Etwas ist faul im Staate Deutschland – und zwar eine ganze Menge, so Journalist Claus Strunz: Asylchaos, Bildungsnotstand, rückständige Digitalisierung. Im Interview mit dem AKTIONÄR spricht Strunz über die schlimmsten Fehler, die unser Land lähmen – und was die Politik jetzt tun muss, damit Deutschland wieder gut dasteht.
DER AKTIONÄR: Herr Strunz, die Deutschen haben gejubelt, weil Angela Merkel den CDU-Parteivorsitz aufgegeben hat. Endlich das Aus des Systems Merkel, hieß es. Vor Kurzem zeigte eine Umfrage dann aber: Die Mehrheit der Deutschen will, dass sie bis 2021 Kanzlerin bleibt. Sind wir etwa schizophren?
CLAUS STRUNZ: Ich denke, dass viele Menschen schon froh sind über Merkels Abschied vom Parteivorsitz. Allerdings käme ihr kompletter Rückzug von der Macht für die meisten Deutschen zu abrupt. Viele spüren: Das würde ihrer Lebensleistung nicht gerecht. Man kann das mit einem Trainer beim Fußball vergleichen, der jahrelang sehr erfolgreich gearbeitet hat. Wenn es dann irgendwann nicht mehr läuft und er wird entlassen, würden die Fans ihn nicht verteufeln, sondern ihm auch für seine Erfolge dankbar sein. Angela Merkel hat jahrelang ordentliche Arbeit gemacht – bis zum Sommer 2015 und ihrem „Wir schaffen das!“ Das war die Wende – zum schlechteren Teil ihrer Kanzlerschaft.
Die CDU hat mit Annegret Kramp-Karrenbauer, AKK, als Parteivorsitzende nun die Chance auf einen Neuanfang. Die SPD hält an Andrea Nahles fest. Wie geht es mit der ehemaligen Arbeiterpartei weiter?
Wenn die SPD so weitermacht wie in den vergangenen zwei Jahren, ist sie keine Alternative mehr – für niemanden. Der Platz der einstmals stolzen Sozialdemokraten wird von anderen besetzt, vor allem von den Grünen. Die haben es geschafft, mit gutem Personal von der Krise der großen Parteien zu profitieren. Die Mischung stimmt: Frauen, Männer, Menschen mit Migrationshintergrund – viele relativ jung und sympathisch. Da kommt die nervige Verbotspartei sogar bei Menschen gut an, die sie früher bekämpft haben.
Die SPD kann da nicht ansatzweise mithalten. Ihr wenig überraschendes Konzept, sich als die Partei der sogenannten kleinen Leute zu positionieren, wird scheitern. Das können Linkspartei, AfD und teilweise auch die Grünen zurzeit viel besser.
Hätte die SPD noch eine Chance, wenn sie ihr Spitzenpersonal austauschen würde?
Sicher! Aber es ist ja weit und breit kein junger Gerhard Schröder zu sehen. Schröder hatte Charisma, Themen und Durchsetzungskraft – also alles, was Scholz und Nahles fehlt. Er hat polarisiert und mit seiner Art des Populismus („Kinderschänder wegsperren – für immer!“, „Lehrer sind faule Säcke“) Kopf, Bauch und Herz der Menschen erreicht.
Wahrscheinlich hätte sich Schröder auch in der Migrationsfrage viel klarer geäußert. Warum tun sich die meisten Politiker so unfassbar schwer, hier klare Kante zu zeigen?
Erfolgreiche Einwanderungsländer wählen rigoros aus, wer rein darf und wer nicht. Und sie machen ihre Grenzen dicht gegen illegale Einwanderung. Das fällt deutschen Politikern wegen unserer Vergangenheit verständlicherweise schwerer. „Auswahl“ klingt wie „Selektion“ und damit für viele nach Auschwitz, dem entsetzlichen „Wir entscheiden, wer überleben darf und wer nicht“. Und „Grenzen dicht“ erinnert an Berliner Mauer, Stacheldraht und ein geteiltes Land mit getrennten Familien und anderen schlimmen Schicksalen.
Also was tun?
Wir müssen diese doppelte Hypothek – in Demut und voller Respekt vor der Verantwortung der Geschichte – überwinden und endlich unsere Grenzen schützen. Im Grunde ist eine vernünftige Migrationspolitik auch gar nicht so schwer. Sie basiert auf drei Säulen: Erstens: Asyl ist unstreitig: Wer verfolgt wird, bekommt in Deutschland Asyl. Das soll auch so bleiben. Zweitens: Im Bereich der Einwanderung muss gelten: Wer im Arbeitsmarkt gebraucht wird, ist willkommen. Zum Beispiel suchen wir händeringend geeignete Pflegekräfte.
Nun haben wir aber ganz viele Menschen in Deutschland, die weder verfolgt werden noch unseren Arbeitsmarkt bereichern. Da muss man ganz klar sagen: Das geht so nicht. Sie müssen Deutschland verlassen. Und dann gibt es – drittens – viele Millionen Menschen, die sich bereits aus ihrer Heimat auf den Weg nach Europa gemacht haben oder dies bald tun werden: Ihnen müssen wir dort helfen, wo sie sind. Ich bin dafür, dass Deutschland die Nummer 1 bei der humanitären Hilfe vor Ort wird. Wir sind ein reiches Land, das können wir bestimmt schaffen: Wir könnten zum Beispiel einen Teil des Soli dafür verwenden statt ihn abzuschaffen. Aber das Konzept, erst einmal alle Menschen in Deutschland aufzunehmen und dann mal weiterzusehen – dieses Konzept ist gescheitert.
Wie lange wird es dauern, bis nur die hier sind, die hier sein dürfen?
Fünf bis zehn Jahre. Aber auch nur, wenn der Staat jetzt damit beginnt, rigoros zu handeln. Wenn nicht, ist es irgendwann zu spät.
Es sieht derzeit aber nicht danach aus, dass die Bundesregierung jetzt einen harten Kurs in der Migrationskrise fahren will.
Ja, leider. Wir haben ja noch nicht mal ein vernünftiges Einwanderungsgesetz. In viel zu vielen Bereichen – Bildung, Digitalisierung, Umwelt – geht vieles viel zu langsam voran. Deshalb habe ich in meinem Buch eine Gewinnwarnung für Deutschland formuliert: Mir kommt unser Land vor wie ein Flugzeug, das von Frankfurt nach New York fliegen will, aber nur für vier statt für sechs Stunden Treibstoff hat. In den ersten vier Stunden geht alles wunderbar. Dann wird es – sagen wir mal – ziemlich holprig.
Glauben Sie, AKK hat erkannt, wie ernst die Lage ist?
Das hoffe ich sehr! Annegret Kramp-Karrenbauer wird auf jeden Fall einige Dinge anders anpacken als ihre Vorgängerin. Wunderdinge darf man von ihr aber nicht erwarten. Auch wird Geduld gefragt sein. Die deutsche Politik ist ja in der Lage, vernünftige Entscheidungen zu treffen. Nur dauert das eben viel zu lang. Ich erwarte von AKK und allen anderen Politikern klare Positionen, damit ich weiß, woran ich bin. Das wäre schon mal ein großer Fortschritt. Und: Womöglich prallen in Zukunft wieder zwei Blöcke aufeinander – Grün-Rot-Rot auf der einen, Schwarz-Gelb auf der anderen Seite. Das wäre gut für Deutschland.
Angenommen, Deutschland wäre eine AG, würden Sie jetzt antizyklisch investieren?
Nein.
Haben Sie Aktien?
Ich habe in Aktien meines Arbeitgebers Axel Springer investiert – voller Vertrauen in die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens. Übrigens: ein gutes Geschäft!
Friedrich Merz ist wegen seines Vorschlags, Aktien zur Altersvorsorge zu nutzen, heftig kritisiert worden. Typisch deutsch?
Kann man so sagen. Das sind antikapitalistische Linksreflexe. Wer mit Aktien Geld verdient, ist doch kein böser Mensch. Eher ein kluger, von dem man vielleicht sogar etwas lernen kann.
Herr Strunz, angenommen, AKK wird bald Kanzlerin. Welches Buch schreiben Sie dann in fünf Jahren?
(lacht) „Auf geht’s, Deutschland! 20 Ideen, wie man wirklich etwas verändert“. Aber jetzt geben wir ihr doch erst einmal eine Chance.
Vielen Dank für das Interview.