Erst zweimal in seiner Geschichte verliert der deutsche Aktienmarkt im Laufe einer Sitzung zweistellig an Wert. Doch hohe Verluste im einstelligen Prozentbereich musste er schon öfter hinnehmen. Was auffällt: Er crasht besonders gern im Oktober. Jetzt ist der zehnte Monat des Jahres rum. Ein Blick auf Statistiken, zurück und voraus.
So klar wie Glas: Börsenkurse sind absolut transparent. Zumindest in der Retrospektive. Jeder Kurs, jeder An- und Abstieg sind nachvollziehbar, weil in Datenbanken gespeichert. Statistiker können daraus viel ableiten. Oszillatoren und andere technische Indikatoren basieren auf historischen Daten. Durchschnittslinien bieten Anhaltspunkte für aktuelle Trends. Die Vergangenheit spielt damit eine beachtliche Rolle bei der Bewertung von Gegenwart und Zukunft eines Investments – nicht nur die Fantasie der Investoren, die Unternehmen oder Märkten diese oder jene Chancen zurechnen. Diese historischen Daten machen die Börse nicht berechenbar(er), bieten aber interessante Anhaltspunkte. Das zeigt allein schon ein Blick auf eine recht simple Aufstellung: Die schwächsten Handelstage in der jüngeren Geschichte. Und die dabei zu beobachtende auffällige Häufung dieser Ereignisse in einem einzelnen Monat.
Panik vor der Panik: Der Angst-Crash '89
16. Oktober: Am deutschen Aktienmarkt kommt es zum schlimmsten Kurseinbruch der Nachkriegsgeschichte. Es ist Montag, man schreibt das Jahr 1989. Der DAX ist erst wenige Tage jung und erlebt einen schwarzen Tag. In den Jahren zuvor hat eine kreditfinanzierte Übernahmewelle die Kurse an den US-Märkten immer weiter in die Höhe getrieben. Durch das Scheitern der Übernahme von United Airlines – die Finanzierung ist geplatzt – kommen jetzt Sorgen auf, die Welle könne brechen, ein wesentlicher Kurstreiber damit ausfallen.
Rang | Datum | Eröffnung | Schluss | Veränderung |
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1 | 16.10.1989 | 1.589,34 | 1.385,72 | -12,81% |
2 | 12.03.2020 | 10.438,68 | 9.161,13 | -12,24% |
3 | 19.08.1991 | 1.653,33 | 1.497,93 | -9,40% |
4 | 19.10.87 | 1.458,54 | 1.321,61 | -9,39% |
5 | 11.09.2001 | 4.670,13 | 4,273,53 | -9,49% |
6 | 28.10.1997 | 3.879,12 | 3,567,22 | -8,04% |
7 | 09.03.2020 | 11.541,87 | 10.625,02 | -7,94% |
8 | 26.10.1987 | 1.292,67 | 1.193,31 | -7,69% |
9 | 29.05.1962 | 381,97 | 354,41 | -7,22% |
10 | 21.01.2008 | 7,314,17 | 6.790,19 | -7,16% |
11 | 06.10.2008 | 5.797,03 | 5.387,01 | -7,07% |
12 | 10.10.2008 | 4.887,00 | 4.544,31 | -7,01% |
13 | 06.11.2008 | 5.166,87 | 4.813,57 | -6,84% |
14 | 24.06.2016 | 10.257,03 | 9.557,16 | -6,82% |
15 | 28.10.1987 | 1.225,47 | 1.142,17 | -6,80% |
16 | 22.10.1987 | 1.379,53 | 1.287,58 | -6,67% |
17 | 10.11.1987 | 1.012,09 | 945,91 | -6,54% |
18 | 15.10.2008 | 5.199,19 | 4.861,63 | -6,49% |
19 | 14.09.2001 | 4.392,40 | 4.115,98 | -6,29% |
20 | 02.10.1998 | 4.226,49 | 3.962,50 | -6,25% |
Insbesondere Privatanleger überhäufen ihre Banker mit Verkaufsorder, die damals noch nur einmal täglich ausgeführt werden. Von Freitag an stauen sie sich über das Wochenende bis Montag auf. Den Privatanlegern sitzt die Angst im Nacken. Der Kurssturz vom 19. Oktober 1987 ist ihnen noch in lebhafter Erinnerung. Damals sackte der DAX um 9,4 Prozent ab. Und so bricht das junge deutsche Börsenbarometer an diesem Montag unter der Orderflut zusammen, verliert 12,8 Prozent, aus Panik vor einer Panik wie 1987.
Bis heute gilt dieser Tag im Oktober des Jahres 1989 als verlustreichster Handelstag der Geschichte. Und als einer der am stärksten überzogenen, von Emotionen gesteuerten Reaktionen deutscher Anleger. Immerhin: Schon am Tag darauf erkennen die gleichen Anleger, dass sie es mit ihrer Verkaufswelle übertrieben haben. Am 17. Oktober gewinnt der DAX 6,5 Prozent. Auf den historisch schwächsten Tag folgt somit einer der historisch besten.
Auffällig: Zehn der 20 schwächsten Tage fallen in den zehnten Monat
Der 16. Oktober 1989 liegt jetzt 32 Jahre zurück. Eine lange Zeit. Die meisten, die heute Aktien kaufen, haben ihn mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht erlebt, kennen ihn allenfalls aus Geschichtsbüchern, von denen es zum Thema Börse viel zu wenige gibt. Und doch ist dieser Tag aus einem Grund exemplarisch für eine Auffälligkeit, die zu denken gibt: Zehn der 20 historisch schwächsten Handelstage fallen in den zehnten Monat des Jahres: Der Oktober ist damit der Crash-Spitzenreiter im Monats-Ranking – mit statistisch relevanter Häufung? Bedingt.
1987 und 2008: Zwei einzelne Jahre verhageln Statistik
Die Aussagekraft dieser statistischen Auffälligkeit ist in Frage zu stellen. Denn allein der Oktober des Jahres 1987 spült vier Tage in die Statistik. Am 19. Oktober 1987 bricht der DAX um 9,4 Prozent ein. Am 22., am 26. sowie am 28. Oktober geben die Kurse erneut kräftig nach. Ein Crash in Scheiben – ein Salami-Crash. Der DAX vollzieht nur, was der Dow Jones in den USA mehr oder minder innerhalb einer Sitzung verliert: Als Anleger am „Schwarzen Montag“ hunderte Millionen Aktien an der Wall Street auf den Markt werfen, kollabiert der Dow Jones. Der meistbeachtete Aktienindex der Welt verliert am 19. Oktober 1987 22,6 Prozent und damit mehr als ein Fünftel seines vorherigen Wertes. Bereits in den Wochen zuvor ist der Handel in New York hochvolatil – und verlustträchtig. Die Hausse kündigt ihr Ende an, das sich dann aufgrund der gestiegenen Computerisierung des Handels in einem historischen Crash entlädt.
Drei weitere Oktober-Crash-Tage beschert das Jahr 2008 den Statistikern. Der 6., 10. und 15. Oktober schaffen es in die Statistik der historisch schwächsten Börsentage. Auch sie kommen aus der Retrospektive nicht ohne Vorankündigung. Bereits über ein Jahr zuvor meldet die US-Investmentbank Lehman Brothers Konkurs an. Die Bankrotterklärung ist der Höhepunkt einer schwelenden Krise am US-Hypothekenmarkt, die zuvor und danach weitere Opfer fordert.
Nicht so schlecht wie sein Ruf
Der Oktober hat an den Börsen einen Ruf als Crash-Monat. Tatsächlich fallen zwei große Crashs der jüngeren Vergangenheit – 1987 und 2008 – in den zehnten Kalendermonat. Wer ähnliches in diesem Jahr befürchtet hat, kann jetzt angesichts des Monatswechsels durchatmen. Und vor allem: Freudig in die Zukunft schauen. Der November gilt als zweitbester Monat des Jahres. Im Schnitt legte der DAX im November bisher um 1,41 Prozent. Besser schneidet nur der März ab. Hier hat das deutsche Börsenbarometer im Betrachtungszeitraum 1959 bis 2021 um durchschnittlich 1,55 Prozent zugelegt. Schwächster Monat in dieser Statistik ist im Übrigen nicht der Oktober (+0,54 Prozent) – es ist der September mit einem Minus von 1,75 Prozent.