MAINZ/TÜBINGEN (dpa-AFX) - Die Ausgangslage war verheißungsvoll. Als die Corona-Pandemie die Welt erfasste, galten urplötzlich zwei bis dahin kaum bekannte Unternehmen aus Deutschland als mögliche Retter: Biontech
ZUR LAGE DER UNTERNEHMEN:
Unter dem Brennglas der Pandemie wird derzeit nur allzu gern vergessen, dass Biontech kein reines Impfstoffunternehmen ist. Die Mainzer Gesellschaft, die 2019 noch rote Zahlen schrieb, hat sich auf neuartige Therapien gegen Krebs spezialisiert. Diese basieren wie auch das Covid-19-Vakzin auf dem noch recht jungen mRNA-Ansatz, bei dem das Immunsystem über einen Botenstoff zum Kampf gegen das Virus Sars-Cov-2 angeregt wird.
Als Pionier dieser Technologie forscht auch Curevac seit der Firmengründung vor über 20 Jahren. In der Medikamentenpipeline des Tübinger Unternehmens stehen neben Krebs- und Impfstoffprojekten zudem proteinbasierte Therapien etwa gegen Augen-, Atemwegs- und Lungenkrankheiten.
Biontech lieferte zuletzt einige von Analysten positiv bewertete Daten, die Hoffnung auf die Behandlung anderer Krankheiten mithilfe der mRNA-Technologie schüren. Das macht die Firma in den Augen einiger Branchenkenner zu einem Übernahmekandidaten. Doch Hauptaktionär Thomas Strüngmann schloss jüngst in einem Interview der "Wirtschaftswoche" einen Verkauf langfristig aus. Er will das Unternehmen zu einem "eigenständigen, voll integrierten" Pharmakonzern machen.
Biontech und sein Partner Pfizer hatten im Dezember in den USA und der EU grünes Licht für ihr Vakzin bekommen, das hierzulande inzwischen unter dem Namen Comirnaty vermarktet wird. Für Biontech ist es das erste firmeneigene Präparat auf dem Markt. Aktuell können sich Biontech/Pfizer über mangelndes Interesse an ihrem Impfstoff wahrlich nicht beklagen. Die EU etwa hat ihre Bestellung vor wenigen Tagen massiv aufgestockt.
Jüngst hatte das Duo sein Produktionsziel für dieses Jahr hochgesetzt. An einem von Schweizer Pharmakonzern Novartis
Zudem gab es Probleme in einer Abfüllanlage bei den Amerikanern. Weil Pfizer nun in einem belgischen Werk die Produktion aufstockt, wird es zunächst in Europa für einige Wochen zu Lieferengpässen kommen. Auch in Deutschland kamen deshalb bereits in vielen Bundesländern Impfkampagnen ins Stottern. Das sorgt derzeit für reichlich politischen Wirbel.
Unterdessen steckt Curevac länger in der Forschungsschleife als gedacht. Mitte Dezember begann die zulassungsrelevante klinische Phase-III-Studie für den Impfstoff, mit ersten Ergebnissen rechnet Curevac Ende des ersten Quartals 2021.
Der Bund ist an dem Unternehmen über die staatliche Förderbank (KfW) beteiligt. Anfang Januar wurde zudem ein Kooperations- und Servicevertrag mit dem Pharmakonzern Bayer
Zur allgemeinen Aufregung kommen die neuen Mutationen aus Großbritannien und Südafrika hinzu. Das Duo Biontech/Pfizer versprüht jedoch nach jüngsten Studien Optimismus, dass sein Impfstoff auch gegen die neuen Varianten wirkt.
DAS MACHT DIE AKTIE:
Die Aktien der beiden deutschen Herstellern spiegeln Hoffnungen, Erfolge und Rückschläge mit der Corona-Impfung wider.
Nach einem etwas holprigen Börsengang an die US-Technologiebörse Nasdaq im Oktober 2019 hatte die Biontech-Aktie Anfang des vergangenen Jahres bereits wegen des Potenzials der Krebs-Forschungspipeline reichlich Vorschusslorbeeren eingeheimst. Doch mit der Chance auf einen Corona-Impfstoff ging dann so richtig los. Während der Gesamtmarkt einbrach, kletterte der Kurs bis auf 105 US-Dollar. Der Ausgabepreis hatte noch bei 15 Dollar gelegen.
Ebenso schnell ebbte die Anfangseuphorie aber auch ab, schließlich war nicht klar, ob ein Impfstoff erfolgreich sein werde. Zudem stiegen viele andere Pharmakonzerne ins Rennen ein. Bis Mitte April fiel die Aktien denn auch zurück auf rund 37 Dollar.
Das Auf und Ab ging dann weiter, mit zunehmenden Erfolgsaussichten des Impfstoffes ging es unterm Strich aber nach oben. Das Rekordhoch folgte Mitte Dezember bei 131 Dollar im Zuge der Empfehlung einer Expertenkommission für die Notfallzulassung des Impfstoffes in den USA. Nach dem endgültigen Go aber strichen die Anleger Gewinne ein. Zuletzt schwankte der Kurs zwischen rund 100 und etwa 110 Dollar - womit Anleger der ersten Stunde ihren Einsatz immerhin in etwa versiebenfacht haben.
Auch dem Curevac-Kurs mangelte es nicht an Tempo. Nach dem fulminanten Börsengang im vergangenen August an der Nasdaq mit einem Ausgabepreis bei 16 Dollar war die Aktie bis in die erste Dezemberhälfte auf einen Spitzenwert von rund 152 Dollar hochgeschnellt. Ähnlich wie bei Biontech rutschte das Papier danach ab, auf etwa 79 Dollar. Dabei wirkten sich Gewinnmitnahmen ebenso aus wie die Unsicherheit darüber, wie es mit Curevacs Impfstoff weitergeht. Zuletzt pendelte der Kurs dann um die Marke von 100 Dollar herum. Das ist mehr als das Sechsfache des Ausgabepreises. Auch die Ankündigung einer Kapitalerhöhung konnte die Papiere jüngst kaum belasten.
Curevac bringt es aktuell auf eine Marktkapitalisierung von rund 17,3 Milliarden Dollar. Biontech ist an der Börse rund 25,6 Milliarden Dollar wert. Damit bringen beide Börsenneulinge deutlich mehr auf die Börsenwaage als etwa die Biotech-Untenehmen Morphosys
DAS SAGEN DIE ANALYSTEN:
Mit der Aussicht auf eine Zulassung des Biontech-Impfstoffes hatten sich Experten im vergangenen Jahr in der Mehrheit positiv geäußert. Doch nach dem guten Lauf der Papiere haben einige Analysten ihre Kaufempfehlungen inzwischen zurückgezogen. Die Nachrichtenagentur Bloomberg listet derzeit noch sechs positive Voten auf. Fünf Experten sind neutral, Karen Andersen vom Analysehaus Morningstar votiert gar mit einem Kursziel von 70 Dollar für den Verkauf der Papiere.
Die Bank of America (BofA) hatte sich nach dem kräftigen Kursanstieg bereits Ende November an die Seitenlinie gestellt. Analyst Tazeen Ahmad schätzte, dass Biontech mit seinem Impfstoff BNT162b2 in den ersten Jahren nach der Markteinführung 40 Prozent des globalen Marktes durchdringen und 2021 einen Umsatz von 8,1 Milliarden Dollar einbringen könne. Dabei sei der Markt groß genug für mehrere Spieler. Zum Vergleich: Im Jahr 2019 hatte Biontech knapp 110 000 Euro als Umsatz aus Kundenverträgen ausgewiesen.
Einige Experten widmen sich inzwischen verstärkt dem Potenzial des Unternehmens abseits des Impfstoffs. Die beim Coronavirus-Vakzin eingesetzte mRNA-Technologie könne auch bei Autoimmunerkrankungen wie Multiple Sklerose interessant werden, schrieb etwa Analystin Olga Smolentseva vom Investmenthaus Bryan Garnier. Analyst Zhiqiang Shu von der Berenberg-Bank sprach von einem erheblichen Marktpotenzial mit blick auf viele entzündliche Erkrankungen, für die es bislang kaum medizinische Optionen gebe. Der Experte wartet daher gespannt auf weitere Studiendaten in diesem Jahr und rechnet mit dem Beginn weiterer Testreihen.
Zu Curevac rufen die bei Bloomberg gelisteten Experten im Mittel ein Kursziel von 73 Dollar auf, sie liegen damit klar unter dem aktuellen Kurs. Nur zwei Experten raten zum Kauf. Besonders skeptisch sind indes die Experten der Credit Suisse mit einem fairen Wert von 50 Dollar. Sie stuften das Papier im Dezember auf Verkaufen ab. Die Bewertung sei selbst bei optimalem Verlauf für den Covid-19-Impfstoff immens hoch, schrieb Analyst Martin Auster. Es bedürfe Jahre und einer weiter ausgereiften mRNA-Pipeline, um wieder Kurspotenzial zu sehen./tav/stw/mis
Quelle: dpa-AFX