Kurz nachdem die Jahres- und Quartalszahlen draußen waren, veröffentlichte DER AKTIONÄR eine erste Einschätzung. Fazit: Alibaba ist erwartungsgemäß weiter stark unterwegs. Doch die China-Aktie fiel im US-Handel rund fünf Prozent. Und zumindest einige deutsche Medien fokussierten sich auf einen coronabedingten Gewinneinbruch. Wie passt das zusammen?
Während die Alibaba-Zahlen von internationalen Börsenmedien überwiegend positiv aufgenommen wurden, veröffentlichte die Presseagentur dpa einen Artikel, der sich auf negative Aspekte konzentrierte. Dieser Beitrag wurde unter anderem vom Handelsblatt verbreitet.
Unter der Überschrift „Gewinn von Online-Händler Alibaba bricht um 88 Prozent ein“ war dort zu lesen, dass sich die Corona-Pandemie „massiv“ auf die Geschäftszahlen auswirke, der Jahresausblick mit „Risiken und Unsicherheit behaftet“ und der Cloud-Bereich zwar um 58 Prozent gewachsen, aber immer noch defizitär sei.
Stimmt das?
Faktisch ist das korrekt, allerdings zusammenhanglos. Die Zahlen taugen zudem nicht als Erklärung für die anschließende Kursreaktion.
Der Gewinneinbruch kommt nicht überraschend. Jeder Alibaba-Analyst konnte damit rechnen, nachdem Chinas E-Commerce-Gigant bereits bei den vorherigen Quartalszahlen deutlich auf die Herausforderungen durch die Coronakrise hingewiesen hatte. Um den Gewinneinbruch wirklich beurteilen zu können, müssen dessen Ursachen bekannt sein und eingeordnet werden.
An dieser Stelle nur ein Beispiel: Ein wesentlicher Teil des Alibaba-Kerngeschäfts basiert auf Provisionsbasis. Wenn, wie vom AKTIONÄR berichtet, seitens Alibaba unter anderem Hilfsmaßnahmen für Händler, zum Beispiel in Form von Rabatten, eingeleitet wurden, was passiert dann? Das Umsatzwachstum wird gestützt, aber der Gewinn leidet kurzfristig. Warum lässt sich Alibaba darauf ein? Weil das Unternehmen eine Vision hat, bei der es nicht um kurzfristigen Gewinn auf Kosten des langfristigen Erfolgs geht.
Dass das Cloud-Geschäft noch keinen Gewinn macht und Lieferketten durch die Folgen von Corona gestört wurden und ein Ausblick auf den Rest des Jahres in Anbetracht der Umstände schwierig ist, kommt für Experten ebenfalls nicht überraschend.
Letztendlich hat Alibaba wieder einmal mit seinen Zahlen den Analystenkonsens übertroffen. Auch das ist allerdings nicht überraschend, da es zuletzt regelmäßig der Fall war.
Warum ist der Kurs am Freitag tatsächlich gefallen?
Im Fazit zu den aktuellen Zahlen schrieb DER AKTIONÄR: „Kurzfristig könnte die wieder einmal recht angespannte Stimmung zwischen den USA und China einen Höhenflug der Alibaba-Aktie verhindern.“
Dass diese Erklärung wohl besser die Kursreaktion erklärt als die Zahlen, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass am Freitag Alibaba-Konkurrent JD.com ebenfalls rund fünf Prozent gefallen ist. Dabei hatte JD vor wenigen Tagen starke Zahlen veröffentlicht und die Aktie neue Hochs erreicht. Auch der Kurs von Tencent hat nachgegeben.
China-Aktien standen am Freitag also allgemein unter Druck. Die USA arbeiten daran, die Regeln für chinesische Unternehmen zu verschärfen. Unter anderem kann ein Ausschluss von US-Börsen drohen. DER AKTIONÄR weist bereits seit Monaten darauf hin, dass Alibabas Zweitlisting in Hongkong auch vor dem Hintergrund des Handelskonflikts betrachtet werden muss.
Das Thema ist komplex. Unter anderem geht es auch darum, ob einige US-Fonds nicht mehr in China-Anteile investieren (dürfen), während Alibaba andererseits demnächst in asiatischen Indizes auftauchen könnte.
Dazu kommt, dass China angesichts der Coronakrise keinen wirtschaftlichen Ausblick vorgelegt hat.
Diese Gemengelage führt zu einer erhöhten Volatilität.
Wie sich ein Aktienkurs auf Tagesbasis bewegt, lässt sich mitnichten immer eins zu eins auf die aktuellen Zahlen zurückführen. Langfristig orientierte Anleger sollten Ruhe bewahren. Alibaba bleibt aussichtsreich. Mehr zur USA-China-Hongkong-Problematik lesen Sie in der nächsten Ausgabe von DER AKTIONÄR (ab Mittwoch als E-Paper, ab Freitag am Kiosk erhältlich).
Alibaba ist im WANT-Index enthalten.
Der Autor hält unmittelbar Positionen über die in der Publikation angesprochenen nachfolgenden Finanzinstrumente oder hierauf bezogene Derivate, die von der durch die Publikation etwaig resultierenden Kursentwicklung profitieren: Alibaba, JD.com.