Das IPO des US-Digitalversicherers Lemonade erinnert an die besten Neuer-Markt-Zeiten. Ausgabepreis 29 Dollar – am zweiten Handelstag 96 Dollar. In der Zwischenzeit ist die Aktie zwar etwas günstiger zu haben, doch die Bewertung des Unternehmens immer noch astronomisch. Anleger sollten deshalb den Blick auf das deutsche Pendant richten – die DFV Deutsche Familienversicherung. DER AKTIONÄR hat sich mit Stefan Knoll, dem Vorstandsvorsitzenden und Gründer der Gesellschaft, unterhalten.
Herr Dr. Knoll, was sagen Sie zum IPO von Lemonade?
Dr. Stefan Knoll. Zunächst freue ich mich, dass der Börsengang von Lemonade ein fulminanter Erfolg war und wünsche dem Unternehmen auch für die Zukunft alles erdenklich Gute. Dass nach der Deutschen Familienversicherung nun der nächste Digitalversicherer ein IPO realisiert hat, ist ein toller Erfolg für die gesamte Insurtech-Branche. Außerdem rückt dieser Börsengang die massive Unterbewertung der DFV gegenüber Lemonade noch einmal stärker in den Fokus der Öffentlichkeit.
Wie erklären Sie sich den Bewertungsunterschied? Sind die Amis besser?
Nein. Diese Diskrepanz ergibt sich im Wesentlichen aus den Unterschieden zwischen den Märkten, in denen die beiden Unternehmen aktiv sind. Eine solche Wachstumsstory, mit der wir es hier zu tun haben, würde in Deutschland und Europa viel kritischer bewertet als in den USA. Wahrscheinlich wurden die Verantwortlichen von Lemonade während des gesamten IPO-Prozesses nicht einmal danach gefragt, wann ihr Unternehmen profitabel, geschweige denn dividendenfähig werden würde. Wenn ich hingegen auf Kapitalmarktkonferenzen oder Roadshows unterwegs bin, sind solche Fragen fester Bestandteil eines jeden Investorengesprächs. Und ich halte an dem Ziel, die DFV bereits im nächsten Jahr zu einem profitablen digitalen Versicherer zu machen, unverändert fest.
Spüren Sie schon eine erhöhte Awareness für die DFV?
Ja. Unser Aktienkurs hat in den vergangen 14 Tagen um circa 40 Prozent zugelegt. Ich habe den Eindruck, dass der Markt allmählich begreift, was die Deutsche Familienversicherung für den deutschen und europäischen Kapitalmarkt bedeutet und was wir mit lediglich rund 150 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu leisten imstande sind. Übrigens kam der erste IPO eines europäischen Insurtechs aus Frankfurt am Main, nicht aus Paris, London oder Berlin.
Nennen Sie mir bitte drei Gründe, die für Ihre Aktie sprechen?
Wir sind nicht auf verlustintensive Wachstumsversprechen angewiesen, sondern wirtschaften wie deutsche Kaufleute und werden deshalb ab dem nächsten Jahr wieder profitabel arbeiten bei weiterhin hohem Wachstum. Zudem ist die DFV trotz des aktuellen Aktienhochs nicht nur gegenüber Lemonade, sondern auch im Vergleich zu anderen sogenannten Insurtechs nach wie vor erheblich unterbewertet. Nicht zuletzt wachsen wir schneller als der gesamte Versicherungsmarkt: Wir wollen auch im laufenden Geschäftsjahr 100.000 Neuverträge akquirieren, mehr als die meisten großen Versicherungskonzerne hierzulande. Außerdem wird sich durch die Pflegebranchenlösung "CareFlex Chemie" zum 1. Juli 2021 unser Prämienvolumen um 70 Millionen Euro erhöhen und wir werden voraussichtlich mit einem Schlag rund eine halbe Million neuer Kunden hinzugewinnen.
Das Thema Insurtech hat durch den Lemonade-IPO eine ganz andere Wahrnehmung erhalten. Davon sollte auch die DFV profitieren. Wie DER AKTIONÄR die Chancen und die Risiken der beiden Unternehmen einschätzt, lesen Sie in der aktuellen Ausgabe, die Sie hier bequem herunterladen können.
In der Tabelle in der Print-Ausgabe wurden versehentlich ein paar Werte vertauscht. Hier die Korrektur. Die Zahlen zu Umsatz bis Kundenanzahl beziehen sich auf das 1. Quartal 2020.
Marktkap. in Mio. $ | Umsatz in Mio. $ | Beiträge in Mio. $ | Verlust in Mio. $ | Kundenanzahl | |
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DFV | 401 | 12,4 | 29,1 | 4,2 | 528.000 |
Lemonade | 4.455 | 26,2 | 38,1 | 36,5 | 729,325 |