Das Jahr 2021 war für den Münchner Versicherer Allianz kein einfaches. Naturkatstrophen, Corona-Pandemie und ein hausgemachter Skandal belasteten den Aktienkurs für lange Zeit. Doch die Zinssorgen und das Streben nach Sicherheit auf Seiten der Investoren hat die Allianz wieder in deren Fokus gerückt.
DER AKTIONÄR sprach mit Finanzvorstand Giulio Terzariol über das abgelaufene Geschäftsjahr und die kommenden Herausforderungen. Natürlich stellte sich auch die Frage, warum man jetzt in die Aktie investieren sollte.
Herr Terzariol, das Jahr 2021 ist Geschichte. Wie lautet Ihr Fazit?
2021 war ein Jahr der Gegensätze. Zum einen gab es erhebliche Herausforderungen. Zu der andauernden Belastung durch das Corona-Virus kamen Versorgungsengpässe, steigende Inflation und überdurchschnittlich hohe Schäden aus Naturkatastrophen. Auf der anderen Seite haben sich die Kapitalmärkte positiv entwickelt: der Euro Stoxx 50 stieg im Jahresverlauf um mehr als 20 Prozent. Auch wir haben in den ersten drei Quartalen des Jahres ein sehr gutes Ergebnis erzielt. Angesichts des volatilen Umfelds sind wir damit sehr zufrieden.
Hat die Allianz alle Ziele erreichen können?
Sie werden verstehen, dass ich Ihnen hierzu noch nicht viel verraten kann. Aber soweit ich das beurteilen kann, hat sich auch das vierte Quartal operativ gut entwickelt und wir haben ein wirklich gutes Geschäftsjahr hinter uns.
Was lief besonders gut, wo gibt es Korrekturbedarf?
Wir sind bei der Kundenzufriedenheit ganz vorne (58 Prozent der Geschäfte sind führend im jeweiligen Markt, ein Rekordwert mit weiterem Aufwärtstrend) und wir sind die stärkste Versicherungsmarke weltweit. Das Engagement unserer Mitarbeiter ist auf einem Rekordniveau und weit über Plan. Wir machen also viele Dinge richtig. Das spiegelt sich auch in unseren Ergebnissen und in unserer Kapitalposition wider. Würden man eine normalisierte Belastung aus Naturkatastrophen unterstellen, hätten wir im Jahr 2021 sogar ein operatives Rekordergebnis erreicht. In der Lebensversicherung sehen wir eine hohe Nachfrage nach unseren innovativen Produkten, deren Anteil am Neugeschäft kontinuierlich steigt. Kunden schätzen unsere Innovationskraft und vertrauen auf unsere Kapitalstärke und Anlageexpertise. Das sehen wir auch in der Vermögensverwaltung, wo sich rund 90 Prozent unserer Produkte besser entwickeln als ihre Benchmarks, was sich auch in sehr starken Nettomittelzuflüssen und einem Rekord bei den verwalteten Vermögen widerspiegelt. Im Schaden- und Unfallgeschäft konnten wir unsere Leistungsfähigkeit insbesondere bei den Kunden, die von den extremen Naturkatastrophen betroffen waren, unter Beweis stellen. Darüber hinaus haben wir auch unsere Dividendenpolitik aktualisiert und noch attraktiver gemacht. Auch die Aktienrückkäufe wurden wieder aufgenommen. Zugleich haben wir mit mehreren Transaktionen in der Lebensversicherung Risikokapital freigesetzt und unsere Kapitalposition verstärkt. Außerdem haben wir unser Geschäft durch selektive Akquisitionen, zum Beispiel in Polen und Italien, gestärkt.
Eigentlich wollten Sie die Structured-Alpha-Affäre bis zum Jahreswechsel beenden. Wie ist denn der Stand der Dinge?
Bitte haben sie Verständnis, dass wir zu laufenden Verfahren prinzipiell nichts sagen können. Natürlich sind wir an einer zielführenden Lösung interessiert.
Berenberg beziffert den Maximalschaden auf 7,6 Milliarden Euro. Ist das gut geschätzt? Wie wahrscheinlich ist eine solche Strafe?
Der Kapitalmarkt und auch die Medien haben schon sehr viele Szenarien erörtert, die ich nicht kommentieren werde. Das wäre zu diesem Zeitpunkt spekulativ.
Würde eine solche Strafe die Dividendenzahlung beeinflussen?
Unser jüngster Capital Markets Day zeigt, dass unsere operative Ertragskraft und die Kapitalgenerierung sehr stark sind. Darauf aufbauend haben wir unsere Dividendenpolitik noch attraktiver gestaltet, um unser Vertrauen in die Entwicklung der Allianz klar zu signalisieren. Die regelmäßige Ausschüttung beträgt wie bisher 50 Prozent des auf Anteilseigner entfallenden Jahresüberschusses des Allianz Konzerns, bereinigt um außergewöhnliche und volatile Elemente. Im Interesse einer attraktiven Dividendenpolitik strebt die Allianz SE darüber hinaus eine Dividende je Aktie an, die zumindest 5% über dem Vorjahreswert liegt. Diese Regelung gilt bereits für die Dividende für das Geschäftsjahr 2021.
Was erwarten Sie von 2022? Macht Ihnen Omikron Angst?
Wir gehen zuversichtlich in das Jahr 2022. Versicherung ist so etwas wie das Schmiermittel für die wirtschaftliche Entwicklung, weil sie Individuen und Geschäftspartnern das nötige Vertrauen in die Zukunft gibt. Dies ist einer der Gründe für die Resilienz unserer Branche und der Allianz. Zudem hat die Digitalisierung der Allianz dafür gesorgt, dass wir immer und überall für unsere Kunden da sein können – auch und insbesondere während eines Lockdowns. Darüber hinaus ist der Bedarf an privater Vorsorge und aktiver Vermögensverwaltung ungebrochen und nimmt weiter zu. Mit unseren Lösungen in der Versicherung und im Asset Management ist die Allianz hervorragend für profitables Wachstum aufgestellt.
Sollte die Inflation hartnäckig hoch bleiben. Ist das gut oder schlecht für Ihr Business?
Fest steht, die Inflation ist zurück. Und wir sollten uns keinen Illusionen hingeben: Lieferengpässe, hohe Energiepreise und Teilemangel werden sich nicht über Nacht auflösen, sondern uns 2022 noch das ganze Jahr über beschäftigen. Die Inflation hat jedoch viele Facetten und jede Branche hat ihre eigenen Herausforderungen. Grundsätzlich können wir Inflation relativ gut ausgleichen, indem wir sie bei zukünftigen Preisentwicklungen berücksichtigen. Wenn die Reaktion der Notenbanken und der Kapitalmärkte zu höheren Zinsen und Anleiherenditen führt, dann wird uns das zusätzlich helfen. In der Vermögensverwaltung können die Inflationserwartungen das Timing der Kapitalanleger und damit die Nettomittelzuflüsse beeinflussen. Aber dieser Effekt wäre aus unserer Sicht vorübergehender Natur. Zusammenfassend kann ich sagen, dass wir die Gesamtsituation aufmerksam beobachten, aber weiterhin sehr zuversichtlich hinsichtlich unserer Geschäftsentwicklung sind.
Sehen Sie denn die Gefahr einer Stagflation?
Wir hoffen, dass sich insbesondere die Situation der Lieferkettenengpässe entspannen und die wirtschaftliche Entwicklung normalisieren wird. Die Notenbanken senden Signale, dass die Inflation sehr genau analysiert wird und angemessene Antworten darauf vorbereitet werden. Insofern bin ich hinsichtlich der Inflation moderat optimistisch, dass sie uns nicht entgleitet. Hinsichtlich des Wirtschaftswachstums gibt es viele Ausgabenprogramme, sei es in den USA oder in Europa, die neben einem wirtschaftlichen Stimulus auch die Transformation in eine nachhaltigere Wirtschaft fördern. Zusammen mit einer aufgestauten Nachfrage der privaten Haushalte sehe ich die Weichenstellung der Wirtschaft eher auf Wachstum.
Wie sehen Sie die Zinsentwicklung? Erwarten Sie bei einer Zinswende eine Kündigungswelle bei Lebensversicherungen?
Die Inflation zwingt die Notenbanken weltweit von der Abkehr ihrer extrem expansiven Geldpolitik, wenn auch in unterschiedlichem Tempo. Im Euroraum werden wir die erste Zinserhöhung voraussichtlich frühestens 2023 sehen. Die Zinswende wird also kommen und auch die Langfristzinsen wieder steigen lassen – aber nur sehr langsam. Während in den USA die Renditen der 10-jährigen Staatsanleihen in den nächsten zwei Jahren wieder auf zwei Prozent klettern dürften, dürften sie im Euroraum (Bund) knapp unter der Nulllinie verharren. Das Zinsumfeld bleibt für uns als Investor also weiterhin sehr herausfordernd.
Was die Lebensversicherung angeht, erwarte ich definitiv keine Kündigungswelle. Zum einen sehen wir einen Großteil der Nachfrage in der Lebensversicherung in Produkten, die weniger zins- und garantieorientiert, sondern eher rendite- und kapitalmarktorientiert sind. Zum anderen werden Lebensversicherungsverträge zur Altersvorsorge abgeschlossen – das ist ein Marathon und kein Sprint. Wir sind ja aktive Asset-Manager und einer der größten Anleger in sogenannten alternativen Anlagen. Durch die langfristige Natur des Geschäfts erschließen wir für unsere Kunden Zugang zu Kapitalanlagen mit Renditen, die zum Teil deutlich über dem aktuellen Zinsniveau liegen. Schließlich sind die meisten Produkte Rentenverträge und neben einer attraktiven Kapitalanlage übernehmen wir auch biometrische Risiken. Das kann kein Festgeldkonto oder Geldmarktfonds.
Thema Insurtech: Ist das eine Bedrohung für die Allianz oder ist die Gruppe an den "gefährlichsten" ohnehin beteiligt?
Insurtechs konzentrieren sich in der Regel auf kundennahe Leistungen in der Wertschöpfungskette, also insbesondere Vertragsverwaltung und Preisoptimierung. Kaum ein Insurtech bildet vertikal alle Wertschöpfungselemente ab. Insofern würde ich nicht von einer Gefahr sprechen. Im Gegenteil, Insurtechs sind ein hervorragender Indikator, wo Versicherer besser werden können. Ich sehe hier immer wieder interessante Bereiche, wo wir voneinander lernen können – das machen wir zum Beispiel über unsere Tochter Allianz X. Aber die Kernbotschaft ist, Versicherer müssen kundenzentrierter werden. Technologie hilft, ist aber nicht der alleinige Schlüssel. Wir haben das schon seit vielen Jahren in unsere DNA implementiert, indem wir die Kundenzufriedenheit erheben und unsere Strategie und operative Transformation konsequent an den Kundenbedürfnissen ausrichten. Unsere letzten Erhebungen zeigen klar: Die Allianz war noch nie so kundenfreundlich wie jetzt. Das stimmt mich sehr zuversichtlich.
Wie entwickelt sich in dem Zusammenhang die Allianz Direct?
Wir haben in Rekordzeit eine neue digitale Plattform für Allianz Direct entwickelt, auf der alle Landesgesellschaften laufen. Sie entspricht vollkommen unserer modernen Business Master Plattform und ist eine Eigenentwicklung. Damit spielt die Allianz Direct auf Augenhöhe mit allen Wettbewerbern und ist hervorragend für profitables Wachstum gerüstet. Die Geschäftszahlen spiegeln das momentan nur unzureichend wider, da wir uns parallel aus Vergleichsportalen unter anderem aus Kostengründen zurückgezogen haben und Covid-bedingt der Kfz-Markt in verschiedenen Ländern unter Druck ist. Ich bin aber zuversichtlich, dass Allianz Direct einen steigenden, positiven Beitrag zu nachhaltigem Wachstum und Gewinn liefern wird.
Gibt es im nächsten Jahr denn ein neues Aktienrückkaufprogramm?
Bei unserem Capital Markets Day am 3. Dezember 2021 haben wir auch Einblicke in unser Kapitalmanagement gegeben. Wir gehen davon aus, dass wir im Zeitraum 2022 bis 2024 den operativen Gewinn im Schnitt um rund vier Prozent pro Jahr steigern werden. Weitere zwei Prozent pro Jahr sollen aus dem Kapitalmanagement kommen, also im Wesentlichen über wertschaffendes externes Wachstum als auch über Aktienrückkäufe. Wie das genau erfolgt, hängt von den Kapitalmarktbedingungen ab, die wir nicht antizipieren können. Gemäß unserer Planung erwirtschaften wir neben rund 14 Milliarden Euro Dividende zusätzlich rund 9 Milliarden Euro Überschusskapital, welches für Kapitalmanagement zu Verfügung steht. Wir reden also von einer stattlichen Wertgenerierung für die Allianz Aktionäre.
Wie stehen Sie zum Thema anorganisches Wachstum? Gibt es Firmen, die Sie sich näher anschauen?
Wie schon gesagt, Kapitalmanagement ist ein wichtiges Element in unserer Strategie. Unsere Ertragskraft ermöglicht es, mehr Kapital zu generieren als für die Unterlegung des laufenden Geschäfts mit Risikokapital nötig ist. Um Wert für unsere Aktionäre zu schaffen, suchen wir konstant nach Anlagemöglichkeiten, die uns helfen, unsere Ambition einer Eigenkapitalrendite von 13 Prozent+ zu erreichen und zu übertreffen. Wir haben sehr anspruchsvolle Kriterien, wenn es um externes Wachstum geht. Gegenüber vielen Wettbewerbern haben wir aber auch einen klaren Vorteil: dank unserer Business Master Plattform (BMP) haben wir eine Blaupause für die Integration von Geschäften und erzielen schneller Synergien als viele Wettbewerber. Neben Akquisitionen erlaubt uns die BMP aber auch, in versicherungsfremde Geschäftsmodelle und Plattformen zu investieren und dort profitabel zu wachsen. Sicher ist, die Allianz entwickelt sich weiter und erschließt aktiv die „profit pools“ von morgen.
Letzte Frage: Warum sollte ich meinen Kindern Allianz-Aktien kaufen?
Ich gebe keine Investmentempfehlungen ab … aber in einem Portfolio für den Vermögensaufbau kann die Allianz-Aktie eine wichtige Rolle spielen. Auch wenn die Vergangenheit keine Garantie für die Zukunft bietet, so sind wir ein Unternehmen das Weltwirtschaftskrisen, Währungsreformen und etliche geopolitische Krisen erfolgreich gemeistert hat. Auch stehen wir Technologie offen gegenüber und haben sie immer erfolgreich in unser Geschäftsmodell integriert. Über die Jahrzehnte ist die Allianz immer mehr gewachsen und hat sich zu einem globalen Finanzkonzern entwickelt, der seine Chancen weltweit wahrnimmt. Unsere Strategie ist attraktiv und wir erwarten weiteres profitables Wachstum. Nicht zuletzt ist unsere dynamische Dividendenpolitik Ausdruck unserer Zuversicht, dass die Allianz auch weiterhin verlässlich Wert für Ihre Aktionäre und Kunden generieren wird. Ich halte das für eine sehr attraktive „value proposition“.
Die Allianz-Aktie hat das Potenzial, 2022 besser abzuschneiden als der Gesamtmarkt. Die hohe Nachfrage nach Versicherungen, die steigenden Marktzinsen und die finanzielle Stabilität machen das Papier gerade in schwierigeren Zeiten zu einem attraktiven Anlageobjekt.
Hinweis auf Interessenkonflikte: