BERLIN (dpa-AFX) - Der Online-Gebrauchtwagenhändler Auto1
DAS IST LOS BEI AUTO1:
Autohero und wirkaufendeinauto.de - unter diesen Namen kennen Kunden das erst 2012 gegründete Unternehmen Auto1. Bei der Digitalisierung des Gebrauchtwagenhandels, der nach wie vor kaum über das Internet stattfindet, mischt der Konzern mit seinen beiden Marken weit vorne mit. Und in der Pandemie profitierte Auto1 unter anderem davon, dass die Autohersteller wegen fehlender Chips weniger produzieren. Dies treibt die Gebrauchtwagen-Nachfrage und -Preise nach oben.
Auto1 betreibt eine Online-Handelsplattform, über die Autohändler in mehr als 30 Ländern Gebrauchtwagen an- und verkaufen können. Die Zahl der angekauften Fahrzeuge legte 2021 zum Vorjahr um 39 Prozent auf etwas mehr als 617 000 zu, wie der Konzern im Januar meldete.
Mit diesem Großhandelsgeschäft macht Auto1 unter gleichem Namen bislang das größte Geschäft. Bei der Anzahl der verkauften Autos lag das Unternehmen 2021 im eigenen Zielbereich - wenn auch nur knapp. Der Absatz stieg zum Vorjahr um 30 Prozent auf 597 000. Wie Umsatz und Gewinn im vergangenen Jahr ausgefallen sind, dazu will sich der Konzern am 23. März äußern.
Die Umsatzprognose für 2021 konnte das Management um Unternehmens-Mitgründer und Vorstandschef Christian Bertermann zuletzt bei der Vorlage der Zahlen zum dritten Quartal Mitte November mal wieder erhöhen. Der Erlös soll demnach auf 4,5 bis 4,6 Milliarden Euro geklettert sein. 2020 hatte das Unternehmen 2,8 Milliarden Euro erlöst.
Wegen der Investitionen in den Ausbau des Geschäfts bleibt Auto1 aber in den roten Zahlen. Auf Basis des um Sondereffekte bereinigten Gewinns vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) will der Konzern erstmals 2023 die Gewinnschwelle erreichen, wie Finanzchef Markus Boser im November bekräftigte.
Ebenfalls am 23. März will der Vorstand auch eine Prognose für das laufende Geschäftsjahr ausgeben. Bisher hatte Boser lediglich gesagt, dass er sich mit Blick auf die bei Bloomberg gesammelten Expertenschätzungen wohlfühle. Diese hatten zu dem Zeitpunkt beim Umsatz einen Anstieg auf 5,9 Milliarden Euro bei einem operativen Verlust von etwas mehr als 90 Millionen Euro auf dem Zettel.
Wachsen will das Unternehmen in Zukunft mit dem eigenen Händler Autohero, der sich an private Interessenten richtet. Mit viel Werbung möchte Auto1 dieses Geschäft ankurbeln. 2021 sollen in dem Segment bis zu 42 000 gebrauchte Autos veräußert werden, im vergangenen Jahr waren es gerade einmal 10 000. Private Interessenten bekommen ihr Auto direkt nach Hause geliefert oder zu einer passenden Abholstation in der Nähe.
Private Autoverkäufer können bei mehr als 400 Abgabestationen in Europa ihr Fahrzeug zum vorher online festgesetzten Preis losschlagen. Zudem will Auto1 die Kapazität seiner Werkstätten, die gebrauchte Autos zum Verkauf aufbereiten, auf bis zu 400 000 Stück im Jahr 2023 deutlich ausbauen.
Der Konzern versucht derzeit seine Bekanntheit unter anderem durch Fußball-Sponsoring zu steigern. So ist Auto1 seit dieser Saison auf dem Trikot des Fußballvereins Hertha BSC Berlin zu sehen und ist auch Partner von Paris Saint-Germain. Zudem baut Auto1 seine Flotte mit Lkws aus, die die Autos in Anhängern mit durchsichtigen Glasscheiben bis zur Haustür der Kunden liefern.
DAS MACHT DIE AKTIE
Die Auto1-Anteile werden inzwischen seit mehr als einem Jahr an der Börse gehandelt. Anfangs mit Erfolg: Der digitalisierte Gebrauchtwaren-Handel schien eine gute Antwort auf die Pandemie zu sein, in der Neuwagen wegen Lieferengpässen knapp blieben. Nach einem fulminanten Börsendebüt mit satten Gewinnen für die Investoren, die Papiere zugeteilt bekommen hatten, kennt die Aktie allerdings nur noch eine Richtung, und zwar die nach unten.
Als ein Grund für den Kursverfall gilt, dass nach der Verknappung von Neufahrzeugen mittlerweile auch Gebrauchtwagen Mangelware sind. Zudem gerieten in den letzten Monaten die Aktien vieler Pandemiegewinner sowie viele Techwerte unter Druck. Wachstumsaktien sind angesichts der Leitzinswende in den USA - und bald wohl auch in der Eurozone - nicht mehr sonderlich en vogue. Nur schnell zu wachsen und dann irgendwann in ferner Zukunft einmal Gewinne zu erzielen, reicht vielen Investoren nicht mehr.
Im November hatte das Auto1-Papier zunächst positiv auf eine erhöhte Umsatzprognose reagiert - aber auch der Effekt verpuffte. Inzwischen kostet die Aktie nur noch rund 13 Euro. Alleine in diesem Jahr sackte der Kurs um ein Drittel ab und das, nachdem er 2021 vom Rekordhoch von 56,76 Euro am ersten Handelstag auf unter 20 Euro abgestürzt war.
Mit dem aktuellen Niveau liegt die Aktie zwei Drittel unter dem Ausgabepreis von 38 Euro. Derzeit bringt das Unternehmen nur noch eine Marktkapitalisierung von weniger als drei Milliarden Euro auf die Börsenwaage. Damit liegt Auto1 nur noch im Tabellenkeller der 50 MDax-Werte - zum Zeitpunkt des Aufstiegs in den kleinen Bruder des Leitindex Dax
Größter Anteilseigner ist der japanische Technologieinvestor Softbank
DAS SAGEN DIE ANALYSTEN:
Für die Analystenzunft gerät die jüngste Aktienkurs-Entwicklung zur Blamage. So halten die meisten Experten weiter an ihrer positiven Einschätzung fest. Neun der elf von dpa-AFX erfassten Aktienexperten empfehlen das Papier weiter zum Kauf. Die britische Bank Barclays stufte das Papier sogar vor Kurzem erste auf "Overweight" hoch.
Unbeirrbar optimistisch gibt sich auch Analyst David Amira von der Bank of America. Er hob in seiner Studie die starke Wahrnehmung der Marke Autohero hervor, von der Auto1 zuvor berichtet hatte. Gepaart mit einer robusten Zahl angekaufter Fahrzeuge seien die Voraussetzungen für das vierte Geschäftsquartal trotz der aktuellen Kursschwäche gut. Die Sorgen von Anlegern, was knappe Gebrauchtwagen betrifft, hält er für übertrieben.
Amira hält an seinem Kursziel von 31 Euro fest, was weit mehr als das doppelte des aktuellen Kurses beträgt - und zählt damit unter den Experten noch zu den Vorsichtigen. Der Schnitt aller Kursziel liegt derzeit bei etwa mehr als 34 Euro und damit rund 160 Prozent über dem tatsächlichen Kurs.
Locker getoppt wird Amiras Preisziel noch von der Expertin der kanadischen Bank RBC. Nachdem der europäische Internetsektor zuletzt schwach gelaufen sei, gebe es nun reichlich Schnäppchen, schrieb Analystin Sherri Malek in einer Branchenstudie Ende Januar. Anleger bräuchten aber Geduld. Steigende Zinsen könnten etwas bremsen.
Auch die Papiere von Auto1 böten nun eine überzeugende Einstiegsgelegenheit angesichts des attraktiven Wachstums des Verbraucherportals Autohero. Malek beließ es folglich bei einer Kaufempfehlung - und einem Preisziel von 70 Euro, dem höchsten Wert aller Analysten.
Ernsthafte Zweifel sind nur bei den Analysten von JPMorgan und Davy zu hören. Internetwerte litten derzeit unter den Zinssorgen der Anleger und der Perspektive auslaufender Corona-Beschränkungen, schrieb Analyst Marcus Diebel vergangene Woche. In diesen volatilen Zeiten sei die Wahl der richtigen Aktie schwieriger geworden - und dabei gehöre Auto1 nicht zu seinen Favoriten. Diebel hatte das Papier im Dezember auf "Neutral" abgestuft und das Kursziel von 52 Euro auf 28 Euro gesenkt. Inzwischen reduzierte er es weiter auf 19,50 Euro. Er hat damit das niedrigste von allen Experten./jcf/zb/mis
Quelle: dpa-AFX