Nach der ersten Legalisierungswelle haben derzeit weltweit rund 120 Millionen Menschen gesetzmäßig Zugang zu Cannabis. 120 Millionen – klingt viel, entspricht aber gerade mal 1,6 Prozent der Weltbevölkerung. Das verdeutlicht, wie hoch das Marktpotenzial für Cannabis ist, falls es zu weiteren Legalisierungen kommen wird. Und diese werden kommen. Es geht also nicht um die Frage ob, sondern nur um die Frage, wann Länder wie Neuseeland oder die USA Cannabis zumindest für medizinische Zwecke freigeben werden.
Die Cannabis-Branche ist und bleibt also en vogue. Die Deals in den letzten Monaten sorgten für jede Menge Gesprächsstoff. Beispiele gefällig? Constellation Brands kaufte sich bei Canopy Growth ein. Altria bei Cronos und Hexo arbeitet seit einigen Wochen mit Molson Coors Brewing zusammen. Für Anleger ist jedoch weitaus spannender, wer in den nächsten Wochen als Dealmaker auftreten und welche Firmen im Fokus der Aufkäufer stehen könnten.
Altria, BAT sind auf dem Sprung
In den Startlöchern stehen zum Beispiel die Tabakkonzerne. Big Tobacco braucht dringend neue Ideen, neue Märkte und neue Zielgruppen. Vor Kurzem schnappte sich Altria 45 Prozent am Cannabis-Hersteller Cronos und machte den Anfang aller Tabakfirmen, sich einen neuen lukrativen Markt zu erschließen. Auch die milliardenschweren Lifestyle-Konzerne Red Bull und Monster Energy lechzen nach neuen Märkten. Sie alle haben weder die Zeit noch die Expertise, den Cannabis-Markt selbst aufzubauen. Sie werden einfach ihre dicken Geldbörsen zücken und die derzeit am besten positionierten Cannabis-Player vom Tisch nehmen.
Aber auch unter den Cannabis-Firmen selbst herrscht Kaufstimmung. Es gilt, die Claims für die Zukunft so schnell wie möglich abzustecken. Größe ist Trumpf. Für Canopy, Aurora, Aphria und Co sind diejenigen Firmen interessant, die in aussichtsreichen Märkten als First Mover ihren Markt aufgebaut haben. ICC Labs etwa war als einziger Anbieter in Uruguay präsent. Uruguay hat den freien Verkauf von Cannabis 2017 durchgewunken. Aurora Cannabis griff zu und sicherte sich ICC Labs zu einem Preis von 1,95 Dollar. Der ganze Deal kostete Aurora 290 Millionen Dollar. Ein Aufpreis zum damaligen Börsenkurs von 34 Prozent.
Übernahmeziel Khiron
Als Übernahmeziel könnte sich nach ICC Labs auch Khiron Life Sciences entpuppen. Khiron beackert den Markt in Kolumbien. Kolumbien mag auf den ersten Blick etwas merkwürdig klingen, hat aber mit 48 Millionen mehr Einwohner als Kanada mit einer Bevölkerungszahl von 37 Millionen zu bieten. Der Gebrauch von Cannabis für medizinische Zwecke wurde in Kolumbien schon 2016 gestattet. Khiron mit seinem Headquarter in Vancouver hat die Chance genutzt und in Ibagué, knapp 200 Kilometer westlich der Hauptstadt Bogotá, eine Produktionskapazität von 5.200 Kilogramm für medizinische Zwecke hochgezogen. Ziel ist es, die Kapazitäten bis 2020 auf 16.900 Kilogramm pro Jahr auszubauen. Mit der reinen Herstellung von Cannabis ist es nicht getan. Khiron ist dabei, seine Wertschöpfungskette peu à peu zu erweitern. Vor Kurzem hat die Mannschaft um Vorstand Alvaro Torres für zwölf Millionen US-Dollar zwei Kliniken in Bogotá gekauft. Ziel ist es, unter dem neuen Brand „Zerenia“ in Zukunft Schmerzpatienten zu behandeln. Zu den eigenen Kliniken sollen auch noch eigene Medikamente auf CBD- und THC-Basis hinzukommen. Im Portfolio von Khiron befindet sich bereits eine eigene Kosmetiklinie mit dem Namen „Kuida“. Verträge mit zahlreichen Apothekenketten bestehen ebenfalls schon. Vor wenigen Tagen schaffte es Khiron, mit der US-Firma Dixie Brands einen starken Partner mit ins Boot zu holen. Dixie wird unter anderem Khirons Marke Kuida in den USA vertreiben.
Von Kolumbien nach Mexiko
Nach Kolumbien will Khiron sein Geschäftsmodell auch in Chile und Mexiko ausrollen. Während Chile „nur“ 18 Millionen Einwohner hat, ist Mexiko der weitaus größere und interessantere Markt (124 Millionen Einwohner, siehe Grafik Seite 13). Khiron hat gute Karten, auch in Mexiko erfolgreich zu sein. Im Vorstand von Khiron sitzt Vicente Fox, der von 2000 bis 2006 Präsident von Mexiko war. Zuvor arbeitete er sehr erfolgreich als CEO von Coca-Cola Mexiko und besitzt noch immer beste Kontakte in Politik und Wirtschaft. Für Khiron wird Vincente Fox wichtige Türen öffnen. Den Markt für medizinisches Cannabis in Südamerika schätzen Experten auf 8,8 Milliarden US-Dollar. Das ist mehr als der Markt in Kanada, Deutschland und Australien zusammen.
Quelle: Bloomberg, Cannacord
Canaccord-Analystin Kimberly Hedlin rechnet für Khiron im Jahr 2019 mit einem Umsatz in Höhe von 12,0 Millionen Kanadische Dollar (CAD). 2020 sollen 78 Millionen CAD, 2021 knackige 138 Millionen CAD in der Kasse klingeln. Als Gewinn je Aktie schätzt Hedlin 2021 0,39 CAD. „Khiron ist durch einen frühen Markteintritt und ein gut vernetztes Managementteam auf dem sich rasch entwickelnden lateinamerikanischen Cannabis-Markt vertreten“, schreibt Hedlin in ihrer aktuellen Studie. Das Kursziel hat sie vor wenigen Tagen unter anderem wegen der Zusammenarbeit mit Dixie Brands von 3,40 CAD auf 5,00 CAD nach oben geschraubt. Als weitere Katalysatoren für Khiron sieht der aktionär den Markteintritt in Mexiko sowie den Ausbau der Behandlung von Schmerzpatienten in den eigenen Kliniken. der aktionär geht aber davon aus, dass Khiron nicht mehr lange eigenständig bleiben wird. Ein großer Player wie Aurora oder Aphria könnte die Firma vom Tisch nehmen und sich somit den Zugang zum spannenden lateinamerikanischen Markt mit nur einem einzigen Deal sichern.
Heiße Wette
Das Khiron-Management scheint ohnehin einen derartigen Deal anzustreben. 27 Prozent der Aktien befinden sich in den Händen des Vorstandteams. der aktionär geht davon aus, dass Khiron so schnell wie möglich versuchen wird, als First Mover eine kritische Größe zu erreichen, sodass eine Übernahme für einen der großen Player nahezu ein Muss ist. Somit würde das Management nicht nur für sich, sondern auch für die Aktionäre einen guten Deal hinbekommen. Khiron ist eine extrem heiße Wette mit sehr hohem Risiko.
Der Artikel erschien in DER AKTIONÄR Ausgabe 07/2019.