(neu überarbeitete Fassung)
FRANKFURT/PARIS/LONDON (dpa-AFX) - Immobilienwerte haben am Donnerstag europaweit einen Erholungskurs eingeschlagen. Interpretationen des US-Notenbankprotokolls vom Vorabend zufolge geht die Zinswende in der weltgrößten Volkswirtschaft wohl auf die Zielgerade. Nachdem die Amerikaner in ihrem Zinserhöhungszyklus bisher vorangeprescht waren und künftig behutsamer vorgehen könnten, hoffen Anleger auf eine Signalwirkung auch für Europa.
Zudem äußerte sich Analyst Bart Gysens von der US-Bank Morgan Stanley teilweise optimistischer zur Branche. Barclays-Experte Paul May sieht Chancen für einzelne Werte. Angesichts steigender Zinsen war das zu Ende gehende Jahr 2022 bislang alles andere als ein gutes Jahr für den Immobiliensektor. Die Aktienkurse brachen reihenweise ein, was nun die Grundlage der Experten für ihren teils positiveren Blick ist.
Unter den deutschen Immobilienaktien legten am Donnerstag LEG
Positiv äußerte sich Gysens etwa über die zunehmende finanzielle Flexibilität des Wohn- und Büroimmobilienunternehmens aufgrund des angekündigten Dividendenschnitts im neuen Jahr. Zudem sei die Größe von LEG im Vergleich zu Vonovia
Vonovia stiegen im Dax
In Paris stiegen die Anteile der auf Einkaufszentren ausgerichteten Unibail-Rodamco-Westfield
Wie Morgan-Stanley-Experte Gysens schrieb, erwartet er aktuell einen Übergang weg von steigenden Zinsen und hin zu einer Rezession. Nachdem das Jahr 2022 geprägt gewesen sei von deutlichen Zinserhöhungen, die den Fokus der Anleger auf das Kurs-Gewinnverhältnis (KGV) und den Fokus des Immobilienmarktes auf die Renditen gelenkt habe, dürfte 2023 nun der rezessive Druck zunehmen. Am Aktienmarkt dürfte dies das Interesse auf die Ergebnisse der Immobilienkonzerne lenken, während der Immobilienmarkt wohl auf die Mieten schaue. Immobilienbewertungen in Großbritannien und Kontinentaleuropa sieht Gysens vor diesem Hintergrund zunächst weiter fallen.
Ein Blick auf die Werthaltigkeit von Immobilienunternehmen hält der Morgan-Stanley-Analyst daher für wesentlich, weshalb für deren Beurteilung der Verschuldungsgrad und die Ergebnistransparenz in den Blick rücken sollten. Zunehmend dürften daher nun solche Unternehmen bevorzugt werden, die über "solide oder sich verbessernde Bilanzen" verfügten und die zum Großteil auf den britischen Gewerbeimmobilien- oder deutschen Wohnimmobilienmarkt ausgerichtet seien, schrieb er.
Zur Stärkung der Bilanzen erwartet Gysens 2023 dabei weniger Kapitalerhöhungen, dafür aber deutliche Kappungen der Dividenden. Das werde sich zunächst zwar nicht positiv auf die Aktienkurse auswirken, könnte den Unternehmen, die so vorgingen, aber letztendlich zu einer Kehrtwende verhelfen. Zudem erwartet er, dass viele kontinentaleuropäische Unternehmen ihre Dividenden Anfang 2024 wieder auf ein nachhaltiges Niveau anheben werden.
Regional betrachtet ist das Vereinigte Königreich die bevorzugte Region des Morgan-Stanley-Experten, obwohl er kurzfristig hier deutlichere Wertkorrekturen erwartet als für kontinentaleuropäische Aktien. Mit Blick auf Deutschland stand Gysens im Verlauf dieses Jahres an der Seitenlinie, beurteilt Einzelwerte wie etwa LEG nun aber wieder positiver.
Analyst Paul May von Barclays sieht für den Londoner Büroimmobilienmarkt ebenfalls noch Abwärtsdruck, "nachdem ein Jahrzehnt mit sinkenden Renditen am Anleihemarkt abrupt zu Ende ging". Von ihrem Hoch aus dürften die Londoner Bürowerte in den kommenden zwölf bis 18 Monaten um 20 bis 25 Prozent fallen, schreibt er.
Der geringe Verschuldungsgrad jedoch und das Engagement der großen Immobiliengesellschaften im Einzelhandel dürften dafür sorgen, dass diese nicht gezwungen seien, ihre Verbindlichkeiten in den Griff bekommen zu müssen. Wegen der gesunkenen Aktienkurse sieht daher auch May wieder Kaufchancen und stufte die Workspace-Aktie auf "Overweight" hoch. Entsprechend erwartet er eine im Sektorvergleich überdurchschnittliche Kursentwicklung von Workspace in den kommenden zwölf Monaten./ck/ag/ajx/mis
Quelle: dpa-AFX