Es ist eine Jahreszahl, die aufhorchen lässt: Seit 1945 hat Shell kein einziges Mal die Dividende gesenkt. In den letzten Jahren hatte der Energieriese stets 1,88 Dollar je Aktie gezahlt, woraus sich eine Rendite von knapp zwölf Prozent errechnen würde. Doch man muss dazu auch sagen: Noch nie zuvor war die Dividende derart gefährdet wie aktuell.
Sämtliche Analysten gehen derzeit davon aus, dass 2020 Gewinn und Cashflow weit unter 1,88 Dollar pro Aktie liegen wird. Zwar hatte der Konzern auch beim letzten Ölpreisrutsch von 2014 bis 2016 die „iconic dividend“, wie sie CEO Ben van Beurden nannte, aufrechterhalten. Damals wurde ein Teil der Ausschüttung nicht aus den laufenden Gewinnen, sondern aus der Substanz gezahlt. Doch in diesem Jahr dürfte es aus verschiedenen Gründen noch weitaus schwieriger werden, diese Mammutaufgabe zu meistern.
Schwieriger als 2014 bis 2016
Zum einen rutschten die Ölpreise 2016 nur kurzzeitig unter die Marke von 30 Dollar. Dieses Jahr könnten sie längere Zeit deutlich darunter verharren. Denn anders als 2014 bis 2016 (damals sorgte vor allem das ständig steigende Angebot der US-Fracking-Firmen bei gleichzeitiger Untätigkeit der OPEC für Abwärtsdruck) belastet nicht nur ein viel zu hohes Angebot, sondern auch eine einbrechende Nachfrage.
Zum anderen leiden derzeit auch das Tankstellen- und Raffineriegeschäft massiv unter den Ausgangssperren in immer mehr Ländern der Welt, die zu einem erheblichen Rückgang des Treibstoffverbrauchs führen. Auch die für Shell wichtige Gassparte hat mit deutlich niedrigeren Kursen als im Vorjahr zu kämpfen.
Darüber hinaus steht Shell aktuell wesentlich stärker unter Druck als noch 2014 bis 2016, das Geschäftsmodell an eine in den kommenden Jahrzehnten weniger von fossilen Brennstoffen abhängige Weltwirtschaft anzupassen. Dies ist vor allem mit teuren Investitionen verbunden. Dafür wäre aber bei einer anhaltend hohen Dividende, die aus der Substanz gezahlt wird, wohl nicht mehr ausreichend Kapital vorhanden.
Eine Kürzung der Dividende im Zuge dieser historischen Krise wird immer wahrscheinlicher. Eine derartige Entscheidung würde den Kurs höchstwahrscheinlich zunächst deutlich belasten, wäre aber rein ökonomisch betrachtet absolut nachvollziehbar. Zumal auf dem aktuellen Kursniveau selbst bei einer halbierten Dividende noch eine stattliche Rendite von sechs Prozent winkt.
DER AKTIONÄR geht indes weiterhin davon aus, dass die Shell-Papiere am Jahresende wieder deutlich höher notieren dürften. Doch angesichts der aktuellen Corona-Panik an den Märkten und der strukturellen Probleme des Ölmarktes drängt sich aktuell noch kein Neueinstieg auf.
Hinweis auf Interessenkonflikte gemäß §34b WpHG: Der Vorstandsvorsitzende und Mehrheitsinhaber der Herausgeberin Börsenmedien AG, Herr Bernd Förtsch, ist unmittelbar und mittelbar Positionen über die in der Publikation angesprochenen nachfolgenden Finanzinstrumente oder hierauf bezogene Derivate eingegangen, die durch die durch die Publikation etwaig resultierende Kursentwicklung profitieren: Royal Dutch Shell.