Hin und wieder überkommt einen das Gefühl, die deutschen Autobauer haben die Elektromobilität bewusst ignoriert. Sie wussten um die gravierenden Einschnitte, um die Milliarden an Investitionen, die die neuen Technologien erfordern, sie wussten um die Cash-Cow Verbrennungsmotor, der seit über Jahren stabile Gewinne in Milliardenhöhe abwirft.
Nicht nur deshalb war die IAA jahrzehntelang der Ort, an dem Deutschlands mächtige Autoindustrie ihre PS-Protze zur Schau gestellt hat, immer höher, immer schneller, immer weiter. Die IAA war der Ort, an dem BMW, Daimler und die VW-Gruppe ihre Muskeln spielen ließ.
Jedoch: Die Zeiten sind längst vorbei. Angefangen mit dem Diesel-Skandal von Volkswagen, hin zu schärferen Klimazielen, hin zu „Fridays for Future“ und dem Ruf der Bevölkerung nach neuen, sauberen Mobilitätsformen wie Elektroautos oder Wasserstoffantriebe. Der rasante Wandel innerhalb der Autoindustrie und eine Konjunktur, die an Dynamik einbüßt, nehmen die Autohersteller in die Mangel.
Die große Show, Glanz und Glamour, verblasst zusehends
Dennoch klettern die Aktien von BMW, Daimler und VW seit Tagen. Der freundliche Gesamtmarkt und sicherlich auch der positive Newsflow rund um die IAA sorgen für Rückenwind für die zuletzt deutlich unter die Räder gekommenen Aktien der Autobauer.
Für den ersten Hingucker lange vor der Eröffnung der IAA hatte der VW-Konzern gesorgt. Die Luxus-Tochter Porsche stellte vergangene Woche den Taycan vor. Der erste Stromer aus dem Hause Porsche. Sehr gelungen! Für den sportlichen Preis von 150.000 Euro aufwärts bekommt man weitaus mehr als Tesla zu bieten hat.
Auch das Mittelklasse-Segment hat VW mittlerweile mit einem Elektroauto besetzt. Dem ID.3. "Für die Marke Volkswagen ist der ID.3 der Auftakt einer großen Elektro-Offensive", sagte Diess auf der IAA. „Die VW-Gruppe hat von allen deutschen Autobauern das beste Gesamtkonzept“, sagt Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer auf Anfrage von DER AKTIONÄR.
Dennoch: Diess und seine Mannschaft setzen voll auf die Karte Elektromobilität. Ein heißer Ritt und eine sehr riskante Wette.
BMW muss auf die Tube drücken
Der neue BMW-Chef Oliver Zipse muss so schnell wie möglich wieder Boden gut machen. Die unter EX-Vorstand Norbert Reithofer aufgebaute Führungsrolle im Bereich der Elektromobilität mit dem BMW i3 und dem Hybridmodell i8 wurde leichtfertig aus der Hand gegeben.
Zum Beispiel bleibt die Frage, wie und mit wem sich BMW in Zukunft breiter aufstellen will. Im Bereich selbst fahrende Autos arbeitet man mit Daimler zusammen. Vielleicht sollte sich der neue CEO mit dem China-Partner Great Wall enger zusammenschließen, um sich für die Zukunft zu positionieren.
Zur IAA wurden die Hoffnungen der BMW-Fans enttäuscht. Werder neue Modelle, noch Oliver Zipse sorgte für Aufbruchsstimmung. Es bleiben einige strategische Aufgaben und Herausforderungen für den neuen BMW CEO Oliver Zipse“, sagt Dudenhöffer.
Anleger erwarteten von Daimler auf der IAA neue Impulse in Form von neuen Elektroautos. Es regierten aber eher die bulligen und PS-Protze. Dennoch ruhen die Hoffnungen auf Vorstand Ola Källenius, das Ruder herumzureißen und den Daimler-Konzern wieder in die Erfolgsspur zu bringen.
Autoanalyst Jürgen Pieper vom Bankhaus Metzler sieht nicht nur Daimler unter Druck. "Alleine wird es für viele Hersteller schwierig werden. In ein paar Jahren könnten nur noch zwei deutsche Autohersteller übrig sein", sagt Pieper gegenüber der aktionär tv auf der IAA. Zudem wirddie Konkurrenz mit Nio und Byton größer.
Vor wenigen Tagen knackte die Daimler-Aktie den Widerstand bei 44,87 Euro. Im Anschluss nahm das Papier auch die Hürde von 46,50 Euro. Entwarnung kann gegeben werden, sobald die wichtige 200-Tage-Linie bei 49,67 Euro genommen wird. Bis dahin ist die Aktie nur noch knapp 3,6 Prozent entfernt. Dennoch: DER AKTIONÄR geht nicht davon aus, dass das Daimler-Papier in einem Zug die wichtige Hürde nehmen wird. Auf dem aktuellen Niveau wäre eine Konsolidierung fast wünschenswert. Im Anschluss kann der DAX-Titel mit neuer Dynamik die 200-Tage-Linie angreifen. Gleichzeitig würde die Daimler-Aktie damit ein Kaufsignal generieren.
Auch die VW-Aktie legte aufgrund des guten Gesamtmarktes bis auf 157,50 Euro zu. Mit dem Sprung über die wichtige 200-Tage-Linie bei 147,22 Euro hatte sich die technische Ausgangslage ohnehin schon seit Tagen verbessert. Nachdem das Papier auch den Widerstand bei 156,00 Euro genommen hat, ist jetzt der Weg bis in den Bereich von 164,00 Euro frei.