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18.08.2017 Florian Söllner

Killt uns die Künstliche Intelligenz? Das sagt KI-Ikone Prof. Hochreiter zu Apple, Tesla, Facebook und Amazon

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Mark Zuckerberg freut sich auf neue Mitarbeiter: Roboter mit künstlicher Intelligenz, die Millionen Bilder und Texte verstehen und entscheiden, welche Produkte bei welchen Kunden am besten beworben werden. Die KI nur ein harmloser Gewinntreiber? Elon Musk ist entsetzt: Zuckerberg habe ein „begrenztes Verständnis“, was KI angehe, Roboter könnten eines Tages Menschen töten. Ist der Facebook-Chef zu dumm, seine eigenen Roboter zu verstehen? Wer hat beim Thema KI den größten Durchblick? Elon Musk? Mark Zuckerberg? Nein – Prof. Sepp Hochreiter. Er ist der Mann, der quasi den Quellcode für die künstlichen Gehirne bei Google, Apple, Facebook und Nuance geschrieben hat. Auf Basis der von ihm erfundenen Long Short-Term Memory (LSTM) werden Krankheiten bekämpft, Roboterautos sicherer und Smartphones cleverer. Die geniale Sprach­erkennung von Amazon Alexa oder Google basiert darauf.

Früher waren Computer reine Abarbeiter starrer Regeln und Formeln. Wort für Wort wurde übersetzt, was in der Praxis aufgrund tausender grammatikalisch ganz unterschiedlich aufgebauter Sprachen nicht gut funktionierte. Der Clou: Die künstliche Intelligenz erkennt und lernt bestimmte Muster, sie übersetzt nicht nur Wort für Wort, sondern es werden Gedanken/Muster aus den zu übersetzenden Sprachen herausgefiltert.

Hochreiter erklärt im Gespräch mit dem aktionär: Wenn ich sage „Sand, Sonne, Meer“, haben Sie „blauer Himmel“ im Kopf. Auch bei „Surfbrett, Cocktail, Baden“ denken sie an „blauer Himmel“. Der Computer speichert also sehr viele grobe Gedanken ab und nicht die einzelnen Wörter. Egal wie ein Bild beschrieben wird, es wird die gleiche Memory-Zelle von LSTM aktiviert. Mit LSTM scannt man mehrere Ideen/Muster ab, gleicht sie ab und nähert sich dem idealen Ergebnis in ganz vielen Sprachen an.

Eine geniale Idee. Der Long-Short-Term-Memory-Ansatz startet gerade in diesen Tagen dank immer schnellerer GPUs von Nvidia in den Bereichen E-Commerce, Pharma, Roboterauto und Börse richtig durch.

DER AKTIONÄR: Guten Tag Herr Prof. Hochreiter, sind Sie schon am Telefon?

Sepp Hochreiter: Vielleicht ja, vielleicht reden Sie mit der KI von mir, die die Beantwortung der vielen Anfragen erleichtert.

Sie stehen in Kontakt zu Firmen wie Zalando, Amazon oder Audi. Wer will mit Ihrer Hilfe noch der KI auf den Grund gehen?

Es kommen derzeit viele Player aus dem Finanzbereich zu mir. Großes Thema ist es, Tweets oder Zeitungsartikel zu scannen. Dank Sentimentanalyse kann man direkt aus Zeitungsartikeln Kursvorhersagen ableiten. Der Vorteil ist, dass Maschinen extrem viele Texte in vielen unterschiedlichen Ländern in der jeweiligen Landessprache scannen können, da kann kein Mensch mithalten. Entsteht etwa für den neuen Audi A8 in China eine Euphorie unter den Kunden, bemerkt es in Europa eine KI viel früher als ein Mensch. Ich bin überzeugt, dass die Analyse von Texten ein guter Ansatz ist, um einen Vorteil auf dem Markt zu erlangen.

Doch das Wesen der Börse ändert sich aufgrund der wechselnden Motive und Aktionen von Millionen von menschlichen und künstlichen Marktteilnehmern sekündlich. Kann diese Dynamiken ein System nachhaltig erfassen und beherrschen?

Es stimmt, alte statische Systeme scheitern, weil die Börse zu lebendig ist. Doch das LSTM ist gut beim Tracking von Dynamiken. Die komplexen Herangehensweisen im Bereich Börse, die auf KIs basieren, sind noch nicht im Einsatz. Noch arbeitet ein LSTM-Sytem nicht allein und perfekt – denn hierfür müssten noch mehr Daten eingelesen und an ihnen gelernt werden. Als Hilfe für Investoren oder Fondsmanager sind die Systeme jedoch schon jetzt sehr hilfreich.

Was macht Sie so zuversichtlich, mithilfe der KI das Wesen der Börse zu enthüllen?

Das Gehirn oder Zellen und deren Dynamiken zu verstehen ist sehr schwer. Diese haben Rückkopplungs-Effekte, die das System komplex machen. Doch selbst im Bereich Life-Science erkennen LSTM-Systeme die Dynamik von Gehirn oder Zelle. Daher sollten sie auch an der Börse funktionieren.

Apropos Life-Science. Hilft KI, Krankheiten zu bekämpfen? Geben Sie uns ein Beispiel.

Pharmafirmen investieren gerade sehr viel Geld in meine Systeme. Das hat die derzeitige Riesen-Revolution in der Pharma-Branche ausgelöst.Ein Beispiel: Wir haben für Moleküle eine Vorhersage der Giftigkeit entwickelt, aufgrund der chemischen Struktur der Moleküle. Nur 30 Prozent der als giftig erkannten Substrukturen standen in den Lehrbüchern, der Rest sind neu entdeckte giftige Substrukturen, die die KI ganz allein ermittelt hat. Chemiker wussten nicht, dass Stoffe mit solchen Substrukturen giftig sind – das hat ihnen erst die künstliche Intelligenz beigebracht. Das ist ein großer Wert für diese Unternehmen. Die KI erhöht mit diesem gelernten chemischen Wissen ihren inneren Wert. Pharmafirmen krempeln derzeit alles um, um diese neuen Methoden einzusetzen. Hier ist die Hölle los.

Es gibt Menschen wie Elon Musk oder Stephen W. Hawking, die fürchten: Auch im negativen Sinne bricht die Hölle aus und die KI überlistet und tötet Menschen ...

KIs werden nicht böse werden und die Menschen jagen oder versklaven. Filme wie Terminator sind unlogisch, wieso sollten sich KIs um die Menschen kümmern, wenn sie im Weltraum und hier viel mehr Energie und Rohstoffe finden können. KI benötigt nicht die gleichen Ressourcen wie der Mensch, hier entsteht kein Konflikt, denn Maschinen essen und atmen nicht. Ich stehe auch in Kontakt zu Nvidia. Nvidia will mir helfen, KIs zum Mars zu schicken, um den Mars auf Pflanzen und Wasser für den Menschen vorzubereiten. KIs vor Ort auf dem Mars sind wichtig, weil es eine halbe Stunde Zeitverzögerung bei der Übermittlung von Befehlen von der Erde gibt – die KI muss selbstständig entscheiden und kann nicht auf Anweisungen von Menschen warten.

Was die KI unheimlich macht: Sie ist für Menschen nicht transparent ...

Sobald der Mensch die Lösung der KI versteht, ist die KI dem Menschen nicht überlegen, da der Mensch diese Lösung auch selbst entdecken, verstehen und anwenden könnte. Es stimmt: Sobald die KI besser als der Mensch ist, so wie in Sprach- und Bildverarbeitung, versteht man den Lösungsweg nicht mehr im Detail.

Könnte eine emotionslose und schwer durchschaubare KI also nicht doch eines Tages quasi „nebenbei“ dem Menschen schaden? Gedankenspiel: Was, wenn eine KI von Greenpeace entwickelt wird, mit dem Auftrag, dafür zu sorgen, dass die Erde grün und frei von Abgasen und Abfall wird, und nach einer Weile entdeckt sie eine Abkürzung und setzt sie um: Statt Müll einzusammeln könnte man die Spezies, die den Dreck verursacht, ausschalten?

Es wird oft etwas passieren, mit dem der Mensch nicht rechnen konnte. Doch KIs werden nicht gegen den Menschen kämpfen. Es gibt evolutionären Druck. Es ist wie bei der Zucht von Hunden: Nur KIs, die gut und hilfreich sind, werden weiterentwickelt.

O.k., sprechen wir über die gigantischen Vorteile. Sie beraten etwa Audi bei der Entwicklung des Roboterautos – das Ziel ist klar: Das Auto erkennt schneller als jeder Mensch Gefahren und rettet Leben.

Was wir mit Audi entwickeln, auf Basis von LSTM, kann kein Tesla. Tesla scannt etwa nur einen Baum am Straßenrand. Doch wir forschen mit LSTM daran, dass Sequenzen und Situationen erkannt werden – in welche Richtung läuft das Kind, biegt der Radfahrer vor mir ab oder oder fährt er geradeaus weiter? Wir analysieren hier Video-Frames hintereinander und haben damit viel mehr Informationen als in bisherigen Techniken. Hier sind wir viel besser als viele andere Gruppen.

Gemeinhin wird angenommen, Tesla habe hier eine führende Rolle eingenommen ...

Tesla hat noch sehr viel rudimentäre, alte Technik – aber setzt sie schneller und aggressiver ein. Audi ist wegen Sicherheitsbestimmungen viel vorsichtiger. Tesla darf in den USA mit Sachen auf die Straßen, die in Europa nicht zugelassen würden.

Wie stehen Sie zu Elon Musk, der viel vorantreibt, aber vor KI warnt?

Das Elektroauto wird kommen. Es ist energieeffizienter. Elon Musk ist mutig und visionär, aber vielleicht noch nicht visionär genug.

Welche Firmen sind aus Ihrer Sicht im Bereich Automotive noch interessant?

Nuance treibt auf KI-Basis die Möglichkeit voran, mit dem Auto zu reden. Das ist eine wichtige Entwicklung und macht Fahren sicherer. Nuance ist kaum an der Öffentlichkeit und wird wohl unterschätzt. Auch Baidu gibt im Bereich Roboterauto richtig Gas. Technologisch ist Baidu sehr weit.

Überschätzt wird wohl IBM Watson. Viele Pharmafirmen haben sich von IBM Watson getrennt und setzen nun auf unsere Systeme.

Wo ist LSTM noch im Einsatz?

Ich habe gerade mit Amazons Research-Chef gesprochen. Für diese Firmen ist ein Übersetzungsprogramm mit LSTM sehr wichtig, um einem Deutschen die Bewertung zu einer Zahnbürste eines Franzosen verfügbar zu machen. Die Produktbeschreibung in alle Sprachen verständlich zu übersetzen führte zu großem Umsatzplus bei Amazon.

Wie weit ist Apple bei KI?

Apple versucht aufzuholen, hat es aber lange verschlafen. Selbst Google hatte die KI beim selbstfahrenden Auto unterschätzt und zu sehr auf GPS-basierte, statische Systemen gebaut. Google hat aber schnell umgedacht und ist neben Audi wieder an der Spitze bei KIs für selbstfahrende Autos. Bei Google wird noch viel Positives kommen. Bable Fish ist so ein Thema: Ein Knopf im Ohr, mit dem man alle Sprachen versteht. Daran wird gerade intensiv geforscht und es gibt erste Erfolge. Auch Microsoft und Facebook sind hier technologisch sehr weit. Ich arbeite mit diesen Firmen zusammen.

Auf was freuen Sie sich am meisten?

Menschen werden mit ihren Maschinen sprechen. Auch der persönliche Assistent im Privatbereich kommt. Das Gerät wird Mimik verstehen und Empathie entwickeln. Das Smartphone wird zum Freund. Das Handy wird etwa in der Kneipe sagen: „Da sitzt ein hübsches Mädchen in der Ecke und Ihr habt gleiche Interessen. Komm, sprich sie an.“ Wir entwickeln eine General-KI mit Weltverstehen. Das ist eine starke Grundbasis. Diese kann dann als Reinigungskraft, Fabrikarbeiter et cetera angelernt werden.

Vielen Dank für das Gespräch – und schöne Grüße an Prof. Sepp Hochreiter.

Dieser Artikel ist in der AKTIONÄR-Ausgabe 31/2017 erschienen.

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