeschlossen werden. Mit dem ISS-Deal ist Weimer endlich der schon länger erwartete Milliarden-Zukauf gelungen. Zuvor hatte die Deutsche Börse bei größeren Deals immer den Kürzeren gezogen und sich eher kleinere Fische geangelt.
Und bereits vergangenen September hatte die Deutsche Börse 51 Prozent am Clearstream Fund Center (CFC) erworben. Im Mai verkaufte die Schweizer Bank UBS ihren verbleibenden Minderheitsanteil von 49 Prozent für 390 Millionen Franken (355 Mio Euro) an die Deutsche Börse, die damit alleinige Eigentümerin der in Zürich ansässigen Fondsvertriebsplattform ist. Aus dem Schritt erwartet die Deutsche Börse sich einen Buchgewinn im niedrigen bis mittleren zweistelligen Millionen-Euro-Bereich.
Und zumindest finanziell wären noch weitere Zukäufe machbar. Ende April, also noch vor dem Crypto-Finance-Deal, hatte der Konzern laut den Aussagen von Finanzvorstand Gregor Pottmeyer rund 1,5 Milliarden Euro für mögliche Übernahmen in der Kasse.
Vorstandsvorsitzender Weimer, der früher der Chef der Hypovereinsbank war, nimmt für seinen Plan auch die Aktionäre in die Pflicht. So fiel die Dividende für das vergangene Jahr zwar mit drei Euro je Anteilsschein zehn Cent höher aus, als noch 2019, aber Weimer gibt zu: "Mir ist bewusst: Angesichts unseres starken Jahres 2020 hätten wir auch etwas mehr Dividende ausschütten können", sagte er bei der Online-Hauptversammlung des Dax-Konzerns, "aber wir brauchen auch Geld für weiteres Wachstum durch Zukäufe."
Was Compass 2023 an Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) eintreiben soll, dafür hat die Deutsche Börse kein absolutes Ziel ausgegeben. Doch ausgehend vom 2020er-Referenzwert, dem angepeilten Plus von zehn Prozent pro Jahr und der Aussage, dass die Marge stabil bleiben soll, ergäbe dies 2023 rechnerisch ein operatives Ergebnis von rund 2,5 Milliarden Euro.
DAS SAGEN ANALYSTEN:
2021 erwartet das Deutsche-Börse-Management beim operativen Gewinn mit einem Anstieg auf rund 2 Milliarden Euro nach knapp 1,9 Milliarden Euro im vergangenen Jahr. Wie realistisch das ist, dafür gibt es Ende Juli bei der Vorlage der Zahlen für das zweite Quartal weitere Indikationen. Die vom Unternehmen befragten Analysten erwarten einen Anstieg um 14 Prozent auf 504 Millionen Euro - wobei die Spanne von 453 Millionen Euro bis 534 Millionen Euro reicht. Bei den Erlösen wird im Schnitt ein Plus von 14 Prozent auf 879 Millionen Euro erwartet.
Die von dpa-AFX erfassten Experten halten sich derzeit mit Blick auf die weitere Entwicklung der Aktien zurück - vor allem bei den jüngsten Studien lautet das Votum überwiegend "Halten". Unter den zehn seit der Vorlage der Zahlen zum ersten Quartal erfassten Analysten haben sechs diese neutrale Einstellung und vier empfehlen das Papier zum Kauf. Die Kursspanne reicht von 138 bis 176 Euro und der Durchschnitt bei rund 156 Euro. Damit hätte der momentane Aktienkurs also noch etwas Luft nach oben.
Analyst Benjamin Goy von der Deutschen Bank erwartet, dass Faktoren, die den Kurs zuletzt belastet hatten, nun wieder abebben. Vor allem das geringere Wachstum sowie die Enttäuschung über bisher fehlende ganz große Übernahmen in den vergangenen Monaten hätten die Anleger enttäuscht. Die "Feuerkraft des Konzerns" für Übernahmen sei letztlich größer als allgemein angenommen. Mit Blick auf die zuletzt deutlich anziehenden erfolgreichen M&A-Aktivitäten würde er weitere Transaktionen begrüßen. Da er auch beim Blick auf das Wachstum der bestehenden Geschäftsfelder optimistisch ist, erhöhte er vor Kurzem sein Kursziel um fünf auf 176 Euro.
Skeptisch zeigt sich dagegen Analyst Tobias Lukesch von Kepler Cheuvreux, der mit einem Kursziel von 138 Euro das Schlusslicht der empfohlenen Preisspanne bildet. Grund ist seine Sorge angesichts der vom Air-Berlin-Insolvenzverwalter vorgetragenen Forderung in Höhe von knapp einer halben Milliarde Euro gegen die Deutsche-Börse-Tochter Clearstream. Allerdings rät auch Lukesch zum Halten der Papiere.
DAS MACHT DIE AKTIE:
Aus dem Aktienkurs ist seit einiger Zeit die Luft raus. Nachdem sich das Papier zu Beginn der Amtszeit von Weimer dynamisch nach oben entwickelt hatte und dank des regen Börsenhandels im Corona-Crash im vergangenen Sommer auf das Rekordhoch von 170,15 Euro gestiegen war, fehlten zuletzt die neuen Impulse. Die von Weimer in Aussicht gestellten Ziele wurden von den Analysten zwar überwiegend gelobt, für einen weiteren Börsenturbo reichte das aber nicht.
Zwar konnte sich der Kurs seit der Vorlage von Weimers 2023er-Zielen wieder etwas von den Verlusten aus dem kleinen Crash nach dem Rekordhoch erholen. Doch mit 145 Euro liegt der Kurs nur rund neun Prozent über dem Niveau zum Zeitpunkt der Bekanntgabe der Mittelfristprognosen. Die Deutsche Börse-Aktie entwickelte sich damit deutlich schlechter als der Dax. Zudem konnte der Kurs unter dem Strich seit Herbst 2019 nicht zulegen, sondern bewegte sich alles in allem seitwärts - wenn auch unter großen Ausschlägen.
So hatte die erste Welle der Corona-Pandemie auch bei der Deutschen Börse im Frühjahr 2020 für einen tiefen Fall des Aktienkurses gesorgt, die Papiere fielen im März vergangenen Jahres bis auf rund 93 Euro. Wegen des hohen Absicherungsbedarfs in der Krise und dem nach Corona-Crash schnell wieder einsetzenden Börsenhype wurde das Tal aber innerhalb von gut zwei Monaten durchschritten und die Deutsche-Börse-Aktie stand Mitte Mai schon wieder auf dem Vor-Pandemie-Niveau von mehr als 150 Euro und dann kurz danach so hoch wie noch nie.
Doch das Rekordhoch ist inzwischen in weite Ferne gerechnet. Trotz der jüngsten Verluste liegt der Börsenwert der Deutschen Börse mit knapp 28 Milliarden Euro rund die Hälfte höher als vor dem Amtsantritt Weimers. Mit dem Kursplus ließ die Deutsche Börse die meisten anderen deutschen Standardwerte in dem Zeitraum hinter sich. Zudem hat der Börsenbetreiber damit auch die Deutsche Bank
International sieht es dagegen schlechter aus. Da wurde die Deutsche Börse in den vergangenen Jahren unter anderem vom Erzrivalen aus London deutlich übertrumpft. Der Aktienkurs der LSE zog seit Ende 2017 unter anderem getrieben von der Milliardenübernahme des Finanzdatenanbieters Refinitiv um fast 100 Prozent an.
Der Börsenwert des britischen Unternehmens, den die Deutsche Börse noch im Jahr 2017 unter Weimers Vorgänger Carsten Kengeter übernehmen wollte, aber am Brexit und Widerstand der EU scheitertet, liegt inzwischen bei umgerechnet 49 Milliarden Euro. Die Londoner spielen damit in einer anderen Liga als die Deutsche Börse - nämlich in der der großen US-Börsenbetreiber wie CME
Quelle: dpa-AFX