Historische Momente hatte ich mir früher eigentlich immer als erhebende Augenblicke vorgestellt. Ereignisse, von denen man jüngeren Zeitgenossen später erzählen konnte, mit einem „Da-muss-man-selbst-dabei-gewesen-sein“-Gesichtsausdruck. Der Mauerfall zum Beispiel. Da war ich zwar noch sehr jung, miterlebt habe ich ihn trotzdem.
Nun berichte ich seit 2006 über die Aktienmärkte und habe dabei viel von meinen Illusionen verloren, aber auch jede Menge spannende Einblicke und Erfahrungen gesammelt. Historische Momente gehörten bisher aber nicht dazu. Oder doch?
Finanzkrise? Ich war dabei. War heftig, aber historisch?
Krisen hat es immer gegeben. Immobilien-Krise, Eurokrise, man muss gar nicht zurückgehen bis zur Weltwirtschaftskrise in den 20ern und 30ern des vergangenen Jahrhunderts. Doch gerade dieser Vergleich wird im Moment oft gezogen. Es scheint die einzige vergleichbare Situation zu sein. Doch das lässt sich mit einem Abstand von rund 100 Jahren natürlich anders analysieren, als wenn man selbst mitten drin ist in der Krise, im historischen Moment selbst quasi. Und doch sind viele Parameter heute anders als in den 1920 und 1930 Jahren.
Die politische Landschaft. Aber auch der Auslöser der Krise: ein Virus. Steht die Menschheit nun vereint zusammen, um diese Bedrohung gemeinsam zu besiegen?
Ich habe Zweifel. Zu unterschiedlich sind die Vorstellungen, Wünsche und Forderungen, das merkt man gerade in der Diskussion um die ersten Lockerungen der Corona-Restriktionen.
Doch gerade deshalb erscheint es mir als ein positives Zeichen, dass die Rettung von möglichst vielen Menschenleben im Moment klar in den Vordergrund gestellt wird.
Wird die Rezession, in die wir gerade rutschen, historisch sein? Im Rückblick bestimmt, aber der historische Vergleich hilft im Moment weder Politikern bei ihren Entscheidungen, noch Unternehmern, deren Betrieb oder gar Lebenswerk ihnen unter den Fingern zerrinnt, während sie hilflos danebenstehen müssen.
Wie historisch dieser Moment gerade ist, werden wir wohl erst in einigen Jahren wissen.
Bei einem historischen Ereignis war ich zuletzt aber in jedem Fall anwesend. Der Ölpreis für die Sorte WTI ist diese Woche in den negativen Bereich gerutscht. Also der Verkäufer musste quasi noch was drauflegen, um ein Barrel Rohöl loszuwerden.
Das klingt absurd? Ist es auch. Aber ich habe immer noch die Hoffnung, dass historische Momente dieser Art nicht dauerhaft zum neuen “normal“ an den Märkten werden. Hoffnung, dass die Corona-Pandemie eingedämmt werden kann, Wirkstoffe zur Behandlung und zur Impfung gefunden werden.
Und die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt. Fragt sich nur, wie lange es bis dahin noch dauert - und was bis dahin unsere Definition von normal ist.
Ich wünsche Ihnen alles Gute. Bleiben Sie gesund!
Ihre
Viola Grebe