ESSEN (dpa-AFX) - Höhere Verkaufspreise und eine gute Nachfrage treiben die Geschäfte des Chemikalienhändlers Brenntag
DAS IST LOS BEI BRENNTAG:
Brenntag handelt mit Industrie- und Spezialchemikalien sowie Inhaltsstoffen. Der Konzern kauft seine mehr als 10 000 Produkte bei Chemiekonzernen in größeren Mengen ein, lagert sie und verkauft sie in kleineren Mengen. Brenntag wächst schon länger durch kleinere Übernahmen. Konjunkturabschwünge treffen den Konzern in der Regel weniger stark als die Großchemie, weil Kunden dann geringere Mengen an Chemikalien benötigen und diese vermehrt bei Brenntag statt beim Produzenten kaufen. Da das Unternehmen nicht selbst produziert, machen ihm die jüngst gestiegenen Energiepreise nicht so stark zu schaffen.
Im zweiten Quartal gaben die hohe Nachfrage und der eingeleitete Sparkurs Brenntag weiter Auftrieb. Umsatz und bereinigtes operatives Ergebnis (Ebitda) legten um rund die Hälfte zu. Im Tagesgeschäft lief es in den Regionen Europa, Naher Osten und Afrika (EMEA), Lateinamerika und vor allem Nordamerika besser. In der Region Asien Pazifik war das Geschäft hingegen wegen erneuter strenger Lockdown-Maßnahmen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie beeinträchtigt.
Um Brenntag profitabler zu machen, hatte der seit Anfang 2020 amtierende Unternehmenschef Kohlpaintner dem Konzern einen Umbau verordnet. Abläufe und Strukturen sollten verbessert werden. Auch ungefähr 1300 Stellen will das Unternehmen bis Ende 2022 weltweit streichen. Brenntag beschäftigt mehr als 17 000 Mitarbeiter und betreibt ein Netz aus mehr als 670 Standorten in über 77 Ländern. Größter Konkurrent ist die US-Firma Univar Solutions
Zudem führte Brenntag Anfang 2021 zwei Geschäftsbereiche ein: Essentials und Specialties. Im ersten Bereich vermarktet Brenntag Prozesschemikalien. Der zweite Bereich konzentriert sich auf den Vertrieb von Inhaltsstoffen für ausgewählte Branchen.
Für 2022 peilt das Management beim operativen Gewinn den oberen Bereich der Spanne von 1,75 bis 1,85 Milliarden Euro an. 2021 standen hier 1,34 Milliarden Euro.
Anders als Chemieunternehmen ist Brenntag laut Kohlpaitner von einer Gas-Verknappung kaum betroffen. Der Konzern könne in diesem Fall seine Standorte weiter voll betreiben. Als Distributor wäre das Unternehmen aber indirekt betroffen, wenn energiesensible Produkte wie Ammoniak und Harnstoff wegen eines Gasmangels in der Produktion der Lieferanten knapp werden würden. Im Bedarfsfall könne Brenntag aber die Beschaffungsketten flexibel anpassen.
DAS SAGEN ANALYSTEN:
Analysten sind mit Blick auf die Brenntag-Aktie optimistisch. Von den 12 von dpa-AFX erfassten Experten, die sich seit den Quartalszahlen im August zu Brenntag geäußert haben, raten zehn zum Kauf, und zwei sprechen sich für das Halten aus. Kein Experte empfiehlt, die Aktie zu verkaufen. Mit rund 92 Euro liegt das durchschnittliche Ziel deutlich über dem jüngsten Kurs.
Nach Ansicht von Analyst Michael Schäfer von der Investmentbank Oddo BHF hat sich bestätigt, dass das Geschäft des Konzerns noch robuster geworden ist. Der Umbau liege dank schnellerer Umsetzung und niedrigerer Kosten über dem Plan. Kohlpaintner gehe davon aus, dass die Engpässe etwa in der Logistik in allen Regionen bis 2023 anhalten. Während Brenntag in den USA derzeit ein Mengenwachstum erwarte, dürfte der allmählich wachsende chinesische Chemiemarkt mit weiteren Rückschlägen aufgrund von Energieengpässen zu kämpfen haben.
Nach Einschätzung von Analyst Alex Stewart von der britischen Investmentbank Barclays kann sich der Aktienkurs des Chemikalienhändlers im günstigsten Fall auf 140 Euro verdoppeln. Dies gelte, wenn die Finanzmarktteilnehmer die Wachstumsprognose des Unternehmens für bare Münze nähmen, während sie sich gegenwärtig noch um die Preise sorgten.
Der Experte rechnet mit positiven Überraschungen im dritten Quartal und prognostiziert deshalb für das Gesamtjahr 2022 einen bereinigten operativen Gewinn von 1,03 Milliarden Euro. Dabei verweist er auf die Chemiedistributoren IMCD, Azelis und Univar, die sich alle positiv zum zweiten Halbjahr und vor allem zum dritten Quartal geäußert hätten.
Zwar bestehen nach Ansicht von Analystin Suhasini Varanasi von der US-Bank Goldman Sachs weiter Risiken aufgrund einer potenziellen Abschwächung der Wirtschaft in Europa und den USA für das Wachstum im vierten Quartal, Brenntag habe jedoch schon in früheren Abschwüngen seine Widerstandsfähigkeit beim operativen Ergebnis unter Beweis gestellt. Das derzeitige inflationäre Umfeld sei für Distributoren wie Brenntag angesichts der anhaltenden Einschränkungen in den Lieferketten weiter günstig. Zudem biete sich für größere Chemikalienhändler die Möglichkeit, kleineren Konkurrenten Marktanteile abzunehmen.
DAS MACHT DIE AKTIE:
Nach der Vorstellung des Konzernumbaus auf dem Kapitalmarkttag Anfang November 2020 erreichte die Aktie des Chemikalienhändlers fast ein Jahr lang Rekordhochs in Serie. Ende August 2021 kletterte ihr Kurs auf die Bestmarke von mehr als 87 Euro. Seitdem hat der Anteilsschein einen Teil seiner Gewinne abgegeben.
Zuletzt kostete das Papier gut 67 Euro. Seit Anfang des Jahres hat es rund 15 Prozent verloren. Im Vergleich zum Corona-Crash im März 2020, als sein Kurs bis auf 28,68 Euro abgerutscht war, hat sich sein Wert aber mehr als verdoppelt. Auch der Ukraine-Krieg sorgte an den Aktienmärkten für deutliche Kursverluste. Der Brenntag-Kurs rutschte in diesem Zuge ebenfalls kräftig ab.
Vor der Ankündigung des Konzernumbaus hatten sich die Anleger lange in Geduld üben müssen. Nach dem Börsengang im Jahr 2010 war der Kurs zunächst zwar beständig gestiegen, von Mitte 2014 bis Mitte 2020 kam er aber unter dem Strich nicht von der Stelle.
Freude bereitet die Aktie des Chemikalienhändlers den Anlegern der ersten Stunde, die dabeigeblieben sind, aber dennoch: Seit dem Börsengang 2010 hat sich der Wert der Aktie mehr als verdreifacht./mne/stw/jha/
Quelle: dpa-AFX