FRANKFURT/LEVERKUSEN (dpa-AFX) - Für den Kunststoffkonzern Covestro
DAS IST LOS BEI COVESTRO:
Vor rund drei Jahren neigte sich eine außerordentlich starke Zeit für Covestro dem Ende zu. Anfang 2018 bekam der Spezialist für Hartplastik, Schaumstoffe und Lackzusätze einen härteren Wettbewerb zu spüren, gleichzeitig begann die Autoindustrie zu schwächeln. Nach einem leichten Rückgang im Jahr 2018 sanken die Gewinne 2019 dann deutlich.
Anfang 2020 schlug dann auch noch die Corona-Krise zu. Unter Druck standen alle drei Sparten des Konzerns. Das Geschäft mit Vorprodukten für Hart- und Weichschäume (PUR, Polyurethane) bekam die schwache Nachfrage der Autobranche und der Möbel- und Holzverarbeitungsindustrie zu spüren. Die Produkte der Sparte werden beispielsweise in Autositzen, Stühlen oder auch als Dämmstoffe eingesetzt. Der Nachfragerückgang traf ebenso das
kleinste Segment CAS rund um Vorprodukte für Lacke, Klebstoffrohstoffe und Spezialanwendungen. Und auch die Polycarbonat-Sparte litt.
Seit Mai 2020 geht es bei den Leverkusenern aber bergauf, erst langsam, dann schwungvoll. Gleich zweimal hob Konzernchef Markus Steilemann den Ausblick für 2020 an, zuletzt im Dezember. 1,44 bis 1,5 Milliarden Euro als Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) stellte der Manager in Aussicht und damit deutlich mehr, als Analysten zu diesem Zeitpunkt im Durchschnitt auf dem Zettel hatten. Das wäre zwar etwas weniger als 2019, aber mehr als doppelt so viel wie noch im Frühjahr nach dem Ausbruch der Corona-Krise für den schlimmsten Fall avisiert.
Der neue Ausblick fußt auf einer besseren Margenentwicklung im Polyurethan- und Polycarbonat-Geschäft. Der Konzern profitiert von Kostensenkungen sowie einer Erholung insbesondere in Asien. So rissen die Kunden den Haushalts- und Unterhaltungselektronikherstellern ihre Produkte 2020 phasenweise aus den Händen. Das Homeoffice boomte weltweit, und viele Menschen hübschten ihre Wohnungen auf, da sie wegen der Lockdowns viel Zeit zu Hause verbrachten. Das hilft auch Covestro, dessen Kunststoffe etwa in Smartphone-Hüllen stecken, aber auch für die Dämmung von Kühlschränken sorgen.
Und auch die Autoindustrie kam in den vergangenen Monaten immer besser in Tritt. Das Geschäft mit den Autoproduzenten und -zulieferern macht bei Covestro rund ein Fünftel des Umsatzes aus.
Trotz der wieder besser laufenden Geschäfte rechnete das Management im Dezember für 2020 weiter mit einer rückläufigen Mengenentwicklung im Kerngeschäft. Konkret dürfte es ein Minus von 5 bis 6 Prozent werden, hieß es. Mehr Details wird es am Dienstag, 23. Februar, im Zuge der Veröffentlichung der Jahreszahlen 2020 geben.
Dann könnte es auch Neuigkeiten zur geplanten Übernahme des Geschäfts mit nachhaltigen Beschichtungsharzen des Konkurrenten DSM geben, das die CAS-Sparte stärken soll. Analysten lobten den im September angekündigten rund 1,6 Milliarden Euro teuren Zukauf des DSM-Bereichs Resins & Functional Materials (RFM). Der Deal soll noch im ersten Quartal abgeschlossen werden.
Und auch anderswo erweitern die Leverkusener ihre Geschäfte. Anfang Februar kündigten sie den Bau einer Produktionsanlage für Polyurethan-Dispersionen in Shanghai an, um "die steigende Nachfrage nach umweltverträglichen Lacken und Klebstoffen in der Region Asien-Pazifik zu decken". In diesem Zusammenhang soll dort auch eine weitere Linie für Polyesterharze entstehen. Beide Anlagen sollen 2024 fertig werden.
DAS SAGEN DIE ANALYSTEN:
Analysten wurden in den vergangenen Monaten immer zuversichtlicher und haben ihre Gewinnerwartungen Stück für Stück angehoben. Das durchschnittliche Ziel der 14 von der Finanz-Nachrichtenagentur dpa-AFX seit der Erhöhung der Unternehmensprognosen im Dezember erfassten Experten liegt bei rund 60 Euro. Nach der Kurserholung der zurückliegenden Monate bis auf aktuell knapp 58 Euro sehen die Analysten damit im Mittel allerdings kaum noch Luft nach oben.
Dennoch gibt es immer noch neun Kaufempfehlungen. Vier Branchenkenner raten zum Halten und nur einer zum Verkauf. Allerdings warten Analysten oftmals größere Ereignisse wie die Präsentation der Jahreszahlen und des Geschäftsausblicks ab, bevor sie ihre Einschätzungen genauer unter die Lupe nehmen.
Isha Sharma vom Investmenthaus Stifel Europe hebt in einer aktuellen Studie den "soliden Trend bei Volumen und Preisen in den wichtigsten Produkten" von Covestro positiv hervor. Die Nachfrage verbessere sich und eine steigende Auslastung der Produktionsanlagen sollte die Profitabilität verbessern. Das heißt, von jedem Euro Umsatz sollte dann mehr Gewinn hängen bleiben als bislang.
Für die Experten der Commerzbank ist der Chemiekonzern einer der Favoriten mit Blick auf eine Konjunkturerholung. Die Triebfedern, die zum überraschend starken Schlussquartal geführt hätten, seien intakt. Zudem profitiere Covestro von seiner rückwärtsintegierten Produktion. So kämen den Leverkusenern die eigenen Herstellungskapazitäten für Bisphenol zugute, einem Zwischenprodukt für den Kunststoff Polycarbonat. Mit 68 Euro liegt das Kursziel der Commerzbank ein Euro über dem des Stifel-Experten. Beide Häuser raten zum Kauf der Papiere.
Etwas vorsichtiger ist Analyst Sven Diermeier von Independent Research. Er schraubte zuletzt im Dezember sein Kursziel auf 50 Euro nach oben und rät, die Papiere zu halten. Dabei berücksichtigte er die Anhebung der Unternehmensprognosen sowie das bessere Konjunkturumfeld wegen der Fortschritte im Kampf gegen die Corona-Pandemie.
Die geplante Übernahme des Beschichtungsharze-Geschäfts von DSM hatte er noch nicht in seinen Schätzungen. Der Experte hält den Kauf aber für sinnvoll, da Covestro zum Marktführer bei Beschichtungsharzen aufsteige und der Anteil der Spezialchemie im Konzern größer werde.
Die Spezialchemie ist in der Regel gewinnträchtiger und auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten oftmals stabiler als das Geschäft mit Massenware.
DAS MACHT DIE AKTIE:
Die Geschäftsbelebung treibt die Covestro-Papiere seit Monaten an. Mit aktuell knapp 58 Euro (per Xetra-Schluss vom 18. Februar) haben sich die Aktien seit dem Corona-Tief von 23,54 Euro im März um fast 150 Prozent erholt. Damit zählen sie in diesem Zeitraum zu den Favoriten im Dax.
Anleger der ersten Stunde - Bayer hatte die Papiere der damaligen Konzerntochter im Herbst 2015 zu 24 Euro das Stück an die Börse gebracht - können sich mittlerweile also wieder über ein ansehnliches Kursplus freuen.
Aktionäre, die erst während des Booms 2017 oder etwas später auf den Zug aufgesprungen sind, dürften hingegen weniger glücklich sein, denn sie sitzen immer noch auf Verlusten: Nach dem Börsengang hatte sich der Aktienkurs im Sog der stark laufenden Geschäfte in gerade einmal zweieinviertel Jahren vervierfacht - zu Beginn des Jahres 2018 kostete das Papier fast 96 Euro. Anschließend ging es aber ebenso rasch wieder nach unten. Seit dem Hoch von damals steht aktuell noch ein Minus von knapp 40 Prozent zu Buche.
Bei der Marktkapitalisierung - also dem Wert aller Aktien in Summe - bringt es Covestro aktuell auf rund 11,2 Milliarden Euro, was den vorletzten Platz im Dax bedeutet. Ein Abstieg aus der ersten deutschen Börsenliga, wie er letzten Sommer noch gedroht hatte, ist kein Thema mehr. Neben der Kurserholung und dem großen Streubesitz, also den frei handelbaren Papiere, liegt das auch an der geplanten Dax-Reform durch die Deutsche Börse. Sie will den deutschen Leitindex im September von 30 auf 40 Werte aufstocken.
Im europäischen Vergleich liegt Covestro in Sachen Börsenwert im Mittelfeld des Stoxx Europe 600 Chemicals
Quelle: dpa-AFX