BONN (dpa-AFX) - Wegen Defiziten beim Handynetz-Ausbau erwägt eine Aufsichtsbehörde, erstmals Deutschlands große Telekommunikationsanbieter zur Kasse zu bitten. "Die Bundesnetzagentur beabsichtigt zurzeit, ein Bußgeld von bis zu 50 000 Euro pro Standort zu verhängen", heißt es in einem Schreiben der Bonner Behörde an ihren Beirat. Das Dokument liegt dpa vor. Es geht um Standorte, die im Rahmen der Frequenzauktion von 2019 eigentlich bis Ende vergangenen Jahres hätten gebaut werden müssen, aber nicht wurden. Weiter heißt es: "Daneben können auch Zwangsgelder erhoben werden." Zwangsgelder könnten noch größere finanzielle Folgen haben.
Die drei etablierten Netzbetreiber Telefónica (O2), Vodafone
Unter anderem auf solche Standorte bezieht sich die Sanktionsandrohung in dem Schreiben an den Beirat. Die Netzbetreiber betonen unisono, dass sie vorankommen. Es seien 14 weitere im Bau, sagt zum Beispiel ein Telekom-Sprecher. Zudem betont er, dass an den übrigen noch fehlenden 115 Standorten "zu einem großen Teil keine Funklöcher bestehen", sondern dort gebe es eine "Grundversorgung" - das Handy bekommt also Breitband-Empfang, aber die vorgeschriebene Mindestübertragung von 100 Megabit pro Sekunde fehlt.
Außerdem verweisen die Firmen darauf, dass sie eine staatliche Liste mit den betroffenen Gegenden zu spät bekommen hätten und dass der Ausbau mancherorts schlicht nicht möglich sei - etwa wenn partout kein Grundstückseigentümer bereit ist, ein Stück Land für einen Funkmast zu vermieten. In Naturschutzgebieten ist die Errichtung solcher Masten ebenfalls schwierig. Ist es aus "rechtlichen und tatsächlichen" Gründen unmöglich, Antennen aufzustellen, so wertet die Bundesnetzagentur dies nicht als Verfehlung.
Somit ist unklar, wie groß die Lücke zu der Pflichtvorgabe von 167 ist - je nachdem, wie viele Standorte die Bundesnetzagentur als "rechtlich und tatsächlich" unmöglich wertet, ist sie kleiner oder größer. Derzeit prüft die Bonner Behörde die Unterlagen, die die Unternehmen Anfang Januar eingereicht haben.
Die krasseste Verfehlung der Ausbaupflichten stammt nicht von den drei etablierten Netzbetreibern, sondern vom Neueinsteiger 1&1
Allerdings ist offen, ob die Bundesnetzagentur überhaupt Buß- oder Zwangsgelder verhängt. Nach der Frequenzauktion 2015 hielt ebenfalls kein einziger Netzbetreiber alle Verpflichtungen ein - besonders Telefónica (O2) offenbarte damals gravierende Defizite. Auch damals drohte die Regulierungsbehörde Sanktionen an, drückte am Ende aber beide Augen zu.
So könnte es auch dieses Mal sein. In dem Schreiben an den Beirat, der an diesem Montag tagt, heißt es: "Bei einer Verhängung von Sanktionen findet eine Gesamtbetrachtung statt, bei der der jeweilige Einzelfall zu beurteilen ist." Der Satz lässt Interpretationsspielraum zu. Gut möglich, dass die Behörde auch dieses Mal wieder nur eine Drohung ausspricht, um den Druck zu erhöhen, am Ende aber auf das Sanktionsschwert verzichtet.
Allerdings sollten sich die Telekommunikationsfirmen hierbei nicht zu sicher sein. Denn an der Spitze der Regulierungsbehörde sitzt inzwischen Klaus Müller, der vorher den Bundesverband der Verbraucherzentralen geleitet hat. Er ist bekannt dafür, dass er Verbraucherschutz-Belange stärker im Blick hat als sein Vorgänger - statt auf einen Rechtsstreit mit Unternehmen zu verzichten, könnte die Behörde ihn diesmal eingehen und Sanktionen durchsetzen wollen./wdw/DP/jha
Quelle: dpa-AFX